Mittwoch, Mai 14, 2014

Zwangs-Update vom Mischpultmann

Mit „Xscape“ ist soeben das zweite posthume Album von Michael Jackson erschienen 

Eine hehre Entscheidungsgrundlage für die Veröffentlichung dieses Albums gibt es natürlich. Zumindest für marktgläubige Kapitalisten. Schließlich lässt sich posthum auch jenes Geld zurückverdienen, das Michael Jackson in seinen letzten Karrierejahren in Projekte investieren ließ, die dann exakt keinen Langspieler mehr nach sich zogen. Zusätzlich darf eingedenk eines Vertrags über angeblich bis zu zehn Alben, die post mortem erscheinen müssen, sowie der Verschuldung Jacksons auch an die liebe Familie gedacht werden, die für ihre Ansprüche schon einmal das Geldschauferl aus dem Keller holt.

Aber das ist natürlich ein Blödsinn. Wie auch der Musikmarkt-Major Sony angesichts der mit nur acht Songs künstlich knapp gehaltenen Veröffentlichung erklärt – wir erinnern uns: der Plattenvertrag! –, hat auch die marketingbedingte Verscherbelung des auf die neuesten Superhandys aus dem eigenen Konzern geladenen Werks mit dem Titel „Xscape“ natürlich nur einen Grund: Es geht um die Kunst. Konkret lautete die Aufgabe diesmal, Michael Jackson auf modern zu produzieren, was ohne die bei Lebzeiten als gewiss vermutete Intervention von Seiten des Künstlers grundsätzlich einfach wäre.

Für das Unterfangen griff man musikmarktmajorseitig nun zuvorderst auf US-Produzent Timbaland zurück. Das ist der Mann, für den Madonna in Sachen Hipness bereits um zwei Jahre zu spät kam, als sie ihr Album „Hard Candy“ (2008) bei ihm in Auftrag gab. Nach einem Siegeszug als Soundbeauftragter hinter Justin Timberlake oder Nelly Furtado folgten bald immerhin auch Jobs für Casting-Show-Abgängerin Leona Lewis oder den russischen Songcontest-Sieger von 2008, an den man sich nicht mehr erinnert. Es ist auch Wurst.

Dabei lässt sich über „Xscape“ behaupten, dass die Mindestvorgabe, besser zu klingen als der posthume Erstling „Michael“ von 2010, locker erreicht wurde. Um nicht abermals in Verdacht zu geraten, anstatt Michael Jackson einer Dose beim King-of-Pop-Imitierungsversuch zuzuhören, liegen der Deluxe-Variante nun auch die originalen Demo-Aufnahmen bei. Neben der Echtheit der Vokalspuren bestätigen diese als von Gummisounds geprägte Midi-Notizen weitgehend auch Jacksons Intention, die Ergebnisse anders klingen zu lassen, als sie es heute tun. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das ist nicht schlecht.

Nach dem eingangs auf den Disco-Soul eines Barry White getrimmten und von Paul Anka mitgeschriebenen „Love Never Felt So Good“ erweckt Timbaland aber bald den Eindruck, stark nach den Vorlagen Justin Timberlakes produzieren zu wollen, der – verrückt! – selbst nicht zu knapp von Jackson beeinflusst wurde. Der entsprechend zwischen Klapper-Snares, Keyboardtupfern und Instantstreichern mit dem dann durchaus zu den Midi-Demos passenden Gummigefühl angelegte Neo-R&B von Stücken wie „Slave To The Rhythm“ kündet davon. Daneben sorgt „A Place With No Name“ mit seinem mächtigen Groove für Partystimmung, während „Do You Know Where The Children Are“ erklärt, dass hittaugliches Material Anfang der 90er Jahre noch in die Schublade gelegt werden konnte. Es war ja im Überfluss vorhanden. 

Davon kann heute keine Rede mehr sein. Den Nutznießern ist das egal. Noch. Demnächst mehr auf Ihrem Handy. 

(Wiener Zeitung, 15.5.2014)

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