Freitag, Mai 16, 2014

Sie sind die Roboter

Die autobahnbrechend visionären Elektro-Vorreiter Kraftwerk bespielen die Burg 

Auf der Bühne steht die pophistorisch bedeutsamste Band deutschen Ursprungs. Punkt. Kritische Zungen mögen an diesem Satz zwar den geschichtlichen Aspekt betonen. Immerhin haben Kraftwerk seit dem Jahr 2003 kein Album mehr veröffentlicht, um in Neubesetzung um Ralf Hütter als einziges Originalmitglied heute nur noch Werkpflege zu betreiben. Das bedeutet neben restaurierten Fassungen ihres vormals autobahnbrechend  visionären Materials vor allem auch eine Ankunft im Museum mit dort ausgetragenen Konzertreihen in 3-D. 

Zeitlos modern 

Nach prestigeträchtigen Stationen wie etwa dem MoMa in New York werden im Rahmen der Wiener Festwochen nun vier Tage lang je auch zwei Alben im Burgtheater gesichtet, die das Wort „pophistorisch“ zwangsläufig ins Spiel bringen müssen. Die von raffinierten Updates aus dem Düsseldorfer Kling-Klang-Studio geprägt pluckernden und tuckernden Fortschrittslieder aus Zeiten des auch von der Technisierung befeuerten Wirtschaftswunders allerdings klingen dabei noch immer gleichsam zeitlos und modern. Das ist auch eingedenk der hier wieder vorexerzierten Vorwegnahme von Techno bereits in den 70er Jahren und der mitunter astralen 3-D-Räume, die uns nach Outer-Space beamen oder im Gleitflug über Metropolis als Utopistan staunen lassen, mindestens genial.

Am Auftaktabend setzen Kraftwerk mit ihren Alben „Autobahn“ und „Radio-Aktivität“ exakt dort an, wo sie ab 1974 ihre Ursprünge im Krautrock zwischen echtem Schlagzeug (!), psychedelischen Wah-Wah-Gitarren (!!) und Querflöten (!!!) hinter sich ließen, um unterkühlt-elektronische Musiken auf Basis einer die deutsche Präzision übersetzenden kompositorischen Formenstrenge zu reichen. 

Stoßrichtung Zukunft 

Die später vielfach kopierte Ikonografie des gesichtslosen Stars, der keiner sein will – und hier in Form eines mensch-maschinellen Hybridwesens erscheint –, brachte die Arbeit parallel dazu zur Konzeptkunst. Und alles an dieser Konzeptkunst war und ist (in) Bewegung – die motorische Rhythmik erklärt das im Burgtheater ebenso wie der thematische Kosmos der Band. Auto, Bahn, Au-To-Bahn, der Trans Europa Express und die im Auditorium rotierenden Satelliten, Raumstationen und UFOs; immer wieder aber auch das von Hütter zum Fetisch erhobene Rad. Die Reise auf dem grauen Band, weiße Streifen, grüner Rand! Stoßrichtung Zukunft, Abfahrt vorgestern, restlos ausverkauft. Nur vor den Keyboards selbst herrscht stoischer Stillstand, sieht man vom rechten Knie des verbliebenen Masterminds einmal ab, das munter im Takt wippt und kippt.

Solchermaßen geht es über die mit noch durchaus romantisch zirpenden Melodeien musikalisch eingefangenen deutschen Wiesen auch vorbei an den Atomkraftwerken, die bald nicht mehr nur finanziellen Aufschwung versprachen. Ralf Hütter in seiner Rolle als Bordcomputer Hal 9000 im dann drastisch knarzenden Vocodersprech zu den unheilvollen „Zoschs“ und „Tschaks“ aus der Schaltkanzel mit dramatischem Nachhall skandierend: „Har-ris-burg! Sell-la-field! Hi-ro-shi-ma! Fu-ku-shi-ma“! Mit dem Geigerzähler als Instrument und unbequemen Morsecodes wird es im hell gleißenden Atomgrün entsprechend auch finster. Supergau macht strahlentot. Endzeitschwarz statt Morgenrot. Ja, bitte, ok. Vielleicht ist doch nicht alles nur gut an der Zukunft. Sofern es noch eine gibt. 

Doppelte Hits 

Die zweite Bedeutung der hier umkreisten „Radio-Aktivität“ hingegen erschließt sich durch die elektromagnetischen Wellen, die über dem Publikum schwingen. Als per Visuals nun plötzlich doch und natürlich nur ausnahmsweise (techno-)nostalgisch gestimmte Kinder des Radiozeitalters – auch Quasi-Roboter haben Gefühle! – konnten selbst Kraftwerk nicht auch schon den Blues des Streamingzeitalters vorwegnehmen. Ihr „Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand“ aber imaginierte immerhin bereits die Kunstproduktion per Handy-App, als deren Wegbereiter sich die Band einst noch mit wohnzimmergroßen Synthesizern herumplagen musste.

Ja, wir sind jetzt schon lange im Best-of-Teil, den bei beiden Aufführungen Anwesende gleich doppelt erleben dürfen! Es spielt dann die Songwriting-Demonstrationen des Welthits „Das Model“, die metallenen Rhythmen auf den Detroit Techno einwirkender Glanzstücke wie „Nummern“ sowie natürlich auch „Die Roboter“, „Boing Boom Tschak“  und die Soundtrackangebote Kraftwerks für die Tour de France. 

Hier übrigens noch die Antwort auf so ziemlich alle Fragen, sollte sie noch jemand stellen wollen (Ist das jetzt also gut, noch immer modern, wer braucht das heute und frisst die Zeit ihre Vorreiter am Ende eh gar nicht auf?): ein großer Abend!

(Wiener Zeitung, 17./18.5.2014) 

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