Die
autobahnbrechend visionären Elektro-Vorreiter Kraftwerk bespielen die Burg
Auf
der Bühne steht die pophistorisch bedeutsamste Band deutschen Ursprungs. Punkt.
Kritische Zungen mögen an diesem Satz zwar den geschichtlichen Aspekt betonen.
Immerhin haben Kraftwerk seit dem Jahr 2003 kein Album mehr veröffentlicht, um
in Neubesetzung um Ralf Hütter als einziges Originalmitglied heute nur noch Werkpflege
zu betreiben. Das bedeutet neben restaurierten Fassungen ihres vormals autobahnbrechend visionären Materials vor allem auch eine
Ankunft im Museum mit dort ausgetragenen Konzertreihen in 3-D.
Zeitlos modern
Nach
prestigeträchtigen Stationen wie etwa dem MoMa in New York werden im Rahmen der
Wiener Festwochen nun vier Tage lang je auch zwei Alben im Burgtheater
gesichtet, die das Wort „pophistorisch“ zwangsläufig ins Spiel bringen müssen.
Die von raffinierten Updates aus dem Düsseldorfer Kling-Klang-Studio geprägt
pluckernden und tuckernden Fortschrittslieder aus Zeiten des auch von der
Technisierung befeuerten Wirtschaftswunders allerdings klingen dabei noch immer
gleichsam zeitlos und modern. Das ist auch eingedenk der hier wieder
vorexerzierten Vorwegnahme von Techno bereits in den 70er Jahren und der
mitunter astralen 3-D-Räume, die uns nach Outer-Space beamen oder im Gleitflug
über Metropolis als Utopistan staunen lassen, mindestens genial.
Am
Auftaktabend setzen Kraftwerk mit ihren Alben „Autobahn“ und „Radio-Aktivität“
exakt dort an, wo sie ab 1974 ihre Ursprünge im Krautrock zwischen echtem
Schlagzeug (!), psychedelischen Wah-Wah-Gitarren (!!) und Querflöten (!!!)
hinter sich ließen, um unterkühlt-elektronische Musiken auf Basis einer die
deutsche Präzision übersetzenden kompositorischen Formenstrenge zu reichen.
Stoßrichtung
Zukunft
Die
später vielfach kopierte Ikonografie des gesichtslosen Stars, der keiner sein
will – und hier in Form eines mensch-maschinellen Hybridwesens erscheint –,
brachte die Arbeit parallel dazu zur Konzeptkunst. Und alles an dieser Konzeptkunst
war und ist (in) Bewegung – die motorische Rhythmik erklärt das im Burgtheater
ebenso wie der thematische Kosmos der Band. Auto, Bahn, Au-To-Bahn, der Trans
Europa Express und die im Auditorium rotierenden Satelliten, Raumstationen und
UFOs; immer wieder aber auch das von Hütter zum Fetisch erhobene Rad. Die Reise
auf dem grauen Band, weiße Streifen, grüner Rand! Stoßrichtung Zukunft, Abfahrt
vorgestern, restlos ausverkauft. Nur vor den Keyboards selbst herrscht
stoischer Stillstand, sieht man vom rechten Knie des verbliebenen Masterminds
einmal ab, das munter im Takt wippt und kippt.
Solchermaßen
geht es über die mit noch durchaus romantisch zirpenden Melodeien musikalisch
eingefangenen deutschen Wiesen auch vorbei an den Atomkraftwerken, die bald
nicht mehr nur finanziellen Aufschwung versprachen. Ralf Hütter in seiner Rolle
als Bordcomputer Hal 9000 im dann drastisch knarzenden Vocodersprech zu den
unheilvollen „Zoschs“ und „Tschaks“ aus der Schaltkanzel mit dramatischem
Nachhall skandierend: „Har-ris-burg! Sell-la-field! Hi-ro-shi-ma!
Fu-ku-shi-ma“! Mit dem Geigerzähler als Instrument und unbequemen Morsecodes
wird es im hell gleißenden Atomgrün entsprechend auch finster. Supergau macht
strahlentot. Endzeitschwarz statt Morgenrot. Ja, bitte, ok. Vielleicht ist doch
nicht alles nur gut an der Zukunft. Sofern es noch eine gibt.
Doppelte Hits
Die
zweite Bedeutung der hier umkreisten „Radio-Aktivität“ hingegen erschließt sich
durch die elektromagnetischen Wellen, die über dem Publikum schwingen. Als per
Visuals nun plötzlich doch und natürlich nur ausnahmsweise (techno-)nostalgisch
gestimmte Kinder des Radiozeitalters – auch Quasi-Roboter haben Gefühle! –
konnten selbst Kraftwerk nicht auch schon den Blues des Streamingzeitalters
vorwegnehmen. Ihr „Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand“ aber
imaginierte immerhin bereits die Kunstproduktion per Handy-App, als deren
Wegbereiter sich die Band einst noch mit wohnzimmergroßen Synthesizern
herumplagen musste.
Ja,
wir sind jetzt schon lange im Best-of-Teil, den bei beiden Aufführungen
Anwesende gleich doppelt erleben dürfen! Es spielt dann die
Songwriting-Demonstrationen des Welthits „Das Model“, die metallenen Rhythmen
auf den Detroit Techno einwirkender Glanzstücke wie „Nummern“ sowie natürlich
auch „Die Roboter“, „Boing Boom Tschak“
und die Soundtrackangebote Kraftwerks für die Tour de France.
Hier übrigens noch die Antwort auf so ziemlich
alle Fragen, sollte sie noch jemand stellen wollen (Ist das jetzt also gut,
noch immer modern, wer braucht das heute und frisst die Zeit ihre Vorreiter am
Ende eh gar nicht auf?): ein großer Abend!
(Wiener Zeitung, 17./18.5.2014)
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