Donnerstag, Mai 22, 2014

Liebe, Freiheit, Tanzen

US-Produzent Andy Butler und das dritte Album seines Projekts Hercules And Love Affair 

Vor mittlerweile auch schon wieder sechs Jahren ging für Andy Butler karrieretechnisch mindestens alles auf. Mit dem Debütalbum seines Projekts Hercules And Love Affair war der langgediente House-DJ aus Denver zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um mit den richtigen Leuten die richtige Musik zu machen. Immerhin war durch die zehn Songs des selbstbetitelten und im Umfeld des schicken DFA-Labels in New York entstandenen Erstlings und den Überhit „Blind“ mit Antony Hegartys sehnsüchtig zitternder Jahrhundertstimme auch dafür gesorgt, dass Disco als Genre in elektronisch-revitalisierter Form plötzlich wieder in Mode kam. Ebenso klug wie knackig produziert und mit der richtigen Balance zwischen Lebenslust und der guten alten Melancholie, die man halt doch nie so ganz abschütteln kann, wurde längst nicht nur die Gay-Community begeistert. Die Inszenierung: Modern, die Orgien-Mysterien-Ästhetik der Antike aber dankbar als Vorlage übernehmend. Hercules als Adonis von jungen Römern umgeben, durch den Musenhain ans DJ-Pult schreitend! 

Lose Gemeinschaft 

Die Bässe rotierten. Der Beat enthemmte die Körper für die Verlockungen der Nacht. Die Nacht war gekommen, um zu bleiben, und ließ sich von läppischen Hindernissen wie dem Morgengrauen oder dem 12-Uhr-Läuten (ha!) von hoch droben am Kirchturm erst gar nicht beeindrucken. Immer weiter, immer fort. Erdenhimmel, schöner Ort!

Im Anschluss des Debüts tauschte Andy Butler zwar seine Mitstreiter aus, um mit dem Projekt als lose Gemeinschaft fahrender Musizi neu definiert aber im Werk nicht allzu viel anders zu machen – auch wenn sich auf „Blue Songs“ 2011 House als Primärgenre etablierte und zwischendurch die Pop-Dosis etwas erhöht wurde. Für den sogenannten Musikstandort Wien nicht ganz unerheblich, zog es Butler übrigens nicht nur privat in die Bundeshauptstadt. Auch nahm er weite Teile des Albums mit Patrick Pulsinger in dessen Feedback-Studio im schönen Margareten auf. Aus einer Freundschaft mit dem Wiener Produzentenduo Microthol in seiner Rolle als eigene Tochterfirma mit dem Namen Ha-ze Factory entwickelte sich schließlich die nächste Zusammenarbeit, die wiederum den nun erscheinenden dritten Streich von Hercules And Love Affair verantwortet.

Zunächst einmal sticht „The Feast Of The Broken Heart“ aber mit seinem Cover ins Auge. Und das tut weh! Ja, hier hat man es mit einem wohl augenzwinkernd gemeinten Frontalangriff auf den guten Geschmack zu tun. In Kombination mit dem erinnerten Aviso, das Album selbst würde auch eine Fingerübung in Sachen House-Musik der frühen 90er Jahre werden, macht sich bald Skepsis breit. Immerhin ist es von da aus nie weit zur nächsten Eurodance-Gedenkparty. What is love? Baby don’t hurt me. 

Hübsch leidend 

Diese Einflüsse sind auf dem Album nun auch ebenso enthalten (und von Butler dann aber eh stimmig ins Werk integriert) wie andere Genreformalismen ihrer jeweiligen Zeit. Beispielsweise erklärt der robotergleiche Vocoder-Sprech von „My Offence“, wie die Düsseldorfer Elektronikpioniere von Kraftwerk als seltene europäische Ausnahme einst in Detroit auf die Black Music einwirkten. Und wir hören auch jenes angestaubte Keyboard-Preset („Dosch“!), das im Soundtrack zu Wolfgang Petersens Kriegsfilm „Das Boot“ in etwa so wichtig war wie die Mundharmonika in Sergio Leones Spaghetti-Western „Once Upon A Time In The West“.

Rhythmisch grundiert ist das Album in strammen und standesgemäß dem Roland-TR-909-Drumcomputer entnommenen House-Beats, die sich mit plingenden und plongenden Synthie-Bässen vereinen. Kurzgeschlossen wird diese höchst repetitive Grundlage einschlägiger Tracks aber immer mit dem Song als solchem. Gastsänger wie der belgische Countertenor Gustaph oder Rouge Mary mit ihrem nicht nur vergleichsweise dunklen Timbre singen dann über Liebesfreud und Herzeleid, queeres Außenseitertum und die Notwendigkeit, auch und vor allem gegen die Deppen da draußen konsequent immer man selbst zu sein.

Als ein Höhepunkt darf mit „I Try To Talk To You“ übrigens ein Song gelten, der John Grant als Gaststimme und neuer Bruder Butlers im Geiste hübsch leiden lässt. Das ist jetzt natürlich unfair, aber schon ein ziemliches Glück für uns. „Dosch!“ 

Hercules And Love Affair: The Feast Of The Broken Heart (Moshi Moshi/PIAS Cooperative

(Wiener Zeitung, 23.5.2014) 

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