Donnerstag, Juni 26, 2014

Das Kunstleid des Dinosauriers

Eddie Vedder und Pearl Jam erinnerten ihr Wiener Publikum an die Jugend 

Wenn etwas weniger lang dauert als drei Stunden, ist es für Eddie Vedder kein Konzert, sondern eine Aufwärmübung. Irgendwie muss man es 16.000 schwärmerisch gestimmten Besuchern in der ausverkauften Wiener Stadthalle ja kompensieren, dass man eher selten vorbeischaut. Zuletzt waren Pearl Jam 2006 am gleichen Ort zu erleben. Eddie Vedder erinnert sich. Das ist, nachdem er Wien vom Zettel ablesend mit Seattle verglichen und uns davor gewarnt hat, LSD zu konsumieren, während er großzügige Schlucke aus der ersten Flasche Rotwein nahm.

Drei Stunden wird es also auch heute dauern. 35 Songs stehen auf der täglich wechselnden Setlist. Seit dem Debütalbum „Ten“, das 1991 kein Hit war, bevor der kommerzielle Durchbruch Nirvanas Pearl Jam den Zustrom einer nach mehr Grunge aus Seattle düsternden Öffentlichkeit bescherte, steht man bekanntlich nicht nur für das erhöhte Arbeitsethos einer „erdigen“ Band. Man sorgte bald auch für den vermeintlichen Widerspruch, sich zwar mit der Musikindustrie anlegen und gar nicht berühmt sein zu wollen, die Massen dabei aber erst recht im Sturm zu erobern. Vor allem heute im Konzert offenbart sich die weitere Entwicklung in aller Üppigkeit. Als größte Überlebende der Keller-Bewegung aus Nordwest-Amerika gingen Pearl Jam als Stadion-Act hervor, der das Bedürfnis der gitarristischen Weltjugend von 1994 nach Nostalgie zunehmend in Nähe zum Dinosaurier-Rock stillen durfte.

Mit Eddie Vedder im Truckerbar-Look um ein offen getragenes Es-geht-ja-eh-um-nix-Hemd mit T-Shirt darunter und den Songs „Long Road“ und „Can’t Keep“ beginnt es noch recht verhalten. Immerhin müssen Pearl Jam heute beweisen, dass sie neben sehr vielen Songs, die relativ gleich und im Soundbrei der Stadthalle noch einmal gleicher klingen, einiges an Wechselspiel in Sachen Dynamik zu bieten haben. Neben kuscheligen Balladen gibt es also punkistisch geprügelte Donnerbolzen sowie angefunkten und bluesy Schwurbelrock mit langen Instrumentalteilen und den noch längeren Solos von Mike McCready an der Gitarre. 

Stellvertretend für den zwischen laut und luise oder ruppig und ruhig mäandernden Vortrag stehen auch zwei Coverversionen des diesbezüglichen Vorarbeiters Neil Young, den Eddie Vedder heute liebevoll als Onkel bezeichnet. Schließlich durfte man den Meister für sein Album „Mirror Ball“ 1995 als auf Statistenrolle degradierte Begleitband unterstützen. Solo an der akustischen Gitarre gibt Vedder dann das Heroin-Drama „The Needle And The Damage Done“, das ohne die nasal-dünne Stimme aber nicht so recht „gehen“ mag, und, mit der Restband, ein garagenrockistisches „F*!#inʼ Up“. Der erwähnte, unter Dinosaurier-Vorzeichen stehende Classic Rock schlägt hingegen mit nahe am Original gehaltenen Annäherungen an die Steve Miller Band („The Joker“) oder The Who („Baba O’Riley“) durch. Dazu passt es, dass Matt Cameron im Viervierteltakt mit den ihm zur Verfügung stehenden Becken ins Teenage Wasteland Bam-bam spielen geht.

Vom aktuellen Album „Lightning Bolt“ sind Songs wie „Sirens“ oder „Mind Your Manners“ dabei, die Fans nicht enttäuschen sollten. Trotzdem mehr Jubel kommt alten Welthits wie „Alive“ oder „Even Flow“ zu, bei denen Eddie Vedder zu Karrierebeginn mit Texten über kaputte Familien, Hass, Wahnsinn und Selbstmord und so mit Themen überraschte, die man einem frisch gebackenen Ex-Surfer gar nicht zugetraut hätte. 

Heute werden die frühen Inhalte zwar noch mit dem nötigen Kunstleid für ein Publikum aufbereitet, das an ein Ende der eigenen Jugend mit Mitte 30 zumindest an diesem Abend nicht denken will. Der Eindruck, dass sich Eddie Vedder als eh nicht zwiderer Dinosaurier mit „Joker“ und sich abzeichnender Wohlstandskontur längst viel wohler fühlt, ist am Ende aber nicht von der Hand zu weisen. 

(Wiener Zeitung, 27.6.2014)

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