Eddie Vedder und
Pearl Jam erinnerten ihr Wiener Publikum an die Jugend
Wenn
etwas weniger lang dauert als drei Stunden, ist es für Eddie Vedder kein
Konzert, sondern eine Aufwärmübung. Irgendwie muss man es 16.000 schwärmerisch
gestimmten Besuchern in der ausverkauften Wiener Stadthalle ja kompensieren,
dass man eher selten vorbeischaut. Zuletzt waren Pearl Jam 2006 am gleichen Ort
zu erleben. Eddie Vedder erinnert sich. Das ist, nachdem er Wien vom Zettel
ablesend mit Seattle verglichen und uns davor gewarnt hat, LSD zu konsumieren,
während er großzügige Schlucke aus der ersten Flasche Rotwein nahm.
Drei
Stunden wird es also auch heute dauern. 35 Songs stehen auf der täglich
wechselnden Setlist. Seit dem Debütalbum „Ten“, das 1991 kein Hit war, bevor der
kommerzielle Durchbruch Nirvanas Pearl Jam den Zustrom einer nach mehr Grunge
aus Seattle düsternden Öffentlichkeit bescherte, steht man bekanntlich nicht
nur für das erhöhte Arbeitsethos einer „erdigen“ Band. Man sorgte bald auch für
den vermeintlichen Widerspruch, sich zwar mit der Musikindustrie anlegen und
gar nicht berühmt sein zu wollen, die Massen dabei aber erst recht im Sturm zu
erobern. Vor allem heute im Konzert offenbart sich die weitere Entwicklung in
aller Üppigkeit. Als größte Überlebende der Keller-Bewegung aus Nordwest-Amerika
gingen Pearl Jam als Stadion-Act hervor, der das Bedürfnis der gitarristischen Weltjugend
von 1994 nach Nostalgie zunehmend in Nähe zum Dinosaurier-Rock stillen durfte.
Mit
Eddie Vedder im Truckerbar-Look um ein offen getragenes Es-geht-ja-eh-um-nix-Hemd
mit T-Shirt darunter und den Songs „Long Road“ und „Can’t Keep“ beginnt es noch
recht verhalten. Immerhin müssen Pearl Jam heute beweisen, dass sie neben sehr
vielen Songs, die relativ gleich und im Soundbrei der Stadthalle noch einmal
gleicher klingen, einiges an Wechselspiel in Sachen Dynamik zu bieten haben.
Neben kuscheligen Balladen gibt es also punkistisch geprügelte Donnerbolzen sowie
angefunkten und bluesy Schwurbelrock mit langen Instrumentalteilen und den noch
längeren Solos von Mike McCready an der Gitarre.
Stellvertretend für den zwischen laut und luise oder ruppig und ruhig mäandernden Vortrag
stehen auch zwei Coverversionen des diesbezüglichen Vorarbeiters Neil Young,
den Eddie Vedder heute liebevoll als Onkel bezeichnet. Schließlich durfte man
den Meister für sein Album „Mirror Ball“ 1995 als auf Statistenrolle
degradierte Begleitband unterstützen. Solo an der akustischen Gitarre gibt
Vedder dann das Heroin-Drama „The Needle And The Damage Done“, das ohne die
nasal-dünne Stimme aber nicht so recht „gehen“ mag, und, mit der Restband, ein
garagenrockistisches „F*!#inʼ Up“. Der erwähnte, unter Dinosaurier-Vorzeichen
stehende Classic Rock schlägt hingegen mit nahe am Original gehaltenen
Annäherungen an die Steve Miller Band („The Joker“) oder The Who („Baba
O’Riley“) durch. Dazu passt es, dass Matt Cameron im Viervierteltakt mit den
ihm zur Verfügung stehenden Becken ins Teenage Wasteland Bam-bam spielen geht.
Vom
aktuellen Album „Lightning Bolt“ sind Songs wie „Sirens“ oder „Mind Your
Manners“ dabei, die Fans nicht enttäuschen sollten. Trotzdem mehr Jubel kommt
alten Welthits wie „Alive“ oder „Even Flow“ zu, bei denen Eddie Vedder zu
Karrierebeginn mit Texten über kaputte Familien, Hass, Wahnsinn und Selbstmord und so mit Themen überraschte, die man einem frisch
gebackenen Ex-Surfer gar nicht zugetraut hätte.
Heute werden die frühen Inhalte zwar noch mit
dem nötigen Kunstleid für ein Publikum aufbereitet, das an ein Ende der eigenen
Jugend mit Mitte 30 zumindest an diesem Abend nicht denken will. Der Eindruck,
dass sich Eddie Vedder als eh nicht zwiderer Dinosaurier mit „Joker“ und sich
abzeichnender Wohlstandskontur längst viel wohler fühlt, ist am Ende aber nicht
von der Hand zu weisen.
(Wiener Zeitung, 27.6.2014)
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