US-Musiker
Prince gastierte in Wien – mit vielen Hits, mehr Funk und dem meisten Gefühl.
Es beginnt mit dem Anfang. Im Anfang ist im Rock
’n’ Roll immer das Licht. Erst wenn das Licht ausgeht, zieht die Gotthoheit der
Musik in die Halle ein, um die Messe zu eröffnen und sich von den Jüngern
lobpreisen zu lassen. Bei Prince geht das Licht zunächst einmal aus, um gleich
wieder anzugehen – ehe es erneut finster, noch einmal hell und dann wieder
dunkel wird. Anspannung, Verwunderung, Irritation. Buh! Ja, so klingt es, wenn
das Publikum dem seit 2010 vom baldigen Ende des Internets überzeugten Analogmenschen
Prince in echt zu erklären beginnt, was ein Shitstorm ist. Wie bitte, was?
Okay, fangen wir an.
Das
Handy als Feind
Auf der Bühne erscheint Prince aktuell als
Jimi-Hendrix-Lookalike mit Wuschelafro und seiner Frauenband 3rdEyeGirl als
Begleitung. Diese wurde bereits vor Konzertbeginn ausgeschickt und durfte die
9700 in die Wiener Stadthalle gepilgerten Besucher nicht nur darüber informieren,
dass der Abend heute „amazing“ werde. Vor allem auch solle man deshalb
verzichten, sich deppert mit dem Smartphone zu spielen oder – Gott behüte! –
gar einen Film zu drehen. Der später auch von den Stadthallen-Securities
eingemahnte Wunsch seiner Merkwürden macht den Ärger über die von der
Gesetzgebung verantwortete Tatsache spürbar, dass auf ein Konzert-Selfie nicht
lebenslang steht. Oder zumindest ein Jahr Abu Ghuraib. Oder die vermutete
Höchststrafe, wenn es nach Prince selbst ginge: Nie wieder Sex!
Im Publikum wiederum hat man damit zu kämpfen,
dass einem die Musik gleich eingangs die Frisur aufstellt. Prince hat fleißig
geübt – der Wuschelafro! – und vollstreckt das programmatische „Let’s Go Crazy“
im auch verhältnismäßig gar nicht so guten Sound seines Spätwerks, das live
noch mit Songs wie etwa „Guitar“ oder „Screwdriver“ zum Zug kommen wird. Dank
Kuhglocke, feist geprügelten Stadionrock-Schlagzeugs, Dampfhammer-Riffs und der
zur enganliegenden Lederhose der Leadgitarristin passenden Hardrock-Solos, die
zwischen den Beinen oder hinter dem Genick gespielt werden, ist vorerst Skepsis
angesagt, während im Hintergrund das Kunstfeuer hochzüngelt. Immerhin
demonstriert Prince hier als Falsettsänger mit der „purple banana“ in der Hose
auch seine Vorreiterschaft in Sachen Pornopop und Verwischung der
Geschlechtergrenzen. Der Mann, die Banane, die Wurst! Ja, wir haben uns heute
versammelt, um gemeinsam Lumpi zu spielen. „Vienna, are you hot? Shake it!“
Hits
und Schwurbelsolos
Zum Glück erübrigt sich die Sache mit dem
Stampfrock vorerst. Prince muss jetzt fix beweisen, dass er schon immer viele
auf einmal war. Das gilt, abgesehen von wechselnden Standortbestimmungen
zwischen innerhalb oder außerhalb der Musikindustrie, mit oder ohne Internet
oder dem alten, in „I Would Die 4 U“ gezeichneten Selbstporträt „I’m not a woman / I’m not a man / I
am something that you’ll never understand“, vor allem auch stilistisch. Mit
Prince an den Tasten und den monoton-maschinellen Pluckerbeats von „Hot Thing“
oder „When Doves Cry“ stellen sich nicht etwa erste Highlights, sondern, wie es
bei Prince eindeutig zweideutig heißen muss, erste Höhepunkte ein. Die Halle
groovt. Der Bär steppt. Die heißen Leute von Vienna schüttelt es bereits
erheblich! Das ist noch vor funky Welthits wie „Kiss“, dem heute erhaben wie eh
und je und in einer Zehn-Minuten-Version gegebenen „Purple Rain“, „Nothing
Compares 2 U“ als standesgemäß leidend vorgetragenem Herzschmerz-Drama oder der
zur Ballade umarrangierten Unterleibsstudie „Little Red Corvette“, mit der
Prince einen Akt vertont. 3rdEyeGirl, shaky people of Vienna, bitte: „Slow
down!“ Vom Hudeln kommen bekanntlich die Kinder. Und heute soll es doch um das
Liebemachen gehen, und nicht um die Nebenwirkungen.
Den
Abend seines 56. Geburtstags, der ihm noch ein Ständchen durch das Publikum
einbringen wird, das es trotzig abzumoderieren gilt („I am trying to get
younger!!“), legt Prince sichtlich und hörbar als Demonstration seines agilen Ist-Zustands
sowie auch einer Weltkarriere als sogenannter „Recording Artist“ bis zumindest
in die 90er Jahre an. „Austria, do you know how many hits I’ve got?“ – „1999“,
„The Beautiful Ones“, „Diamonds And Pearls“, „U Got The Look“ oder „Raspberry
Beret“ etwa stehen noch auf dem Programm. Und natürlich auch die nicht erst auf
Dauer anstrengenden, aus der Körpermitte geschossenen Schwurbelsolos, die
später zwischen Funkrockjams und dem eingangs vernommenen Stadionwahnsinn
oszillieren und dabei mit Prince um die Wette kreischen. Das muss man mögen.
Vienna, Austria mag das. Es ist sehr heiß, es schwitzt und riecht sexy.
Dafür gibt es lila Konfettiregen, viele
Thank-you-Viennas und noch mehr Zugaben. Um kurz vor elf ist aber Schluss. Die
Frau am Bühnenrand ist vermutlich ein Groupie, und die Aftershow-Party hat in
der Hotelsuite zu starten.
(wienerzeitung.at, 8.6.2014)
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