Sonntag, Juni 08, 2014

Der Mann, der das Feuer hat

US-Musiker Prince gastierte in Wien – mit vielen Hits, mehr Funk und dem meisten Gefühl. 

Es beginnt mit dem Anfang. Im Anfang ist im Rock ’n’ Roll immer das Licht. Erst wenn das Licht ausgeht, zieht die Gotthoheit der Musik in die Halle ein, um die Messe zu eröffnen und sich von den Jüngern lobpreisen zu lassen. Bei Prince geht das Licht zunächst einmal aus, um gleich wieder anzugehen – ehe es erneut finster, noch einmal hell und dann wieder dunkel wird. Anspannung, Verwunderung, Irritation. Buh! Ja, so klingt es, wenn das Publikum dem seit 2010 vom baldigen Ende des Internets überzeugten Analogmenschen Prince in echt zu erklären beginnt, was ein Shitstorm ist. Wie bitte, was? Okay, fangen wir an.  

Das Handy als Feind 

Auf der Bühne erscheint Prince aktuell als Jimi-Hendrix-Lookalike mit Wuschelafro und seiner Frauenband 3rdEyeGirl als Begleitung. Diese wurde bereits vor Konzertbeginn ausgeschickt und durfte die 9700 in die Wiener Stadthalle gepilgerten Besucher nicht nur darüber informieren, dass der Abend heute „amazing“ werde. Vor allem auch solle man deshalb verzichten, sich deppert mit dem Smartphone zu spielen oder – Gott behüte! – gar einen Film zu drehen. Der später auch von den Stadthallen-Securities eingemahnte Wunsch seiner Merkwürden macht den Ärger über die von der Gesetzgebung verantwortete Tatsache spürbar, dass auf ein Konzert-Selfie nicht lebenslang steht. Oder zumindest ein Jahr Abu Ghuraib. Oder die vermutete Höchststrafe, wenn es nach Prince selbst ginge: Nie wieder Sex!

Im Publikum wiederum hat man damit zu kämpfen, dass einem die Musik gleich eingangs die Frisur aufstellt. Prince hat fleißig geübt – der Wuschelafro! – und vollstreckt das programmatische „Let’s Go Crazy“ im auch verhältnismäßig gar nicht so guten Sound seines Spätwerks, das live noch mit Songs wie etwa „Guitar“ oder „Screwdriver“ zum Zug kommen wird. Dank Kuhglocke, feist geprügelten Stadionrock-Schlagzeugs, Dampfhammer-Riffs und der zur enganliegenden Lederhose der Leadgitarristin passenden Hardrock-Solos, die zwischen den Beinen oder hinter dem Genick gespielt werden, ist vorerst Skepsis angesagt, während im Hintergrund das Kunstfeuer hochzüngelt. Immerhin demonstriert Prince hier als Falsettsänger mit der „purple banana“ in der Hose auch seine Vorreiterschaft in Sachen Pornopop und Verwischung der Geschlechtergrenzen. Der Mann, die Banane, die Wurst! Ja, wir haben uns heute versammelt, um gemeinsam Lumpi zu spielen. „Vienna, are you hot? Shake it!“ 

Hits und Schwurbelsolos 

Zum Glück erübrigt sich die Sache mit dem Stampfrock vorerst. Prince muss jetzt fix beweisen, dass er schon immer viele auf einmal war. Das gilt, abgesehen von wechselnden Standortbestimmungen zwischen innerhalb oder außerhalb der Musikindustrie, mit oder ohne Internet oder dem alten, in „I Would Die 4 U“ gezeichneten Selbstporträt „I’m not a woman / I’m not a man / I am something that you’ll never understand“, vor allem auch stilistisch. Mit Prince an den Tasten und den monoton-maschinellen Pluckerbeats von „Hot Thing“ oder „When Doves Cry“ stellen sich nicht etwa erste Highlights, sondern, wie es bei Prince eindeutig zweideutig heißen muss, erste Höhepunkte ein. Die Halle groovt. Der Bär steppt. Die heißen Leute von Vienna schüttelt es bereits erheblich! Das ist noch vor funky Welthits wie „Kiss“, dem heute erhaben wie eh und je und in einer Zehn-Minuten-Version gegebenen „Purple Rain“, „Nothing Compares 2 U“ als standesgemäß leidend vorgetragenem Herzschmerz-Drama oder der zur Ballade umarrangierten Unterleibsstudie „Little Red Corvette“, mit der Prince einen Akt vertont. 3rdEyeGirl, shaky people of Vienna, bitte: „Slow down!“ Vom Hudeln kommen bekanntlich die Kinder. Und heute soll es doch um das Liebemachen gehen, und nicht um die Nebenwirkungen.

Den Abend seines 56. Geburtstags, der ihm noch ein Ständchen durch das Publikum einbringen wird, das es trotzig abzumoderieren gilt („I am trying to get younger!!“), legt Prince sichtlich und hörbar als Demonstration seines agilen Ist-Zustands sowie auch einer Weltkarriere als sogenannter „Recording Artist“ bis zumindest in die 90er Jahre an. „Austria, do you know how many hits I’ve got?“ – „1999“, „The Beautiful Ones“, „Diamonds And Pearls“, „U Got The Look“ oder „Raspberry Beret“ etwa stehen noch auf dem Programm. Und natürlich auch die nicht erst auf Dauer anstrengenden, aus der Körpermitte geschossenen Schwurbelsolos, die später zwischen Funkrockjams und dem eingangs vernommenen Stadionwahnsinn oszillieren und dabei mit Prince um die Wette kreischen. Das muss man mögen. Vienna, Austria mag das. Es ist sehr heiß, es schwitzt und riecht sexy.

Dafür gibt es lila Konfettiregen, viele Thank-you-Viennas und noch mehr Zugaben. Um kurz vor elf ist aber Schluss. Die Frau am Bühnenrand ist vermutlich ein Groupie, und die Aftershow-Party hat in der Hotelsuite zu starten.

(wienerzeitung.at, 8.6.2014)  

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