Für den Rock ’n’ Roll als Spielwiese des Primärtriebs im Grunde erstaunlich, spielte die Kulinarik in der diesbezüglichen Kulturgeschichte bisher eine untergeordnete Rolle. Einschlägig bekannt sind der Hunger auf Heroin sowie ein Appetit auf Amphetamine. Schon demnächst wird man sich bei den Rolling Stones im Wiener Ernst-Happel-Stadion oder bei DJ Spargeltarzan im Trendclub davon überzeugen können, dass diese einseitige Askese zwar nicht unbedingt auch jung und schön, oft zumindest aber dünn hält.
Bereits im Hardrock der späten 70er Jahre hatte man vermutlich von Elvis Presley gelernt und die Unvereinbarkeit erkannt, die zwischen enganliegenden Hosen, knochig geschnittenen Fleisch-Leiberln und einem auf Fettbombe gestellten Menüplan besteht. Bei gleichzeitiger Umstellung auf Flüssignahrung mit Pausen in Pulverform wurde das Wort „Rezept“ nur mehr in Hinsicht auf die Welteroberung per Musik oder verschreibungspflichtige Wohlbefindenswiederhersteller verwendet.
Umso interessanter die Ausnahmen und etwa das von Keith Richards in seiner Biografie „Life“ abgelegte Geständnis, zwar nur selten etwas, dann aber „Würstchen mit Kartoffelbrei“ zu verzehren. Die beigelegte Versuchsanordnung („Dann schaukelt man die kleinen Scheißer ein bisschen hin und her und dreht sie alle paar Minuten um“) erinnert man als beinahe so legendär wie Reinhold Bilgeris Auftritt in der ORF-Sendung „Frisch gekocht“ im Jahr 2004. Schließlich wurde damals versucht, das Lebensmotto so manchen Austropop-Stars (Immer voll im Öl!) auf ein Putengeschnetzeltes zu übertragen. Man sah, man staunte und konnte – im Gegensatz zur Entwicklung Blixa Bargelds vom quasi-anorektischen Mikrofonständer der Einstürzenden Neubauten zum verdoppelten Genussspecht – selbst als Jungstudent nichts davon lernen. Wobei wiederum die Nachahmung des Bargeldʼschen Hobbys, mehr als das studentische Monatsbudget an einem Abend im Wirtshaus zu lassen, dem Kapitalismus zum Opfer fiel.
Nach kulinarisch verheerenden Saisonen zwischen Knobibrot, Styropor-Pizza und ähnlichen Angeboten der Sorte „Wir sagen Essen dazu“ kommt ab nächster Woche übrigens auch das burgenländische Nova-Rock-Festival in der Genusszone an. Es werden dann Steppenrind, Moorochsen-Leberkäse und veganer Couscous gereicht, was zwar Blixa Bargeld keineswegs beeindrucken könnte. Lemmy Kilmister und seine heuer ausnahmsweise eh nicht anwesenden Kollegen von Motörhead hingegen wären nach 39 auf Whisky-Cola-, Rotwein- und Marlboro-Abusus beschränkten Dienstjahren entsetzt. Ja, die einen nennen es Wahnsinn – die anderen Rock ’n’ Roll.
(Wiener Zeitung, 7./8.6.2014)
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