Freitag, Juni 06, 2014

Honky Tonk mit Herz

Traditionspflege: Jack White veröffentlicht sein zweites Soloalbum „Lazaretto“ 

Grundsätzlich einmal gibt es Männer, die in der Freizeit Bällen hinterherlaufen oder Autos beim Im-Kreis-Fahren zusehen. Männer, die auf Modellflugzeuge starren, mit Pfeilen auf im Pub hängende Zielscheiben schießen oder dem Freundeskreis grobe Fleischteile braten. Aber auch die Strohhalme vor dem Eigenheim auf Einheitslänge zu trimmen, aus Bauholz Gebrauchsgegenstände zu hobeln oder im Keller auf ein Drumset zu schlagen gilt als beliebt, wenn es um das Zubringen von Mußestunden geht. 

Aus der Ursuppe 

Damit lassen sich Stress in der Arbeit oder Langeweile im Alltag kompensieren. Wobei diese Leidenschaften bei gleichzeitigem Vorhandensein von Talent nicht selten auch auf den Karriereweg führen. Man wird dann hauptberuflich Fußballgott Messi, Biogärtner Ploberger oder Feinschmecker Hohenlohe. In Detroit wiederum beschloss John Anthony Gillis als mit seinem Job unzufriedener Polsterer in den 90er Jahren, auf Jack White umzusatteln und sich als erfolgreichster Bluesmusiker seiner Generation zu verdingen. Gemeinsam mit seiner zukünftigen Ex-Frau Meg White als Mann-Frau-Duo The White Stripes wurde die Ursuppe des Rock ’n’ Roll mit groben Riffs aus dem Mississippi-Delta dabei nicht etwa nur aufgeköchelt. Bei reduziert-roher Ästhetik und den für die Charts notwendigen Hits durfte man nichts weniger als der Wiederbelebung eines Genres beiwohnen.

Nach dem Ende der White Stripes mit seinem in Nashville ansässigen Third-Man-Label und auf analoge Vintage-Gerätschaft spezialisierter Produzent aktiv, ist Jack White heute aber mehr denn je auf Traditionspflege gebucht. Ebenso wie Charakterzüge verstärken sich auch die Vorlieben im Alter. Die Vorlieben wurzeln in der Vergangenheit und führen dazu, dass man in abendlichen Männerrunden lieber zurück als nach vorne blickt. Und weil man sich oft nicht mehr so genau erinnert, gibt es auch dabei neue Erkenntnisse! Jack White etwa rückt seit seiner Ankunft im musikalischen Epizentrum Tennessees das ganze Americana-Spektrum in den Fokus. In der Tradition seines Solodebüts „Blunderbuss“ von 2012 stehend wird dieser Umstand vor allem auf dem nun erscheinenden Zweitling „Lazaretto“ offenkundig. 

Frauen und Fideln 

Zwar stehen mit „Three Women“ und dem Titelstück auch hier zwei Bluesrock-Stampfer am Beginn der 40 Spielminuten. Mit der fidelen Hinterlandfidel, unisono mit uns in den Bierhumpen heulenden Steel-Gitarren und dem Honky-Tonk-Klavier, das zum Countrywalzer mit der reschen Kaschemmenwirtin lädt, landet man aber bald im dynamischen Wechselspiel aus zurückgenommenem Country und rockenden Ramblern. Eine im Countryfolk von „Temporary Ground“ vernommene Textzeile gilt dabei natürlich auch für Jack White selbst – „The old explorers had it easy / They discovered nothing new“ –, der hier ein Erbe kultiviert und dabei kein Hitalbum mehr abliefern mag; die Verve im und der Spaß am Wiedergang sollten der Stammhörerschaft aber auch diesmal Freude bereiten.

Das bedeutet bisweilen Rolling-Stone-Leser frohlocken lassenden, in seiner Annäherung an das Doppel Jagger/Richards etwas gar feisten Altherrenrock („Just One Drink“) und den einen oder anderen Songtext, hinter dem man ein fiktives Protagonisten-Ich erhoffen muss. Man höre den gespielten Bluesrocker-Machismo von „Three Women“ oder das etwas gar larmoyante „Would You Fight For My Love?“, das allerdings als Machtdemonstration in Sachen Songwriting daherkommt. Sehr hübsch anzuhören auch das beschwingt-melodiöse „Alone In My Home“ oder das Ennio Morricone im Wissen um Led Zeppelin unter Starkstrom setzende Instrumental „High Ball Stepper“.

Zum Thema Leidenschaft gibt es auf dem Album übrigens auch ein Zitat: „People do their best to not let passion begin / It’s dead before it has a chance to start“ – das wiederum trifft auf Jack White exakt überhaupt nicht zu. 

Jack White: Lazaretto (Third Man/XL Recordings/Indigo)

(Wiener Zeitung, 7./8.6.2014) 

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