Donnerstag, Juni 05, 2014

Schmusig in die Federn

US-Popstardarsteller Justin Timberlake gefiel sich und seinem Publikum live in Wien 

Die live als etwas gar garstiger Soundbrei aus den Boxen böllernde Musik nimmt es natürlich schon einmal vorweg. Man hat es beim Konzert von Justin Timberlake vor 14.000 vom ersten Moment an erstaunlich begeisterten Besuchern mit dem wieder einmal letzten Maximalaufgebot der Musikindustrie zu tun. Justin Timberlake, so besagt es die Show, ist größer als Michael Jackson, Prince und deine Mutter in Personalunion. Und, so sagt es der Kapitalismus, man muss auch zeigen, was man hat. Man muss es hinausbrüllen in die Welt und mit Freude am Protz auch zur Schau stellen wollen. 

In der Einserpanier 

Der Popstardarsteller Justin Timberlake mit einer Vergangenheit als Teenie-Star aus dem US-Mickey-Mouse-Club und Frontmann der heute ironisch vielleicht schon wieder als gut durchgehenden Boyband ʼN Sync hat ziemlich viel. Schuld daran sind nicht nur die musikalisch mit lediglich zwei Solo-Alben zugebrachten Nullerjahre, in denen der heute 33-Jährige zum erfolgreichsten Vertreter seiner Zunft mutierte. Auch die parallel forcierte Schauspiel-Karriere sowie vor allem ein geschicktes Händchen für Investments und etwa die Lizensierung seiner Kunst für eine globale Fastfood-Kette – der Kapitalismus! – mit dem also auf den Helden des Abends zurückgehenden Werbeslogan „I’m lovinʼ it!“ wären zu nennen.

Auf einer sehr großen Bühne, die sehr vieles und vermutlich noch mehr kann – als Höhepunkt des Konzerts wird schließlich ein  Gestell ausgefahren, das sich mit Justin Timberlake und seinen Mitstreitern obendrauf durch die ganze Stadthalle schiebt –, präsentiert sich der Sänger also in der ihm von Stardesigner Tom Ford für eine Lawine harter US-Dollars auf den Leib geschneiderten Einserpanier. Publikumsseitig hat man dafür bis zu 344,9 Euro per VIP-Package („Zugang zu einer eigenen Bar. Getränke NICHT enthalten!“) ausgegeben. Dafür aber gefällt sich Justin Timberlake auch mit einer Armada von im Rahmen der aktuellen Tour seit November 2013 um die Welt gekarrten Mitmusikern, die ihm wahlweise die nötige US-Südstaaten-Credibility (ha, ha, ha!) oder am Puls der Zeit von 2006 errichteten Neo-R&B unterjubeln. Ein Hit des Abends heißt „What Goes Around… Comes Around“. Die Redewendung dahinter bedeutet in etwa, dass man heute auch etwas zurückbekommen wird.

Zum Beispiel die Erkenntnis, dass das Geschehen allen Bemühungen Timberlakes zum Trotz, sich als zeitgemäße Variante eines klassischen Entertainers zwischen Undercut und den von Rihanna geborgten Gebrauchsbeats zu inszenieren, bisweilen noch immer unter dem Erbe der Boygroup-Zeit leidet. Einstudierte Gesten, öde Routine. Perfektion! Und natürlich auch wasserstoffblond bis bauchfrei hopsende Tänzerinnen, die vor allem ihr Haar schütteln dürfen. Vor lauter Sich-Wundern, ob man vorher doch nicht die U6 in Richtung Floridsdorf, sondern die Zeitmaschine nach 1998 genommen hat, hätte man beinahe vergessen, dass Justin Timberlake ja der Mann ist, der uns „sexy“ zurückbrachte: „I’m bringing sexy back / Them other boys don’t know how to act“ – der Sänger gegen Ende im kollektiv bejubelten „SexyBack“ entsprechend den Macker markierend. 

Anbahnungssoul 

Neben von stadthallenhohen Falsettgesängen geprägten Herzschmerzvertreibungs-Hits wie „Cry Me A River“ als Verarbeitung der seinerzeitigen Trennung von Britney Spears geht es mit schmusig gestimmtem GV-Anbahnungssoul und Justin Timberlake auf den Knien auf zu neuen Abenteuern. Baby, das Leben ist zu kurz, um alleine und ohne „sexy“ zu sein! Spürst du auch dieses Gefühl in der Leibesmitte und die Schmetterlinge tief drinnen im Bauch?

Live mit zusätzlicher Drastik versehen wird das so abgesteckte Terrain mit käsigen Stromrocksolos, wie sie Slash in den 90er Jahren noch für Michael Jackson schwurbeln durfte. Das ist in der Wiener Stadthalle zumindest zwischendurch auch hart an der Grenze zum Operettenrock. Der King of Pop wird übrigens ebenso gecovert wie der echte King mit einer weichgespült arrangierten Version von „Heartbreak Hotel“. Aneignungen aus eigener Feder wiederum gibt es mit dem Jackson-5-gleich groovenden „Rock Your Body“ oder „Until The End Of Time“, einer Schlafzimmerballade auf den Spuren von Prince. Abgerundet wird das musikalische Gesamtbild vom unerheblichen Ö3-Pop aktueller Songs wie „Mirrors“ oder „Not A Bad Thing“. 

Nach einer Nettospielzeit von 130 Minuten jedenfalls ist das Publikum bester Stimmung. Der Boden zittert, die Halle bebt. Ob es auch daran liegt, dass es jetzt in die Federn geht, wo man sich doch gerade so schmusig fühlt?

(Wiener Zeitung, 6.6.2014)

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