US-Popstardarsteller
Justin Timberlake gefiel sich und seinem Publikum live in Wien
Die
live als etwas gar garstiger Soundbrei aus den Boxen böllernde Musik nimmt es
natürlich schon einmal vorweg. Man hat es beim Konzert von Justin Timberlake
vor 14.000 vom ersten Moment an erstaunlich begeisterten Besuchern mit dem
wieder einmal letzten Maximalaufgebot der Musikindustrie zu tun. Justin
Timberlake, so besagt es die Show, ist größer als Michael Jackson, Prince und
deine Mutter in Personalunion. Und, so sagt es der Kapitalismus, man muss auch
zeigen, was man hat. Man muss es hinausbrüllen in die Welt und mit Freude am
Protz auch zur Schau stellen wollen.
In der
Einserpanier
Der
Popstardarsteller Justin Timberlake mit einer Vergangenheit als Teenie-Star aus
dem US-Mickey-Mouse-Club und Frontmann der heute ironisch vielleicht schon
wieder als gut durchgehenden Boyband ʼN Sync hat ziemlich viel. Schuld daran
sind nicht nur die musikalisch mit lediglich zwei Solo-Alben zugebrachten
Nullerjahre, in denen der heute 33-Jährige zum erfolgreichsten Vertreter seiner
Zunft mutierte. Auch die parallel forcierte Schauspiel-Karriere sowie vor allem
ein geschicktes Händchen für Investments und etwa die Lizensierung seiner Kunst
für eine globale Fastfood-Kette – der Kapitalismus! – mit dem also auf den
Helden des Abends zurückgehenden Werbeslogan „I’m lovinʼ it!“ wären zu nennen.
Auf
einer sehr großen Bühne, die sehr vieles und vermutlich noch mehr kann – als
Höhepunkt des Konzerts wird schließlich ein
Gestell ausgefahren, das sich mit Justin Timberlake und seinen
Mitstreitern obendrauf durch die ganze Stadthalle schiebt –, präsentiert sich
der Sänger also in der ihm von Stardesigner Tom Ford für eine Lawine harter
US-Dollars auf den Leib geschneiderten Einserpanier. Publikumsseitig hat man
dafür bis zu 344,9 Euro per VIP-Package („Zugang zu einer eigenen Bar. Getränke NICHT
enthalten!“) ausgegeben. Dafür aber gefällt sich Justin Timberlake auch mit einer
Armada von im Rahmen der aktuellen Tour seit November 2013 um die Welt gekarrten
Mitmusikern, die ihm wahlweise die nötige US-Südstaaten-Credibility (ha, ha, ha!)
oder am Puls der Zeit von 2006 errichteten Neo-R&B unterjubeln. Ein Hit des Abends heißt „What Goes Around… Comes
Around“. Die
Redewendung dahinter bedeutet in etwa, dass man heute auch etwas zurückbekommen
wird.
Zum
Beispiel die Erkenntnis, dass das Geschehen allen Bemühungen Timberlakes zum
Trotz, sich als zeitgemäße Variante eines klassischen Entertainers zwischen
Undercut und den von Rihanna geborgten Gebrauchsbeats zu inszenieren, bisweilen
noch immer unter dem Erbe der Boygroup-Zeit leidet. Einstudierte Gesten, öde
Routine. Perfektion! Und natürlich auch wasserstoffblond bis bauchfrei hopsende
Tänzerinnen, die vor allem ihr Haar schütteln dürfen. Vor lauter Sich-Wundern,
ob man vorher doch nicht die U6 in Richtung Floridsdorf, sondern die
Zeitmaschine nach 1998 genommen hat, hätte man beinahe vergessen, dass Justin
Timberlake ja der Mann ist, der uns „sexy“ zurückbrachte: „I’m bringing sexy
back / Them other boys don’t know how to act“ – der Sänger gegen Ende im
kollektiv bejubelten „SexyBack“ entsprechend den Macker markierend.
Anbahnungssoul
Neben
von stadthallenhohen Falsettgesängen geprägten Herzschmerzvertreibungs-Hits wie
„Cry Me A River“ als Verarbeitung der seinerzeitigen Trennung von Britney
Spears geht es mit schmusig gestimmtem GV-Anbahnungssoul und Justin Timberlake
auf den Knien auf zu neuen Abenteuern. Baby, das Leben ist zu kurz, um alleine
und ohne „sexy“ zu sein! Spürst du auch dieses Gefühl in der Leibesmitte und
die Schmetterlinge tief drinnen im Bauch?
Live
mit zusätzlicher Drastik versehen wird das so abgesteckte Terrain mit käsigen
Stromrocksolos, wie sie Slash in den 90er Jahren noch für Michael Jackson
schwurbeln durfte. Das ist in der Wiener Stadthalle zumindest zwischendurch
auch hart an der Grenze zum Operettenrock. Der King of Pop wird übrigens ebenso
gecovert wie der echte King mit einer weichgespült arrangierten Version von
„Heartbreak Hotel“. Aneignungen aus eigener Feder wiederum gibt es mit dem
Jackson-5-gleich groovenden „Rock Your Body“ oder „Until The End Of Time“,
einer Schlafzimmerballade auf den Spuren von Prince. Abgerundet wird das
musikalische Gesamtbild vom unerheblichen Ö3-Pop aktueller Songs wie „Mirrors“
oder „Not A Bad Thing“.
Nach
einer Nettospielzeit von 130 Minuten jedenfalls ist das Publikum bester
Stimmung. Der Boden zittert, die Halle bebt. Ob es auch daran liegt, dass es
jetzt in die Federn geht, wo man sich doch gerade so schmusig fühlt?
(Wiener Zeitung, 6.6.2014)
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