US-Blues-Wiedergänger
Seasick Steve kommt am Donnerstag in die Wiener Arena
Der
musikalische Durchbruch unter eigenem (Künstler-)Namen kam ab 2006 erst in
seinen Sechzigern. Das mag der Logik der Poprockindustrie und ihrem Lechzen
nach frischem Blut und unverbrauchten Kräften zwar widersprechen. Allerdings
ist Seasick Steve der Mann mit dem Blues. Und den Blues kauft man einem grauen
Panther dann doch eher ab als einem Jungspund mit ohne Bart oder äußere und
innere Narben, die vom Leben selbst in die Biografie eingekerbt wurden. Ja, für
diese Musik braucht es alte Männer mit dicker Haut, die aussieht wie ein grobes
Stück Holz nach zu vielen zu langen Jahren draußen in der harten US-Peripherie,
wo Wolf und Bär nicht die geringsten Feinde des Landstreichers vor dem
Lagerfeuer sein dürften.
Nachdem
der früh unter der gewalttätigen Hand seines Stiefvaters leidende, ursprünglich
als Steven Gene Wold geborene heutige Musiker im Alter von 13 Jahren Reißaus
von Zuhause nahm, ging es bald darum, ein bis auf das nunmehrige Schaffen
nachwirkendes Leben als Hobo zu führen. Das bedeutete eine Grundausbildung im
Fach „Wie man auf einen fahrenden Güterzug aufspringt und diesen wieder sicher verlässt
– gesucht: Heuballen, Kornfelder, Blumenwiesen!“ und anschließende Fahrten
durch das ewige Hinterland auf der Suche nach Tagelohn. Wobei die daraus
entstandenen, durchaus sehr gut zum Blues passenden Mythen, die Seasick Steve noch
heute umranken, mitunter als das Ergebnis imaginativer journalistischer Prosa zu
bezeichnen sind. Der Porträtierte korrigiert das Bild dann in Interviews. Das
Leben als Hobo etwa sei überhaupt nicht romantisch. Und tatsächlich will man
sich einen Lastenwaggon mit ungekampelten Männern mit Hang zu Bohnen, Zwiebeln
und Speck und definitiv keinem Rosenduft-Duschgel nicht näher vorstellen.
Eigenbau-Instrumente
In
Sachen Musik verdingte sich Wold zunächst als Sessiongitarrist, Toningenieur
und Produzent. Frühe Alben der US-Band Modest Mouse etwa führen seinen Namen im
Kleingedruckten an. Nach dem Langspieler „Cheap“ gemeinsam mit der
skandinavischen Band The Level Devils im Jahr 2004 und seinem Solodebüt zwei
Jahre später mit den daheim in der Kuchl eingespielten Songs von „Dog House
Music“ sorgte schließlich ein umjubelter Auftritt in Jools Hollands alljährlich
zu Silvester ausgestrahlter BBC-Sendung „Hootenanny“ für den Durchbruch.
Seasick Steve präsentierte seine Kunst dort an Trademarkinstrumenten wie einem
Holzscheitl mit bloß einer Saite, über die der Flaschenhals bis heute mit
großem Nachdruck schrubbt, oder seiner archaischen „Mississippi Drum Machine“. Darunter
darf man sich nicht mehr als eine
schlichte Kiste vorstellen, die der grundsätzlich auf Eigenbau- und
Schrottinstrumentarium setzende Musiker mit den Füßen tritt. Das Holzscheitl
heißt übrigens „Diddley Bow“ und ist als solches eine Reverenz an den großen,
2008 verstorbenen Bo Diddley, den Mann mit der rechteckigen Gitarre und dem
eigenen Beat.
Nach akustischen Meditationen auf
Deltablues-Basis, im Garagensound fuhrwerkenden Brachialriff-Monstern, wie man
sie auch aus dem Hause Fat Possum kennt, Zusammenarbeiten mit Jack White oder
Grinderman und großartigen Song- und Albumtiteln wie „I Started Out With Nothin
And I Still Got Most Of It Left“ veröffentlichte Seasick Steve im Vorjahr
seinen aktuellen Streich „Hubcap Music“. Zu den bekannten Zutaten schob sich
darauf auch ein zärtlich gestimmter Country-Folk in den Vordergrund, mit dem
sich gleichfalls der Blues haben lässt. Vor allem aber durfte mit „Coast Is
Clear“ ein beinahe kathedralischer Southern-Soul-Song mit Led-Zeppelin-Mann
John Paul Jones an der Orgel überraschen – und begeistern. Live gastiert
Seasick Steve am kommenden Donnerstag ab 20 Uhr in der Wiener Arena. Kommet und
höret!
(Wiener Zeitung, 21./22.6.2014)
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