Freitag, Juni 20, 2014

Dicke Haut und grobes Holz

US-Blues-Wiedergänger Seasick Steve kommt am Donnerstag in die Wiener Arena 

Der musikalische Durchbruch unter eigenem (Künstler-)Namen kam ab 2006 erst in seinen Sechzigern. Das mag der Logik der Poprockindustrie und ihrem Lechzen nach frischem Blut und unverbrauchten Kräften zwar widersprechen. Allerdings ist Seasick Steve der Mann mit dem Blues. Und den Blues kauft man einem grauen Panther dann doch eher ab als einem Jungspund mit ohne Bart oder äußere und innere Narben, die vom Leben selbst in die Biografie eingekerbt wurden. Ja, für diese Musik braucht es alte Männer mit dicker Haut, die aussieht wie ein grobes Stück Holz nach zu vielen zu langen Jahren draußen in der harten US-Peripherie, wo Wolf und Bär nicht die geringsten Feinde des Landstreichers vor dem Lagerfeuer sein dürften.

Nachdem der früh unter der gewalttätigen Hand seines Stiefvaters leidende, ursprünglich als Steven Gene Wold geborene heutige Musiker im Alter von 13 Jahren Reißaus von Zuhause nahm, ging es bald darum, ein bis auf das nunmehrige Schaffen nachwirkendes Leben als Hobo zu führen. Das bedeutete eine Grundausbildung im Fach „Wie man auf einen fahrenden Güterzug aufspringt und diesen wieder sicher verlässt – gesucht: Heuballen, Kornfelder, Blumenwiesen!“ und anschließende Fahrten durch das ewige Hinterland auf der Suche nach Tagelohn. Wobei die daraus entstandenen, durchaus sehr gut zum Blues passenden Mythen, die Seasick Steve noch heute umranken, mitunter als das Ergebnis imaginativer journalistischer Prosa zu bezeichnen sind. Der Porträtierte korrigiert das Bild dann in Interviews. Das Leben als Hobo etwa sei überhaupt nicht romantisch. Und tatsächlich will man sich einen Lastenwaggon mit ungekampelten Männern mit Hang zu Bohnen, Zwiebeln und Speck und definitiv keinem Rosenduft-Duschgel nicht näher vorstellen. 

Eigenbau-Instrumente 

In Sachen Musik verdingte sich Wold zunächst als Sessiongitarrist, Toningenieur und Produzent. Frühe Alben der US-Band Modest Mouse etwa führen seinen Namen im Kleingedruckten an. Nach dem Langspieler „Cheap“ gemeinsam mit der skandinavischen Band The Level Devils im Jahr 2004 und seinem Solodebüt zwei Jahre später mit den daheim in der Kuchl eingespielten Songs von „Dog House Music“ sorgte schließlich ein umjubelter Auftritt in Jools Hollands alljährlich zu Silvester ausgestrahlter BBC-Sendung „Hootenanny“ für den Durchbruch. Seasick Steve präsentierte seine Kunst dort an Trademarkinstrumenten wie einem Holzscheitl mit bloß einer Saite, über die der Flaschenhals bis heute mit großem Nachdruck schrubbt, oder seiner archaischen „Mississippi Drum Machine“. Darunter darf  man sich nicht mehr als eine schlichte Kiste vorstellen, die der grundsätzlich auf Eigenbau- und Schrottinstrumentarium setzende Musiker mit den Füßen tritt. Das Holzscheitl heißt übrigens „Diddley Bow“ und ist als solches eine Reverenz an den großen, 2008 verstorbenen Bo Diddley, den Mann mit der rechteckigen Gitarre und dem eigenen Beat.

Nach akustischen Meditationen auf Deltablues-Basis, im Garagensound fuhrwerkenden Brachialriff-Monstern, wie man sie auch aus dem Hause Fat Possum kennt, Zusammenarbeiten mit Jack White oder Grinderman und großartigen Song- und Albumtiteln wie „I Started Out With Nothin And I Still Got Most Of It Left“ veröffentlichte Seasick Steve im Vorjahr seinen aktuellen Streich „Hubcap Music“. Zu den bekannten Zutaten schob sich darauf auch ein zärtlich gestimmter Country-Folk in den Vordergrund, mit dem sich gleichfalls der Blues haben lässt. Vor allem aber durfte mit „Coast Is Clear“ ein beinahe kathedralischer Southern-Soul-Song mit Led-Zeppelin-Mann John Paul Jones an der Orgel überraschen – und begeistern. Live gastiert Seasick Steve am kommenden Donnerstag ab 20 Uhr in der Wiener Arena. Kommet und höret!

(Wiener Zeitung, 21./22.6.2014) 

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