Donnerstag, Juni 19, 2014

Liebe bedeutet Gefahr

Das Drama klopft wieder an die Tür. Lana Del Rey und ihr Album „Ultraviolence“ 

Die Mischung aus einer beschwörenden Frauenstimme und bebenden Twanggitarren, wie sie am einsamen Highway nur in den schwärzesten Nächten erklingen, zeitigt regelmäßig nichts weniger als Göttersongs – vor allem wenn im Text dazu ein Schießgewehr vorkommt. Oder zumindest eine Kanone. Erst im Vorjahr etwa lieferte Scout Niblett mit „Gun“, einem Lied über Liebe, Herzschmerz und Schusswaffengebrauch, einen weiteren Klassiker des diesbezüglichen Subgenres. Mit „Cruel World“, der ersten Nummer ihres neuen Albums mit dem nur konsequenten Titel „Ultraviolence“, stößt nun auch Lana Del Rey in eine ähnliche Kerbe. Mit der Sängerin im blutroten Kleid geht es darin um eine Beziehung, die vorbei ist, das Gefühl, deshalb „crazy“ zu werden und die Betäubung sämtlicher Sinne mit einem Biest namens Bourbon. Die langsam geklopfte Bassdrum verstärkt die eindringliche Wirkung des Songs ebenso wie seine Kernaussage. Liebe bedeutet Gefahr! 

Schlagende Verbindung 

Das wird vor allem auch mit dem im Anschluss gereichten Titelstück des Albums offenkundig, das auch erklärt, warum Feministinnen Lana Del Rey nicht so gern mögen – sofern sie, konfrontiert mit der 27-jährigen New Yorkerin mit aktuellem Wohnsitz in London, nicht gleich an eine Kanone denken. Nach Rollen als „Gangsta Nancy Sinatra“ oder US-Vorstadt-Diva, die in Suburbia schmachtend vor allem auf die Rückkehr des Haushaltsvorstandes von der Erwerbsarbeit ins Schlafzimmer wartet, geht es hier immerhin auch um etwas, das man als schlagende Verbindung bezeichnen könnte: „He hit me and it felt like a kiss / I can hear violins, violins / Give me all of that ultraviolence“. Eine andere Interpretation ist möglich, aber sinnlos. Lana Del Rey spielt Fiktion vor leider realweltlichem Hintergrund und inszeniert das Thema zur gewohnt filmischen Sogwirkung ihrer Musik wie vor einem übrig gebliebenen Set David Lynchs am Mulholland Drive.

Nach einem von der Öffentlichkeit unbemerkten Debütalbum, das vom Markt genommen wurde, einer strategischen Neuausrichtung, dem Erfolg im Internet mit der Hitsingle „Video Games“ und dem schließlich als eigentlicher Einstand wahrgenommenen Album „Born To Die“ Anfang 2012, das frühe Verehrer aus Indiehausen ob seiner Ö3-Tauglichkeit irritierte, ist Lana Del Rey nun ganz bei sich angekommen. Unter Produktionshilfe Dan Auerbachs, der als die eine Hälfte der Black Keys für auch popnahen Bluesrock steht, wurde die Oberfläche für die elf neuen Songs nun etwas aufgeraut. Die elektronischen Elemente sind weitgehend verschwunden, stattdessen gibt es sanft gewischte Beserlschlagzeug-Rhythmen und Chris-Isaak-Gitarren. Die Songs sind gut bis viel besser. Jeder Refrain sitzt. Wobei eventuell zu bekritteln sein mag, dass Lana Del Reys Wissen um effektvolle Songgestaltung zum zu häufigen Rückgriff auf den Einserschmäh führt. 

Retrodiven-Timbre 

Nuancierungen gibt es mit „Shades Of Cool“, das harmonisch zwischen James-Bond-Titelsong und der „Underwater Love“ aus der alten Jeanshosen-Werbung changiert und sich im Refrain versunken im Walzertakt wiegt. Gelegentlich stellt Lana Del Rey ihren beiläufigen Wachkomagesang heute zugunsten eines geträllerten Retrodiven-Timbres hintan – zu überprüfen etwa am Ende von „The Other Woman“, einer Verhaltensstudie in Sachen verzweifelte Hausfrauen. „Sad Girl“ ist eine Art Cabaret-Jazz, „Pretty When You Cry“ eine Sperrstundenballade mit Stromrocksolo und der Songtitel „Fucked My Way Up To The Top“ vor allem dazu da, den Feministinnen das Geimpfte noch einmal aufgehen zu lassen.

Für das schwebende „Brooklyn Baby“ wäre übrigens eine Zusammenarbeit mit Lou Reed angestanden, der am Tag des geplanten Aufeinandertreffens mit Lana Del Rey allerdings starb – und nun zumindest im Songtext nachhallt. Auch hier sitzt der Refrain. Gutes Album! 

Lana Del Rey: Ultraviolence (Universal)

(Wiener Zeitung, 20.6.2014)

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