Dienstag, Juni 17, 2014

Sympathie für den Teufel

Die Rolling Stones spielten zum wieder einmal letzten Mal im Wiener Ernst-Happel-Stadion. 

Auch und vor allem das ist natürlich eine Lesart, die sich schnell aufdrängt: Im Grunde sind die Rolling Stones eine sehr österreichische Band. Alles bleibt gleich. Nichts verändert sich. Veränderung ist etwas grundsätzlich Schlechtes. Und das ist gut!

Eröffnet wird das wieder einmal letzte Konzert der Rolling Stones im Wiener Ernst-Happel-Stadion vor 55.000 trotzdem „gespannten“, vor Aufregung jedenfalls hibbeligen und kribbeligen Besuchern also mit „Start Me Up“. Man lebt mit den Fans in einer Schicksalsgemeinschaft der fixen Routine, die im Alter bekanntlich nicht besser wird. Charakterzüge und Vorlieben verstärken sich mit der Zeit. Was sich ändert, ist höchstens die Tagesform. Und die ist heute, man muss es sagen, beinahe sensationell!

Mick Jagger ist auf die Bühne gekommen, um die größten Hits zwar insofern wie im Schlaf vorzutragen, als er sie gottweiß schon oft genug gesungen hat. Mit einem nicht nur für sein Alter von immerhin 70 Jahren erstaunlich ambitionierten Programm in Sachen Leistungsturnen während der Arbeit wird er aber auch so manchen Jungspund im Publikum Workout-technisch noch in die Tasche stecken. Auch Keith Richards kann übrigens laufen. Er tut es bloß kaum. Wer braucht das? Was bringt das? Eine Frage noch bitte: Wozu?!?

Als Fels in der Brandung, als Riff im Atoll und als Fossil auf der Bühne gibt Richards lieber den dann aber doch etwas tattrigen Onkel, der oft ohne erkennbaren Grund in die Leere grinst. Das wirkt wunderlich. Manchmal aber gibt es einen tatsächlichen Grund zum Lachen. Etwa wenn der Bassist ein ziemlich kompliziertes Solo zu spielen hat und Keith Richards mit ihm „High five“ machen will. Das ist fast so gemein wie der Rock ’n’ Roll selbst. Und der ist sehr gemein. Jeder, der einmal auf einem schlechten Konzert der Rolling Stones war, kann ein Lied davon singen. Aber diese Gefahr – seien wir zuversichtlich! – besteht heute ja nicht.

Keith Richards trägt ein Stirnband in den Farben Jamaikas, dunkle Sonnenbrillen und ein Hemd, das erst vom Bauchnabel abwärts Knöpfe hat. Das ist für jemanden, der 2014 auf einer Bühne steht, ziemlich viel. Untenrum gibt es Sneakers, wie man sie wegen dem Tragekomfort auch in Seniorenheimen schätzt, und dazwischen eine knapp über dem Boden gespielte Gitarre, an der sich Keith Richards festhält. Es gibt im echten Rock ’n’ Roll kein Stiegengeländer!

Auch Ronnie Wood, mit 67 Jahren das Nesthäkchen der Rolling Stones, hat Spaß. Er tänzelt bevorzugt um die eigene Achse und zeichnet damit unwissentlich ein Sinnbild für seine Band.  Über Charlie Watts am Schlagzeug wiederum ist zu sagen, dass der Rhythmus stimmt, obwohl der Mann bereits zu Konzertbeginn aussieht, als würde er lieber daheim vor dem Patschenkino sitzen. Gerade jetzt, wo WM ist, und der Iran gegen Nigeria spielt.

Musikalisch setzt es ein schneidiges „You Got Me Rocking“, das aus 1994 stammt, also noch ziemlich neu ist. „It’s Only Rock ’n’ Roll (But I Like It)“ glamt, „Tumbling Dice“ wird locker aus der Hüfte geschoben und mit „Angie“ will uns Mick Jagger einer kurzen Durchsage zufolge etwas „Romantäschäs“ singen. Es kommt nun zum intimsten Moment, den man sich von einem Konzert im Fußballstadion erwarten kann. Danach werden die Musiker vorgestellt. Keith Richards darf endlich rauchen, muss dann aber für zwei Songs die Lead-Vocals übernehmen. Er spielt ein hübsches „You Got The Silver“ und ein grässliches „Can’t Be Seen“. Niemand will das hören. Alle gehen jetzt Bierholen oder kurz einmal austreten. Es gibt einen Kreislauf im Rock ’n’ Roll, der unausweichlich ist. 

Bei „Midnight Rambler“ (und später noch bei der letzten Zugabe) gesellt sich Mick Taylor zu den ehemaligen Kollegen. Er darf beweisen, warum er als begnadetster Gitarrist der Bandgeschichte gilt, und spielt deshalb sehr lange Solos. Überhaupt werden die größten Hits mit den gedehntesten Versionen bedacht: Das übermächtige „Gimme Shelter“ etwa, das mit Chor gegebene „You Can’t Always Get What You Want“ oder „Sympathy For The Devil“, bei dem die Bühne in apokalyptischem Feuerrot gen Höllenschlund fährt. Und tatsächlich empfindet man nicht erst an dieser Stelle dieses unterhaltsamen Konzerts längst auch tatsächlich Sympathien für den Teufel. Der Teufel, das waren immer auch die Rolling Stones selbst. Oder zumindest war es Mick Jagger, der heute nicht zur Sense, sondern zur Gitarre greift, oder uns mit der Mundharmonika das Lied vom Tod spielen wird. 

Was noch? „Miss You“ entführt in die Disco und „Honky Tonk Women“ mit dem Boogie-Klavier an die Countrybar. Live überraschend in Ordnung auch „Out Of Control“, mit dem sich die Rolling Stones 1997 wieder einmal doch nicht neu erfanden. Bei „Jumpinʼ Jack Flash“, „Brown Sugar“ und „(I Can’t Get No) Satisfaction“ ganz am Ende ist es dann übrigens endgültig soweit: Die Rolling Stones werden gänzlich von ihren eigenen Songs gespielt! Es ist ein Wunder – ebenso wie das Endresümee dieses Abends, der nicht nur in Sachen Würdelosigkeit würdig war. Rock ’n’ Roll! 

(Wiener Zeitung, 18.6.2014) 

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