Bob Dylan gastierte
in der Wiener Stadthalle. Es war ein unnostalgischer Abend.
Aktuell
befindet sich der Meister in einer seltsamen Phase. Er spielt täglich die
gleichen Songs. Aber zumindest eines ist dabei auch gleich geblieben: Die Songs
sind trotzdem immer ganz andere. Oft nimmt Bob Dylan nur einen Text und umrahmt
ihn mit neuer Musik, die sehr alt ist. Man darf das auch als
Beschäftigungstherapie für Dylanologen betrachten. Verlässlich wird in den vorderen
Reihen spätestens nach dem zweiten Ton verzückt gewooht und geooht. Man lässt sich
nicht hinters Licht führen und erkennt alle Songs. Trotzdem!
„Trotzdem“,
das bedeutet bei Bob Dylan auch „weil“: Weil der Meister heiser ins Mikrofon faucht
oder uns die Texte gallig entgegenbellt. Heute in der mit 7000 Besuchern nur
halbvollen Wiener Stadthalle allerdings wird er beinahe noch singen! Ein Indiz
dafür ist, dass Dylan die Stimme mehrmals kurz in Falsetthöhen führt – bei
„Tangled Up In Blue“ etwa mit dem Wort, das sich jeweils auf „blue“ reimt. Das
hat etwas Rührendes. Und Konzerte des späten Dylan haben auf den ersten Blick nicht
allzu viel an Rührung zu bieten. Seine Schrulligkeit lässt größtmögliche
Distanz zum Publikum walten und die Interpretationsmöglichkeit offen, dass ihn
das alles eigentlich gar nicht interessiert. Und ja, mit einer steinerweichenden
Lʼamour-Hatscher-Version von „Simple Twist Of Fate“ ist es im zweiten
Konzertdrittel dann – trotzdem – passiert: Bob Dylan kommt ganz in unseren
Herzen an.
Zuvor
an diesem nach Stechuhr pünktlich um 19.30 Uhr begonnenen Abend mit Bob Dylan
auf der Bühne Mitte rechts als immerwährender (Samstags-)Fahrer mit Hut und
seiner hervorragenden Band gab es natürlich auch schon Feines zu hören. Und
auch wenn die Zimmerlautstärke regiert und Bob Dylan nach dem Live-Ticker am
Handy für einige Besucher nur die zweite Geige spielt: Alleine für die in
Hinsicht auf das eigene Schaffen äußerst unnostalgische Setlist möchte man den
Meister umarmen. Am Programm steht das die US-Rock-Ursuppe bluesig durchforstende
Spätwerk und das aktuelle Album „Tempest“ von 2012.
Es
beginnt mit einem in Richtung Countrybar gebogenen „Things Have Changed“. Bob
Dylan erwartet alttestamentarisch den Ausbruch des Wahnsinns und das Zerbersten
der Welt. Aber es
ist ihm egal. „I used to care, but things have
changed“. Während die Dylanologen darüber spekulieren, ob das nun als Abgesang
auf den Widerstandsgeist der 60er Jahre zu deuten ist, befindet sich Dylan
längst anderswo. Er reicht ein trockenes „She Belongs To Me“, seine berührende,
nahe am Original gehaltene Selbstreflexion „What Good Am I?“ oder ein nicht so
hervorragendes, pensionistisch schwingendes „Waiting For You“. „Pay In Blood“
klingt live weniger gefährlich und wird mit sublim pulsierenden Strophen mutiert.
Der Meister wechselt vom Solovortrag ans Klavier und an die Mundharmonika für bezaubernde
Soli. Er gibt altmännerböse Betrachtungen der Liebe („Long And Wasted Years“)
und schüttet sein Herz zum Barhockerjazz von „Spirit On The Water“ ebenso aus,
wie er die Leidenschaft herrlich ins Alter rettet: „Iʼm wild about
you, gal“ – jetzt
wird wieder gebellt!
Mit
„High Water (For Charley Patton)“ geht die Welt noch einmal unter. Beim Streberblues
von „Early Roman Kings“ ist Elfmeterschießen angesagt. Brasilien gewinnt und das
Konzert geht los, obwohl es schon bald vorbei ist. Bob Dylan durchmisst die
späten Jahre („Forgetful Heart“), beglückt mit dem stoischen „Scarlet Town“ und
geht um knapp vor halb zehn wortlos ab.
Ein
gespensternder, David-Lynch-tauglich durch das Dunkel schneidender Akkord
läutet „All Along The Watchtower“ als erste Zugabe ein. „Blowinʼ In The Wind“
als schöner Schunkler mit Geige im Walzertakt bricht am Ende noch einmal mit
der Erwartung.
Draußen vor der Stadthalle wiederum spielt ein Dylan-Imitator
„The Times They Are A-Changinʼ“ – und ja, dass er damit recht hat, ist gut!
(Wiener Zeitung, 1.7.2014)
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