Mittwoch, Juli 02, 2014

Die Seele, das Herz

Jazz Fest Wien: Die Daptone-Label-Night begeisterte in der Wiener Staatsoper 

Die gefeierten Hauptacts des Abends neigen zur Übersetzung des Dramoletts in Musik. Mit Charles Bradley innig auf den Knien um Liebe flehend und einer den hallodrigen Männerleuten da draußen resolut entgegenfeixenden Sharon Jones hat man zwei diesbezügliche Weltdarsteller gefunden, die die Wiener Staatsoper im Sturm erobern. 

Zu verdanken hat man diese unbedingten Konzerthöhepunkte einer Label-Night, die zur Eröffnung des Jazz Fest Wien im Haus am Ring als „The Daptone Super Soul Revue“ daherkommt. Der wiederholten Buchung der Zugpferde durch die Veranstalter zum Trotz – Repetition ist zunächst ja einmal das Ende der Einmaligkeit – begeistert der Abend aber nicht nur als stimmiges Gesamtpaket. Gehuldigt wird dem New Yorker Musikverlag Daptone Records, der seit 2002 feinsten Vintage-Soul im Stile des Stax-Labels veröffentlicht. 

Der Bär steppt 

Mit den als Motor agierenden Dap-Kings, die der Unternehmung endgültig zum Durchbruch verhalfen, als Amy Winehouse sie 2006 als Backing-Band engagierte, erweist sich der Betrieb als familiärer Verbund mit arbeitsteilig gestimmtem Personalstab. Eröffnet wird die letztlich von knapp dreißig Musikern getragene Revue von den späteren Backgroundsängerinnen Saun & Starr und The Sugarman 3, einer Instrumentalgruppe um Labelmitbegründer Neal Sugarman am Saxofon. Das an Fela Kuti geschulte Afrobeat-Kollektiv Antibalas wiederum heizt mit einem mächtig groovenden Set ein. Es erklärt, dass alles Rhythmus und Rhythmus alles ist. Und tatsächlich. In der Oper steppt der Bär!

Im paillettenbesetzten Einteiler demonstriert dazwischen Charles Bradley, warum er sich nach harten Jahren auf der Straße und parallel zu seiner späteren Arbeit als Koch als James-Brown-Darsteller verdingte. Mit den seit seinem Durchbruch im Alter von 61 Jahren entstandenen Alben „No Time For Dreaming“ und „Victim Of Love“ im Gepäck steht Musik auf dem Programm, die die tiefste Seele mit einem Herz auf der Zunge offenlegt. Charles Bradley geht in die Knie. Er kreist sexuell mit dem Becken. Und er durchdringt Mark und Knochen sich verzehrend mit nachdrücklichen Erlösungsschreien. Immerhin setzt es mit dem L’amour-Hatscher „Lovinʼ You, Baby“ oder „Crying In The Chapel“ nicht nur Songs über die Liebe und deren Entzug. Mit der nötigen Lebenserfahrung eines Alltags unter dem Existenzminimum ausgestattet, singt Charles Bradley auch über soziale Schieflagen und die Ungerechtigkeiten der Welt. Und er dankt in kurzen Ansprachen neben dem Label auch seinem Publikum dafür, ihm den späten Erfolg zu bescheren. 

Brandrede und Tanz 

Ihrem Naturell entsprechend weniger demütig und dafür betont kämpferisch gibt sich Sharon Jones. Barfuß tanzend und popschwackelnd singt sich die 58-Jährige nach einer Chemotherapie im Vorjahr nicht nur die Seele, sondern auch die letzten bösen Zellen aus dem Leib. Wie aus Soul bei dieser tollen Frau gleichermaßen (ein-)dringliche Kunst und ein persönliches Werkzeug der Befreiung wird, ist außer beeindruckend vor allem auch sehr, sehr berührend.

Als Höhepunkt des Abends zum Abschluss spielt die ehemalige Gefängnisaufseherin ein entfesseltes Set. „Get Up And Get Out“, eine prototypische Ansage der US-Amerikanerin an den zukünftigen Ex-Freund, mutiert zur Brandrede gegen die Krebserkrankung. Dazwischen wird mit Fans aus dem Publikum getanzt, die Band animiert, Solos zu geben, und mit einer Tina-Turner-Imitationseinlage kein Auge trocken gelassen. Wir hören programmatische Songs wie „Stranger To My Happiness“, „I Learned The Hard Way“ und „People Don’t Get What They Deserve“, ehe mit „Retreat!“ und dessen Text gewordenen Drohungen noch einmal offenkundig wird, warum man es sich mit der Sängerin besser nicht verscherzen sollte. Boy you donʼt know what Iʼm all about. Iʼll chew you up and then Iʼll spit you out!“ 

Dafür gibt es nicht erst am Ende Standing Ovations und großen Applaus. Geschlechterübergreifend. Und vollkommen zu Recht!

(Wiener Zeitung, 3.7.2014)

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