Jazz Fest Wien: Die Daptone-Label-Night begeisterte in der Wiener
Staatsoper
Die gefeierten Hauptacts des Abends neigen zur
Übersetzung des Dramoletts in Musik. Mit Charles Bradley innig auf den Knien um
Liebe flehend und einer den hallodrigen Männerleuten da draußen resolut
entgegenfeixenden Sharon Jones hat man zwei diesbezügliche Weltdarsteller
gefunden, die die Wiener Staatsoper im Sturm erobern.
Zu verdanken hat man diese unbedingten
Konzerthöhepunkte einer Label-Night, die zur Eröffnung des Jazz Fest Wien im
Haus am Ring als „The Daptone Super Soul Revue“ daherkommt. Der wiederholten
Buchung der Zugpferde durch die Veranstalter zum Trotz – Repetition ist
zunächst ja einmal das Ende der Einmaligkeit – begeistert der Abend aber nicht
nur als stimmiges Gesamtpaket. Gehuldigt wird dem New Yorker Musikverlag
Daptone Records, der seit 2002 feinsten Vintage-Soul im Stile des Stax-Labels
veröffentlicht.
Der Bär steppt
Mit den als Motor agierenden Dap-Kings, die der Unternehmung
endgültig zum Durchbruch verhalfen, als Amy Winehouse sie 2006 als Backing-Band
engagierte, erweist sich der Betrieb als familiärer Verbund mit arbeitsteilig
gestimmtem Personalstab. Eröffnet wird die letztlich von knapp dreißig Musikern
getragene Revue von den späteren Backgroundsängerinnen Saun & Starr und The
Sugarman 3, einer Instrumentalgruppe um Labelmitbegründer Neal Sugarman am
Saxofon. Das an Fela Kuti geschulte Afrobeat-Kollektiv Antibalas wiederum heizt
mit einem mächtig groovenden Set ein. Es erklärt, dass alles Rhythmus und
Rhythmus alles ist. Und tatsächlich. In der Oper steppt der Bär!
Im paillettenbesetzten Einteiler demonstriert
dazwischen Charles Bradley, warum er sich nach harten Jahren auf der Straße und
parallel zu seiner späteren Arbeit als Koch als James-Brown-Darsteller
verdingte. Mit den seit seinem Durchbruch im Alter von 61 Jahren entstandenen
Alben „No Time For Dreaming“ und „Victim Of Love“ im Gepäck steht Musik auf dem
Programm, die die tiefste Seele mit einem Herz auf der Zunge offenlegt. Charles
Bradley geht in die Knie. Er kreist sexuell mit dem Becken. Und er durchdringt
Mark und Knochen sich verzehrend mit nachdrücklichen Erlösungsschreien.
Immerhin setzt es mit dem L’amour-Hatscher „Lovinʼ You, Baby“ oder „Crying In
The Chapel“ nicht nur Songs über die Liebe und deren Entzug. Mit der nötigen
Lebenserfahrung eines Alltags unter dem Existenzminimum ausgestattet, singt
Charles Bradley auch über soziale Schieflagen und die Ungerechtigkeiten der
Welt. Und er dankt in kurzen Ansprachen neben dem Label auch seinem Publikum
dafür, ihm den späten Erfolg zu bescheren.
Brandrede und Tanz
Ihrem Naturell entsprechend weniger demütig und
dafür betont kämpferisch gibt sich Sharon Jones. Barfuß tanzend und
popschwackelnd singt sich die 58-Jährige nach einer Chemotherapie im Vorjahr
nicht nur die Seele, sondern auch die letzten bösen Zellen aus dem Leib. Wie
aus Soul bei dieser tollen Frau gleichermaßen (ein-)dringliche Kunst und ein
persönliches Werkzeug der Befreiung wird, ist außer beeindruckend vor allem
auch sehr, sehr berührend.
Als Höhepunkt des Abends zum Abschluss spielt die
ehemalige Gefängnisaufseherin ein entfesseltes Set. „Get Up And Get Out“, eine prototypische
Ansage der US-Amerikanerin an den zukünftigen Ex-Freund, mutiert zur Brandrede
gegen die Krebserkrankung. Dazwischen wird mit Fans aus dem Publikum getanzt,
die Band animiert, Solos zu geben, und mit einer Tina-Turner-Imitationseinlage
kein Auge trocken gelassen. Wir hören programmatische Songs wie „Stranger To My
Happiness“, „I Learned The Hard Way“ und „People Don’t Get What They Deserve“,
ehe mit „Retreat!“ und dessen Text gewordenen Drohungen noch einmal offenkundig
wird, warum man es sich mit der Sängerin besser nicht verscherzen sollte. „Boy you donʼt know what Iʼm all about. Iʼll chew you up and then Iʼll
spit you out!“
Dafür gibt es nicht erst am Ende Standing
Ovations und großen Applaus. Geschlechterübergreifend. Und vollkommen zu Recht!
(Wiener Zeitung, 3.7.2014)
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