(K)ein Lippenbekenntnis: Am Sonntag wird der Internationale Tag des
Kusses gefeiert
„So
herzlich küsse jeden Kuß / Als dächtest du, der letzte seiʼs! / O blicke jeden
Blick so heiß / Wie man beim Scheiden blicken muß!“ – zweifelsohne wird der
Kuss nicht immer so bedeutungsvoll behandelt wie durch den deutschen
Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Paul Heyse (1830-1914). Für viele
scheint mit „Mund auf, Zunge rein“ bereits alles gesagt zu sein. Das ist
schade. Denn als romantisches Bild eignet sich der Kuss alleine schon deshalb
vortrefflich, weil ihm im Gegensatz zum Geschlechtsakt scheinbar kein höherer
Sinn zukommt, sich die Menschen ihm aber trotzdem blind hingeben.
Wobei,
Menschen! Zungenküsse wurden auch bei Bonobos und Orang-Utans beobachtet.
Handküsse weniger. Vermutlich steckt die Evolution dahinter, dass im tiefsten
Dschungel kein Bedarf an Demut besteht. Hier nämlich stößt die Romantik an ihre
Grenzen.
Ursprung
unbekannt
Die
Vorstellung des zärtelnden Jünglings, nach Knigge gut informiert, dass sich ein
Handkuss im Freien so gar nicht geziemt (sofern er nicht auf einem Bahnhof
verabreicht wird!) und er seinen Höhepunkt keinesfalls im Kontakt mit den
Lippen, sondern im sanften Hauchen auf den Handrücken der umworbenen Dame zu
finden hat, mag hoffnungslos verlorenen Liebesnarren zuallererst in den Sinn
kommen. Dabei besiegelte der Handkuss im Mittelalter zunächst einmal die
Abhängigkeit des Untergebenen vom Lehensherrn. Eine trockene Angelegenheit,
die jedes Fünkchen Liebe vermissen ließ.
Und
man sieht es schon: Zum Internationalen Tag des Kusses am kommenden Sonntag
kann man sich so seine Gedanken machen. Deshalb gibt es mit der Philematologie auch
eine wissenschaftliche Disziplin zur Erforschung des Kusses, über dessen
Ursprung nach wie vor Unklarheit herrscht. Von den Nachwehen des tierischen
Fütterungsverhaltens bis hin zur Verlagerung vierbeiniger
Beschnüffelungspraktiken auf die orale Ebene reichen die Theorien. Etymologisch
belegt ist das Wort „Kuss“ im deutschen Sprachgebrauch seit dem 9. Jahrhundert.
Das Christentum hat mit dem Verrat Jesu durch den Judaskuss einen frühen
Eintrag vorzuweisen und damit den Beweis geliefert, dass auch hinter einer
Geste der Zuneigung Gefahr lauern kann. Vor allem in Filmen über die Mafia und
mit „Der Pate“ nicht zuletzt von Francis Ford Coppola wurde die Idee dankbar
aufgenommen und letztlich zum Todeskuss transformiert.
Die wenigen und mit dem 19. Jahrhundert erst spät
erfolgten Darstellungen Küssender in der bildenden Kunst spiegeln die Sache mit
der menschlichen Moralvorstellung bereits wider, die den Liebesbeweis als
Lippenbekenntnis lange hinter den privaten Vorhang der Intimität verbannte. Zudem
fand der erste TV-Kuss zwischen einer schwarzen Frau und einem weißen Mann mit Lieutenant
Uhura und Captain Kirk in der Serie
Star Trek erst 1968 statt – während der „Negerkuss“ als Dessert bis vor wenigen
Jahren sprachlich betrachtet vollkommen selbstverständlich war.
Kein allzu
großes Wunder also, dass gleichgeschlechtliche Küsse im Film nach wie vor die
Ausnahme sind. Und auch daran wird am Sonntag erinnert: Das Bekenntnis zu
homosexueller Liebe in der Öffentlichkeit ist in zahlreichen Ländern auch heute
undenkbar – mit einem gesetzlichen Verbot der sogenannten „Propaganda von
Homosexualität“ nicht etwa nur in weitester Ferne, sondern mit Russland selbst
auf europäischem Boden.
Eine vergleichsweise (und zumindest für Außenstehende)
unterhaltsame Gesetzgebung diesbezüglich haben die USA vorzuweisen. Regelungen
in Hinsicht auf die maximale Dauer eines Kusses in den Bundesstaaten Iowa,
Rhode Island und Maryland sind ebenso zu nennen wie das Verbot für
Schnauzbartträger in Eureka, Nevada, Frauen zu küssen (was Männern mit anderen
Bartformen sehr wohl erlaubt ist). In Riverside wiederum ist eine
wechselseitige Berührung der Lippen nur nach gründlicher Reinigung derselben
mit Rosenwasser zulässig.
Für
die Gesundheit
Hansi Hinterseer gibt uns – bärig! – ein
„Busserl“. Französinnen und Franzosen küssen französisch. Der Papst küsst den
Boden und ein Tennisspieler seinen Pokal. Geküsst wird aus Gründen der
Ehrerweisung, zur Begrüßung und Verabschiedung sowie aus Liebe, Lust und
Langeweile. Am Frequency-Festival bekam man von der T-Shirt-Aufschrift „Wüst
schmusen? Mir warads wurscht!“ im Vorjahr neben so manchem auch das Revival
eines Trendworts erklärt.
Zur
Liebe motiviert werden Gesundheitsapostel übrigens auch von Hademar Bankhofer,
der auf seiner Homepage nicht nur über die durchblutungsfördernde Wirkung des
Küssens durch den steigenden Herzschlag informiert, sondern auch über
Faltenglättung durch die dabei entstehende Muskelbeanspruchung und einen
Verbrauch von immerhin 15 Kalorien pro zweiminütiger Beschmusung. Das geht sich
auch in Iowa locker aus. Aber Vorsicht: „Flüchtige Lippenberührungen an der Wange des anderen, die üblichen
Küsschen und Bussi-Bussi-Aktionen in Gesellschaft und auf Partys haben nicht
die geringste gesundheitsfördernde Wirkung“. Seien wir für Sonntag gewarnt. Und
gehen wir ans Eingemachte!
(Wiener Zeitung, 4.7.2014)
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