Donnerstag, Juli 24, 2014

Kampfgeist und Gitarren

Der große Neil Young erinnerte in Wien nicht nur an seine Missionarsstellung im Rock 

Wenn man etwas sehr lange macht und dabei erfolgreich ist, darf man sich ab einem gewissen Zeitpunkt erlauben, nur mehr zu tun, worauf man auch wirklich Lust hat. Nach Jahren als Folkrockikone, Gitarrengott und akustischer Übersetzer von Gefühl zum Quadrat sowie nach mitunter verhaltensauffälligen Seitensprüngen in Richtung Vocodergesang, Stadionrock und Pearl Jam veröffentlichte Neil Young zuletzt etwa das Album „A Letter Home“. Es wurde in einer telefonzellenähnlichen Antik-Aufnahmekammer mit persönlichen Lieblingssongs eingespielt und bei erhöhtem Bandrauschen von einer Botschaft Youngs an seine Mutter ins Jenseits eröffnet. Die größten Fans waren begeistert. 

In Spiellaune 

Sein Wien-Konzert wiederum beginnt der heute 68-Jährige, flankiert von seiner Band Crazy Horse und zwei Backgroundsängerinnen mit Peace-Zeichen als Ohrring und Hang zu innig gehauchten Soul-Stoßseufzern, mit definitiv keinem Hit. Es wird nicht der letzte an diesem Abend und natürlich trotzdem ein Hit sein. Das Konzert ist fantastisch und auch trotz der Distanziertheit des Meisters mit der Ausnahme eines kurzen „Howareyoudoing-thanksforcoming-nicetoseeyou“ eine sehr gemeinsame Sache. Die Schwingungen zwischen auf und vor der Bühne harmonieren perfekt. Man kennt einander nun auch bereits ziemlich lange und versteht sich entsprechend fast blind.

Wobei. Dass Neil Young auch Spaß am heute weitgehend auf Kosten seiner Akustikballaden hochenergetisch angelegten Set hat, ist zwar gleich eingangs mit dem 15-minütigen „Love And Only Love“ und somit längst nicht dem längsten Song des Abends zu hören. Optisch aber bleibt die Arbeitsmotivation des Meisters vergleichsweise im Nebel. Ehe Young vermutlich zu Beginn des zweiten Konzertdrittels erstmals auch lächeln wird, fällt er in zumindest in farblicher Hinsicht Johnny-Cash-tauglicher Arbeitstracht zwischen zum „Protect“-Aufdruck der Sängerinnen passenden „Earth“-T-Shirt, feschem Herbst-Winter-Hut und seiner nur konsequent „Old Black“ getauften Gibson Les Paul über dem Bauch mit Mundwinkeln auf, die jeden Moment am Boden aufschlagen sollten. 

Wut aufs System 

Zweifelsohne nämlich hat Neil Young heute eine Mordswut auf das Scheißsystem mitgebracht! Nicht erst mit dem neuen und als Zugabe ans Ende gereihten Song „Who’s Gonna Stand Up And Save The Earth?“, der zumindest in den Strophen beim Autofahrer-unterwegs-Stromrock von AC/DC andockt, also gar nicht so umweltfreundlich ist, erinnert Neil Young grimmigen Blicks an seine sehr gerne eingenommene Missionarsstellung im Rock. Es geht um Staudämme, Öl, kaputten Boden, verseuchte Flüsse, die Tiere um uns und wohl auch darum, dass man Geld letztlich nicht essen kann. Mit einer originalgetreuen Version von „Blowinʼ In The Wind“ werden zudem alle versöhnt, die auf kein Bob-Dylan-Konzert mehr gehen können, weil sich dieser erdreistet, nicht mehr der Protestsänger von 1963 sein zu wollen. Verrückt!

Und auch nachdem Young als im echten Leben natürlich eh Rastloser in „Days That Used To Be“ den nostalgisch gestimmten alten Mann von der Hausbank gemimt und er nicht nur bei „Goin‘ Home“ vergnügt mit Frank „Poncho“ Sampedro gitarrisch konversiert hat, braucht es keine Brandrede des Meisters. Es reicht eine zurückgenommene Version seines vor dem Hintergrund des Irak-Kriegs eingespielten Songs „Living With War“, um unbehaglich an Israel, Palästina, Russland und die Ukraine erinnert zu werden. Nach „Heart Of Gold“ solo und akustisch wenig später wird man über die feuchten Augen also wieder einmal behaupten müssen, dass man hochgradig allergisch auf, na, Hausstaubdings ist. 

Neil Young kommt uns zu Hilfe. Er hämmert sich durch ein entfesseltes „Psychedelic Pill“, um nach „Cortez The Killer“ als Stammkundschaftsbeglücker mit Nachdruck für eine freie Welt zu rocken. Sieht man von Bassist Rick Rosas, dem Mann ohne Gesichtsausdruck, einmal ab, sind die Mundwinkel am Ende übrigens kollektiv an der Hallendecke zu finden. Großer Abend!

(Wiener Zeitung, 25.7.2014)

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