Der große Neil
Young erinnerte in Wien nicht nur an seine Missionarsstellung im Rock
Wenn
man etwas sehr lange macht und dabei erfolgreich ist, darf man sich ab einem gewissen
Zeitpunkt erlauben, nur mehr zu tun, worauf man auch wirklich Lust hat. Nach
Jahren als Folkrockikone, Gitarrengott und akustischer Übersetzer von Gefühl
zum Quadrat sowie nach mitunter verhaltensauffälligen Seitensprüngen in
Richtung Vocodergesang, Stadionrock und Pearl Jam veröffentlichte Neil Young
zuletzt etwa das Album „A Letter Home“. Es wurde in einer
telefonzellenähnlichen Antik-Aufnahmekammer mit persönlichen Lieblingssongs eingespielt
und bei erhöhtem Bandrauschen von einer Botschaft Youngs an seine Mutter ins
Jenseits eröffnet. Die größten Fans waren begeistert.
In Spiellaune
Sein
Wien-Konzert wiederum beginnt der heute 68-Jährige, flankiert von seiner Band
Crazy Horse und zwei Backgroundsängerinnen mit Peace-Zeichen als Ohrring und Hang
zu innig gehauchten Soul-Stoßseufzern, mit definitiv keinem Hit. Es wird nicht
der letzte an diesem Abend und natürlich trotzdem ein Hit sein. Das Konzert ist
fantastisch und auch trotz der Distanziertheit des Meisters mit der Ausnahme
eines kurzen „Howareyoudoing-thanksforcoming-nicetoseeyou“ eine sehr gemeinsame
Sache. Die Schwingungen zwischen auf und vor der Bühne harmonieren perfekt. Man
kennt einander nun auch bereits ziemlich lange und versteht sich entsprechend
fast blind.
Wobei.
Dass Neil Young auch Spaß am heute weitgehend auf Kosten seiner Akustikballaden
hochenergetisch angelegten Set hat, ist zwar gleich eingangs mit dem
15-minütigen „Love And Only Love“ und somit längst nicht dem längsten Song des
Abends zu hören. Optisch aber bleibt die Arbeitsmotivation des Meisters
vergleichsweise im Nebel. Ehe Young vermutlich zu Beginn des zweiten
Konzertdrittels erstmals auch lächeln wird, fällt er in zumindest in farblicher
Hinsicht Johnny-Cash-tauglicher Arbeitstracht zwischen zum „Protect“-Aufdruck
der Sängerinnen passenden „Earth“-T-Shirt, feschem Herbst-Winter-Hut und seiner
nur konsequent „Old Black“ getauften Gibson Les Paul über dem Bauch mit
Mundwinkeln auf, die jeden Moment am Boden aufschlagen sollten.
Wut aufs System
Zweifelsohne
nämlich hat Neil Young heute eine Mordswut auf das Scheißsystem mitgebracht!
Nicht erst mit dem neuen und als Zugabe ans Ende gereihten Song „Who’s Gonna Stand
Up And Save The Earth?“, der zumindest in den Strophen beim
Autofahrer-unterwegs-Stromrock von AC/DC andockt, also gar nicht so
umweltfreundlich ist, erinnert Neil Young grimmigen Blicks an seine sehr gerne
eingenommene Missionarsstellung im Rock. Es geht um Staudämme, Öl, kaputten
Boden, verseuchte Flüsse, die Tiere um uns und wohl auch darum, dass man Geld
letztlich nicht essen kann. Mit einer originalgetreuen Version von „Blowinʼ In
The Wind“ werden zudem alle versöhnt, die auf kein Bob-Dylan-Konzert mehr gehen
können, weil sich dieser erdreistet, nicht mehr der Protestsänger von 1963 sein
zu wollen. Verrückt!
Und
auch nachdem Young als im echten Leben natürlich eh Rastloser in „Days That
Used To Be“ den nostalgisch gestimmten alten Mann von der Hausbank gemimt und
er nicht nur bei „Goin‘ Home“ vergnügt mit Frank „Poncho“ Sampedro gitarrisch
konversiert hat, braucht es keine Brandrede des Meisters. Es reicht eine
zurückgenommene Version seines vor dem Hintergrund des Irak-Kriegs
eingespielten Songs „Living With War“, um unbehaglich an Israel, Palästina,
Russland und die Ukraine erinnert zu werden. Nach „Heart Of Gold“ solo und
akustisch wenig später wird man über die feuchten Augen also wieder einmal
behaupten müssen, dass man hochgradig allergisch auf, na, Hausstaubdings ist.
Neil Young kommt uns zu Hilfe. Er hämmert sich
durch ein entfesseltes „Psychedelic Pill“, um nach „Cortez The Killer“ als
Stammkundschaftsbeglücker mit Nachdruck für eine freie Welt zu rocken. Sieht
man von Bassist Rick Rosas, dem Mann ohne Gesichtsausdruck, einmal ab, sind die
Mundwinkel am Ende übrigens kollektiv an der Hallendecke zu finden. Großer
Abend!
(Wiener Zeitung, 25.7.2014)
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