Freitag, Juli 18, 2014

Rückzug auf schwierig

Sia Furler, Pop-Hitgarantin aus dem Hintergrund, und ihr neues eigenes Album 

Fans der HBO-Serie "Six Feet Under" (2001-2005) erinnern sich mit zweifelhafter Freude an Sia. Immerhin wurde mit „Breathe Me“ ein Song der 1975 als Sia Kate Isobelle Furler in Australien geborenen Songwriterin verwendet, als es galt, das emotional eindringliche letzte Staffelfinale per Musik noch einmal zu verstärken. Schluchz, schnupf, schnäuz. Tränen der Rührung waren angesagt, als Claire Fisher auf dem Highway des Lebens einer ungewissen Zukunft entgegenfuhr, die übrigens erst im Jahr 2085 enden wird. Alles ist gut. Noch ist Zeit. 

Für Sia selbst bedeutete diese Lizensierung den Durchbruch, nicht aber den Beginn der Karriere. Nach Vorarbeiten mit ihrer Band Crisp in den 90er Jahren waren bereits auch drei Alben unter eigenem Namen erschienen, die kommerziell zwar erfolglos blieben; mit gemeinhin als „Wohlfühlpop“ umschriebenen Songs, die organisch zwischen Jazz-Einfluss, Neo-Soul und Balladen für kurz vor der Sperrstunde changierten, demonstrierte die Musikerin aber ihr bereits ausgereiftes Handwerk.

Privat befand sich Furler schon damals auf einem schwierigen Weg. 1997 hatte sie den Tod ihres Freundes zu verkraften. Die Verdrängung per Alkohol, Drogen und Arbeitseifer, der sie als Hitgarantin aus dem Hintergrund bald von London aus zu einer der gefragtesten Songschreiberinnen der Pop-Branche werden ließ, wurde ihr dabei fast zum Verhängnis. Depressionen, Panikattacken und eingestandene Selbstmordabsichten zwangen sie einerseits, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Andererseits wurde den Ängsten ein Schnippchen geschlagen, indem Sia sich eine Auszeit von der Solokarriere genehmigte und die Idee des gesichtslosen Stars verstärkt auch über Schreibarbeit für andere definierte. Seither fließen die Tantiemen aus den Etats hinter Rihanna, Britney Spears, Christina Aguilera, Katy Perry, Celine Dion, Eminem und zahllosen anderen mehr auf ihr Konto.

In der Zwischenzeit soweit erholt, dass mit dem programmatischen „1000 Forms Of Fear“ (Sony) eine Aufarbeitung über Albumlänge stattfinden konnte, errang Sia für ihr nunmehriges Solo-Comeback einen Ausnahmevertrag. Dieser sieht etwa keine Konzert-Verpflichtungen der Künstlerin vor und entbindet diese auch von lästigen Promo-Terminen. Das klingt einmalig und könnte beinahe auf ein wenig Restgewissen der Branche schließen lassen. Wobei. 

Nachdem Sia bereits auf „We Are Born“ (2010) den Synthie-Gebrauch forcierte, präsentiert sie sich mit den zwölf neuen Songs nun endgültig nahe am Sound ihrer Kundschaft. Wir hören sanft abgedunkelte, elektronisch grundierte Powerballaden mit Hang zur großen Geste. Mit Sia gerne heiser im Vortrag und mitunter die Rockröhre gebend, geht es nicht nur darum, die Schwierigkeiten und Kräfte der Liebe mit drastischen Bildern zu untermauern: „So come on now / Strike the match / Fire meet gasoline / I’m burning alive!“ Vor allem auch werden auf musikalisch ins Formatradio drängender Basis innere Abgründe und, wie in der Auftaktsingle „Chandelier“, grundsätzlich wenig konsensfähige Themen wie der eigene Alkoholismus verhandelt.

Das ergibt eine Songsammlung, die locker aus dem Ärmel geschüttelt wirkt - und das wohl auch ist. Immerhin gilt Sia in ihrer Arbeit als zeitökonomisch. Das „Feilen“ mit David Guetta an dessen Hit „Titanium“ kostete ihr 40, der Text für „Diamonds“ von Rihanna gar nur 14 Minuten wertvoller Lebenszeit. Allerdings entsteht über die Albumlänge auch der Eindruck, solide Stangenware verkauft zu bekommen, aus der für sich genommen wenig hervorsticht. 

Kommerziell jedenfalls ist die Rückkehr ein Hit. In den US-Charts rangiert das Album bereits auf Platz eins. Dass der Wunsch nach Privatheit jetzt nicht leichter erfüllbar wird, steht auf einem anderen Blatt. Auch wenn Sia ihr Gesicht auf aktuellen Fotos im Papiersackerl versteckt.

(Wiener Zeitung, 19./20.7.2014)
     

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