Die Backstreet
Boys sorgten in der Wiener Stadthalle für 90er-Jahre-Trash-Nostalgie
Im
Gegensatz zu den Kollegen von Take That (Robbie Williams), *NSYNC (Justin
Timberlake) oder ein klein wenig auch Boyzone um Ronan Keating können die
Backstreet Boys als Ausreißer im per Branchengesetz auf Durchlauferhitzung
gebuchten Boygroup-Universum keine nennenswerte Solokarriere eines Mitglieds
vorweisen. Den Bemühungen Brian Littrells zum Trotz, mit andächtigen
Erweckungssongs zumindest die US-Christian-Charts oder den Bible Belt zu
rocken, war Zeit genug, sich gemeinsam vom in Deutschland, Österreich und der
Schweiz und dank Mola Adebisi auch im Beinahe-Musik-Fernsehen weltberühmten
Teenie-Wunder zum 90er-Jahre-Trash-Revival-Act keinesfalls zu entwickeln.
Dank und Demut
In
der Wiener Stadthalle wird man sich heute also dankbar und demütig zeigen und
nach einer aus „produktionstechnischen Problemen“ abgesagten Deutschland-Tour
sehr oft betonen, dass man ohne Vienna, Austria – „The Backstreet Boys love
you!“ – niemand wäre. Auch dem Veranstalter ist für das Risiko des Bookings
größter Respekt seitens der Band gewiss. Und es wird sich mit knapp 12.000
Besuchern letztlich für alle ausgezahlt haben. Das sind immerhin zahlreiche
Konzertgänger mehr als unlängst bei Bob Dylan und Prince. Aber bevor es jetzt
noch um Musik gehen sollte: Vienna, Austria ist toll, aber halt schon auch
irgendwie anders.
Das
Publikum ist größtenteils weiblich und erstaunlich jung. Es drängt sich der
Verdacht auf, dass zahlreiche Fans noch über lustige Schwingungen im Mutterleib
an die Backstreet Boys gebunden wurden. Dafür jubelt die
Stadthallen-Gastronomie nach Miley Cyrus im Juni über den zweithöchsten
Cola-Ausstoß der Saison. Auch die Stimmung ist beinahe die beste. Vom
Dezibellevel per „Kreisch!!!“ her könnte man sogar meinen, es mit einem Konzert
des Jahres zu tun zu haben. Auch in dieser Hinsicht zieht ein Bob Dylan – wer?
– den Kürzeren. Ruhe und Unaufgeregtheit gelten bekanntlich als
Alterserscheinung.
Und
apropos: Auf der Bühne beweisen Nick, A. J., Howie, Brian und Kevin als Heilige
Fünffaltigkeit, wie sie bereits im Buche Bravo beschrieben wurde, zunächst
einmal, dass man nicht nur würdelos altern, sondern auch würdelos jung bleiben
kann. Man gibt zwar mit cheesy Tanzeinlagen den Hampelmann von 1996, inszeniert
sich aber trotzdem als eine Art Elder-Statesmen-Verein der Boygroup-Innung
(„It’s been 21 years now. Vienna!“). Das geht sich nicht aus. Aber es ist
lustig anzusehen! Vor allem, wenn Nick Carter erstmals den Rocker mimt und beim
Akustik-Set erklärt werden will, dass man als echte Band schon immer auch voll
authentisch war. Vielleicht gibt es irgendwo in der Halle unter den zu spät
Geborenen ja jemanden, der noch an Märchen glaubt!
Hits und
Massenchor
Die
Band performt zwei Stunden lang im legeren Freizeitgwandl halbplayback vor
mitunter an Fantasy-Poster gemahnenden Visuals. Mit A. J. McLean heute im
Hipster-Look befindet sich ein Mitglied zudem fast auf der Höhe der Zeit. Der
Mann sieht aus, als würde er gerade vom Bewerbungsgespräch beim Vice-Magazin
kommen und vor der Restnacht in der Forelle für ein Instagram-Foto noch
semi-ironisch in die Stadthalle müssen.
Dort
stehen auf der Setlist neben zwei, drei nicht so guten neueren Songs und
„Incomplete“ als Erinnerung an die Phase, in der die Band beinahe erwachsen
wurde, vor allem die Hits. „I’ll Never Break Your Heart“ und „As Long As You
Love Me“ führen als Kuschelballaden in die Zeit vor dem Kuscheln zurück.
Händchenhalten. Zehner-Pause. Tutti Frutti kaufen gehen ans Schulbuffet.
Nächste Stunde Latein. Dazu Pyjamapartyhits wie „Everybody (Backstreet’s Back)“
und „We’ve Got It Goinʼ On“ im Massenchor unter dem Smartphonehimmel.
Nur dass es keine vom Kunstregen transparent
gemachten Hemden mit offener Knopfleiste gab, ja, das war am Ende dann doch
eine Frechheit!
(Wiener Zeitung, 17.7.2014)
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