Mittwoch, Juli 16, 2014

Würdelos jung bleiben

Die Backstreet Boys sorgten in der Wiener Stadthalle für 90er-Jahre-Trash-Nostalgie

Im Gegensatz zu den Kollegen von Take That (Robbie Williams), *NSYNC (Justin Timberlake) oder ein klein wenig auch Boyzone um Ronan Keating können die Backstreet Boys als Ausreißer im per Branchengesetz auf Durchlauferhitzung gebuchten Boygroup-Universum keine nennenswerte Solokarriere eines Mitglieds vorweisen. Den Bemühungen Brian Littrells zum Trotz, mit andächtigen Erweckungssongs zumindest die US-Christian-Charts oder den Bible Belt zu rocken, war Zeit genug, sich gemeinsam vom in Deutschland, Österreich und der Schweiz und dank Mola Adebisi auch im Beinahe-Musik-Fernsehen weltberühmten Teenie-Wunder zum 90er-Jahre-Trash-Revival-Act keinesfalls zu entwickeln. 


Dank und Demut 

In der Wiener Stadthalle wird man sich heute also dankbar und demütig zeigen und nach einer aus „produktionstechnischen Problemen“ abgesagten Deutschland-Tour sehr oft betonen, dass man ohne Vienna, Austria – „The Backstreet Boys love you!“ – niemand wäre. Auch dem Veranstalter ist für das Risiko des Bookings größter Respekt seitens der Band gewiss. Und es wird sich mit knapp 12.000 Besuchern letztlich für alle ausgezahlt haben. Das sind immerhin zahlreiche Konzertgänger mehr als unlängst bei Bob Dylan und Prince. Aber bevor es jetzt noch um Musik gehen sollte: Vienna, Austria ist toll, aber halt schon auch irgendwie anders.

Das Publikum ist größtenteils weiblich und erstaunlich jung. Es drängt sich der Verdacht auf, dass zahlreiche Fans noch über lustige Schwingungen im Mutterleib an die Backstreet Boys gebunden wurden. Dafür jubelt die Stadthallen-Gastronomie nach Miley Cyrus im Juni über den zweithöchsten Cola-Ausstoß der Saison. Auch die Stimmung ist beinahe die beste. Vom Dezibellevel per „Kreisch!!!“ her könnte man sogar meinen, es mit einem Konzert des Jahres zu tun zu haben. Auch in dieser Hinsicht zieht ein Bob Dylan – wer? – den Kürzeren. Ruhe und Unaufgeregtheit gelten bekanntlich als Alterserscheinung.

Und apropos: Auf der Bühne beweisen Nick, A. J., Howie, Brian und Kevin als Heilige Fünffaltigkeit, wie sie bereits im Buche Bravo beschrieben wurde, zunächst einmal, dass man nicht nur würdelos altern, sondern auch würdelos jung bleiben kann. Man gibt zwar mit cheesy Tanzeinlagen den Hampelmann von 1996, inszeniert sich aber trotzdem als eine Art Elder-Statesmen-Verein der Boygroup-Innung („It’s been 21 years now. Vienna!“). Das geht sich nicht aus. Aber es ist lustig anzusehen! Vor allem, wenn Nick Carter erstmals den Rocker mimt und beim Akustik-Set erklärt werden will, dass man als echte Band schon immer auch voll authentisch war. Vielleicht gibt es irgendwo in der Halle unter den zu spät Geborenen ja jemanden, der noch an Märchen glaubt!

Hits und Massenchor


Die Band performt zwei Stunden lang im legeren Freizeitgwandl halbplayback vor mitunter an Fantasy-Poster gemahnenden Visuals. Mit A. J. McLean heute im Hipster-Look befindet sich ein Mitglied zudem fast auf der Höhe der Zeit. Der Mann sieht aus, als würde er gerade vom Bewerbungsgespräch beim Vice-Magazin kommen und vor der Restnacht in der Forelle für ein Instagram-Foto noch semi-ironisch in die Stadthalle müssen.

Dort stehen auf der Setlist neben zwei, drei nicht so guten neueren Songs und „Incomplete“ als Erinnerung an die Phase, in der die Band beinahe erwachsen wurde, vor allem die Hits. „I’ll Never Break Your Heart“ und „As Long As You Love Me“ führen als Kuschelballaden in die Zeit vor dem Kuscheln zurück. Händchenhalten. Zehner-Pause. Tutti Frutti kaufen gehen ans Schulbuffet. Nächste Stunde Latein. Dazu Pyjamapartyhits wie „Everybody (Backstreet’s Back)“ und „We’ve Got It Goinʼ On“ im Massenchor unter dem Smartphonehimmel. 


Nur dass es keine vom Kunstregen transparent gemachten Hemden mit offener Knopfleiste gab, ja, das war am Ende dann doch eine Frechheit!

(Wiener Zeitung, 17.7.2014)

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