„World Peace Is None Of Your Business“: Morrissey veröffentlicht ein
neues Album
Gleich
das wunderbare Titelstück des Albums zeigt seine Selbstherrlichkeit zu Beginn
in großer Sorge. Zumindest, wenn man genau hinhört. Vordergründig scheint der
blanke Zynismus zu regieren, mit dem sich alternde Diven gemeinhin den nötigen
Respektabstand von ein paar hundert Kilometern um den eigenen Leib herum sicherstellen:
„World peace is none of your business / So would you kindly keep your nose out
/ The rich must profit and get richer / And the poor must stay poor / Oh, you
poor little fool …“
Spitze Hörner
Steven
Patrick Morrissey aber hat Höheres im Sinn. Ja, er entdeckt mit einem Blick am
Spiegel vorbei, dass es auch noch andere Menschen gibt, die beinahe so viel
leiden müssen wie er selbst an einem einsamen Tag ohne Liebe im Herzen. „Brazil and Bahrain / Oh, Egypt, Ukraine / So many
people in pain!“ Und
er überträgt seine umstrittenen politischen Ansichten davon ausgehend auch
wieder auf die Kunst: „Each time you vote / You support the process!“
Ähnlich
deutlich wird es bei „The Bullfighter Dies“ noch ein weiteres Mal während
dieser mit 56 Minuten großzügig bemessenen Spielzeit. Hier entäußert der radikale
Tierfreund Morrissey seinen Hass auf das Schweinesystem über das Themenfeld des
spanischen Stierkampfs: „Hooray,
hooray! / The bullfighter dies / And nobody cries / Because we all want the
bull to survive.“ Wobei der Meister als großer Zampano mit Vergleichen von
Fleischkonsum und Pädophilie bereits auf härtere Kost setzte und erst zu
Jahresbeginn wieder spitze Hörner anstatt der sonst so feinen Klinge zu Hilfe
nahm.
Zum Glück
aber missioniert Morrissey nicht 365 Tage im Jahr mit Schaum vor dem Mund um
sich feixend. Manchmal macht er auch einfach nur Musik. Mit „World Peace Is
None Of Your Business“ (Universal) etwa liegt nun sein erstes Album seit fünf
Jahren vor. Darüber lässt sich behaupten, dass es die zumindest abwechslungsreichste
Songsammlung Morrisseys seit seiner triumphalen Rückkehr ins Geschäft mit dem Album
„You Are The Quarry“ (2004) geworden ist. Neue Facetten seiner Kunst erlaubt
sich der 55-Jährige darauf mit Anklängen spanischer Folklore, die hartgesottene
britische Fans zunächst irritieren, sie über die Erinnerung an die Sangria-Kübel
des letzten Balearen-Urlaubs aber letztlich besänftigen sollten. Wir hören bedächtig
behandelte Zupfgitarren und Trompeten, die in mexikanische Mariachi-Gefilde
vorstoßen, wobei Morrissey mit dem beschwingten „Kiss Me A Lot“ sogar den Bésame-Mucho-Botschafter
geben darf.
Misanthropisch
Hinter „Earth
Is The Loneliest Planet“, mit dem Morrissey an seine Kernkompetenzen in den
Spezialgebieten „O weh!“ und „Na geh!“ erinnert, vermutet man nicht nur in den
ersten Takten Sting höchstpersönlich bei der Aufarbeitung seines letzten
Städtetrips nach Sevilla. Die britischen Fans denken jetzt an Rotwein aus zu
kleinen Gläsern. Der ist weniger gut als ein warmes Pint ohne Schaum, aber
bitte, was willst du erwarten. Kontinentaleuropäer!
Das etwas
plumpe „Neal Cassady Drops Dead“ wird
von Produzent Joe Chiccarelli entsprechend unsubtil eingefangen und ist damit
das Gegenstück zum semi-akustisch mäandernden „Mountjoy“, das Morrissey (wie am
Ende auch noch das programmatische „Kick The Bride Down The Aisle“) sich wieder
in Misanthropie üben lässt. „Staircase At The University“ kommt als klassische
Midtempoware mit pumpendem Bass und fatalem Finale daher – und „I’m Not A Man“ verabreicht
der Männerwelt einen Satz heiße Ohren („Iʼm not a man / Iʼd never kill or eat an
animal / And I never would destroy this planet Iʼm on!“).
Nicht nur
geografisch betrachtet als Ausreißer lässt das hübsche „Istanbul“, das
Morrissey zur Bosporus-Harmonik der türkischen Metropole verführt, die Fans endgültig
zittern. In Istanbul trinkt man Tee. Und da ist es auch schon wieder, das „O
weh!“, das „Na geh!"
Morrissey: „World Peace Is None Of Your Business“ (Universal)
(Wiener Zeitung, 16.7.2014)
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