Dienstag, Juli 15, 2014

Stierkampf und Weltfriede

„World Peace Is None Of Your Business“: Morrissey veröffentlicht ein neues Album 

Gleich das wunderbare Titelstück des Albums zeigt seine Selbstherrlichkeit zu Beginn in großer Sorge. Zumindest, wenn man genau hinhört. Vordergründig scheint der blanke Zynismus zu regieren, mit dem sich alternde Diven gemeinhin den nötigen Respektabstand von ein paar hundert Kilometern um den eigenen Leib herum sicherstellen: „World peace is none of your business / So would you kindly keep your nose out / The rich must profit and get richer / And the poor must stay poor / Oh, you poor little fool …“ 

Spitze Hörner 

Steven Patrick Morrissey aber hat Höheres im Sinn. Ja, er entdeckt mit einem Blick am Spiegel vorbei, dass es auch noch andere Menschen gibt, die beinahe so viel leiden müssen wie er selbst an einem einsamen Tag ohne Liebe im Herzen. „Brazil and Bahrain / Oh, Egypt, Ukraine / So many people in pain!“ Und er überträgt seine umstrittenen politischen Ansichten davon ausgehend auch wieder auf die Kunst: „Each time you vote / You support the process!“

Ähnlich deutlich wird es bei „The Bullfighter Dies“ noch ein weiteres Mal während dieser mit 56 Minuten großzügig bemessenen Spielzeit. Hier entäußert der radikale Tierfreund Morrissey seinen Hass auf das Schweinesystem über das Themenfeld des spanischen Stierkampfs: „Hooray, hooray! / The bullfighter dies / And nobody cries / Because we all want the bull to survive.“ Wobei der Meister als großer Zampano mit Vergleichen von Fleischkonsum und Pädophilie bereits auf härtere Kost setzte und erst zu Jahresbeginn wieder spitze Hörner anstatt der sonst so feinen Klinge zu Hilfe nahm.

Zum Glück aber missioniert Morrissey nicht 365 Tage im Jahr mit Schaum vor dem Mund um sich feixend. Manchmal macht er auch einfach nur Musik. Mit „World Peace Is None Of Your Business“ (Universal) etwa liegt nun sein erstes Album seit fünf Jahren vor. Darüber lässt sich behaupten, dass es die zumindest abwechslungsreichste Songsammlung Morrisseys seit seiner triumphalen Rückkehr ins Geschäft mit dem Album „You Are The Quarry“ (2004) geworden ist. Neue Facetten seiner Kunst erlaubt sich der 55-Jährige darauf mit Anklängen spanischer Folklore, die hartgesottene britische Fans zunächst irritieren, sie über die Erinnerung an die Sangria-Kübel des letzten Balearen-Urlaubs aber letztlich besänftigen sollten. Wir hören bedächtig behandelte Zupfgitarren und Trompeten, die in mexikanische Mariachi-Gefilde vorstoßen, wobei Morrissey mit dem beschwingten „Kiss Me A Lot“ sogar den Bésame-Mucho-Botschafter geben darf. 

Misanthropisch 

Hinter „Earth Is The Loneliest Planet“, mit dem Morrissey an seine Kernkompetenzen in den Spezialgebieten „O weh!“ und „Na geh!“ erinnert, vermutet man nicht nur in den ersten Takten Sting höchstpersönlich bei der Aufarbeitung seines letzten Städtetrips nach Sevilla. Die britischen Fans denken jetzt an Rotwein aus zu kleinen Gläsern. Der ist weniger gut als ein warmes Pint ohne Schaum, aber bitte, was willst du erwarten. Kontinentaleuropäer!

Das etwas plumpe „Neal Cassady Drops Dead“  wird von Produzent Joe Chiccarelli entsprechend unsubtil eingefangen und ist damit das Gegenstück zum semi-akustisch mäandernden „Mountjoy“, das Morrissey (wie am Ende auch noch das programmatische „Kick The Bride Down The Aisle“) sich wieder in Misanthropie üben lässt. „Staircase At The University“ kommt als klassische Midtempoware mit pumpendem Bass und fatalem Finale daher – und „I’m Not A Man“ verabreicht der Männerwelt einen Satz heiße Ohren („Iʼm not a man / Iʼd never kill or eat an animal / And I never would destroy this planet Iʼm on!“).

Nicht nur geografisch betrachtet als Ausreißer lässt das hübsche „Istanbul“, das Morrissey zur Bosporus-Harmonik der türkischen Metropole verführt, die Fans endgültig zittern. In Istanbul trinkt man Tee. Und da ist es auch schon wieder, das „O weh!“, das „Na geh!"

Morrissey: „World Peace Is None Of Your Business“ (Universal)

(Wiener Zeitung, 16.7.2014) 

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