Jazz Fest Wien: Dr.
John, lebende Legende aus New Orleans, ordinierte im Rathaus-Arkadenhof.
Den
Anfang dieses letzten Abends am Jazz Fest Wien für heuer macht die Preservation
Hall Jazz Band. Sie heizt dem Arkadenhof im Rathaus publikumsbegeisternd auch mit
solierfreudigem Jazz ein, der bisweilen sehr wohl als Dixieland zu bezeichnen
ist – um für eine lebende Legende ihrer Heimatstadt New Orleans aufzuwärmen. Dr.
John, der seinem Alter von mittlerweile 73 Jahren und einer Weltkarriere in
Sachen Eigenmedikation entsprechend gemächlich auf die Bühne schreitet, hat die
musikalischen Traditionen der Südstaatencity nicht nur kultiviert, sondern
ihnen auch neue Facetten hinzugefügt.
Anfangs immerhin kreuzte er den New-Orleans-R&B
nicht nur mit psychedelischem Rock ’n’ Roll. Auf dem Debütalbum „Gris-Gris“
(1968) wie auch auf den frühen Folgearbeiten regierte der Wahnsinn in Form
eines entrückten Voodoo-Schamanismus. Das klang fantastisch und hätte dem als
Malcolm John Rebennack geborenen Musicman allein für einen Platz in den
Geschichtsbüchern gereicht. Auch als Produzentgehilfe und Musiker für namhafte
Kollegen wie Van Morrison, die Rolling Stones, Frank Zappa und später Lou Reed oder
Spiritualized gefragt, erarbeitete er sich im eigenen Schaffen zusätzlich einen
schneidigen Funk. Von Kalifornien aus wiederum wurden ab 1972 klassische
New-Orleans-Standards interpretiert, ehe Dr. John, zunehmend von der Gitarre abkehrend,
zum Boogie-Meister am Klavier mutierte. Nach Jahren der gepflegten
Altersroutine lag es 2012 an Dan Auerbach von den Black Keys, ihm mit dem Album
„Locked Down“ einen rohen Blues zurückzugeben, der von Barhockerjazz-Intermezzi
für Rotweintrinker nichts wissen wollte.
Mit
seiner hervorragenden fünfköpfigen Band und Dr. John als Filzzopfträger an den
Tasten wird in Wien gut 100 Spielminuten lang aus allen Perioden gereicht. Während
über dem Spickzettelpult des am heutigen Abend beliebtesten Arztes der Stadt
nur mehr ein Totenkopf an den Voodoo-Wahnsinn von seinerzeit erinnert, geht es
dank „Iko Iko“ mit einem Klassiker los. Man spielt angefunkten Soul, erlaubt
sich live mehr Dynamik, verfällt in kleinere Jams und hat sichtlich Spaß auf
der Bühne. Mit einer live weniger gefährlichen Version von „Locked Down“ wird
es gleich im Anschluss selbstreferenziell: „Lived reckless so long“, erinnert
sich Dr. John vermutlich an junge Jahre als Bordellbetreiber im Drogensumpf, um
aber auch eines klarzustellen: „Donʼt point no finger at me like you do. Know
three of them is pointing back at you!“ Er übt sich mit „Revolution“ in
Kapitalismuskritik und sieht die Welt
bei „Kingdom Of Izzness“ wieder einmal in den Abgrund fahren.
Grundsätzlich
aber lässt Dr. John die Musik selbst für sich sprechen. Es setzt ein
geschlenztes „I Walk On Gilded Splinters“, ein beschwingtes „Big Chief“ und mit
„Right Place, Wrong Time“ den größten Hit aus eigener Feder durchaus
originalgetreu. Für „Let The Good Times Roll“ erhebt sich der Doktor, um an die
Gitarre zu wechseln, ehe Sarah Morrow an der Posaune, psychedelisch gewitzt,
das vermutlich durchgeknallteste Solo der Spielsaison 2014 liefert.
Wie der Abend also war, erklärt Dr. John bei
„Such A Night“ ganz am Ende abermals mit rein musikalischen Mitteln. Seine
Jünger danken es ihm – mit großem Applaus.
(Wiener Zeitung, 10.7.2014)
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