Mittwoch, August 20, 2014

Der Gangsta mit dem Gefühl

„Camouflage“: Rapper Nazar aus Wien Favoriten veröffentlicht ein neues Album

Am Ende wird es das Jahr des Ardalan Afshar gewesen sein. Der besser unter seinem Alias Nazar bekannte Rapper aus Wien Favoriten musste es sich im Mai zwar gefallen lassen, „nur“ einen Amadeus in der Kategorie „Bestes Video“ überreicht zu bekommen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, trotz erheblicher Verkaufserfolge am deutschen Markt auch hierzulande (medial) wahrgenommen zu werden, folgte zuletzt aber ein Hauptbühnen-Auftritt am Popfest, während seine Musik heute sowohl auf FM4 als auch auf Ö3 bisweilen „heavy“ rotiert. Mit „Zwischen Zeit und Raum“ als erster Single aus seinem nun erscheinenden sechsten Album „Camouflage“ sollen schließlich auch neue, seinem Hauptgenre gegenüber kaum bis definitiv nicht aufgeschlossene Hörer erobert werden. Zugunsten Falcos als aus dem Archiv rappender Duettpartner nobel im Hintergrund demonstriert der bald 30-Jährige, dass er neben Dicke-Hose-Raps auch das Popfach beherrscht. Es ist ein Hit!


Selfmademan


Dass Nazar an diesem kein Geld verdient, ist einerseits auch seinem überraschenden „Ja“ geschuldet, einen Vertrag mit dem seit zwei Jahren als Bittsteller aktiven Major-Label Universal zu unterschreiben. Die Rechte für den Song mussten abgetreten werden. Andererseits ist das egal – die Kohle kommt auch so wieder rein. Nach einem Karrierestart per Kredit und Jahren als Selfmademan, der sämtliche Arbeitsaspekte kontrollierte und es verstand, sich als Regisseur im Breitwandformat gehaltener Videoclips und gewiefter Social-Media-Kommunikator ein Publikum zu erobern, sollte etwas mehr Support derzeit nicht als das Unangenehmste empfunden werden.


Geboren wurde Afshar in Teheran. Nachdem sein Vater im Ersten Golfkrieg gestorben war, flüchtete er 1987 mit Mutter und Bruder nach Österreich, wo die Familie zunächst in Traiskirchen Unterschlupf fand. Sein Aufwachsen im zehnten Wiener Gemeindebezirk wurde nach Entdeckung einer Ausdrucksform namens Rap als oft belächelte Verdichtung eines Ghetto-Lifestyles erzählt. Neben gewaltverherrlichenden Texten um das eingedeutschte (und bevorzugt auf „deine Mutter“ bezogene) F-Wort fiel Nazar aber auch mit der Thematisierung einer Identitätssuche auf, die ein Leben zwischen zwei Welten so mit sich bringt. Nicht zuletzt mit seiner Positionierung gegen die FPÖ und einem teils heftigen Diss HC Straches, dessen Brandreden am Viktor-Adler-Markt er vor der eigenen Haustür erleben musste, bezog Nazar auch politisch Stellung. Zusätzlich folgte im Umfeld der Wien-Wahl 2010 ein Engagement für die SPÖ. Damals war die von der „Kronen Zeitung“ geschürte Aufregung wieder vergessen, die zwei Jahre zuvor im Zuge Nazars Anklage wegen Raubüberfalls geherrscht hatte. Von dieser blieb immerhin eine Verurteilung wegen Körperverletzung über.


Eigenzunftschelte


Auf den 16 Songs von „Camouflage“ wird zu prototypischen Gangsta-Rap-Sounds mit zum Cruisen verleitenden Subbässen, ratternden Snaredrums und zirpenden Blitzhüttensynthesizern zwar auch heute noch der Macker markiert: „Besser du nimmst deine Nike-Schuhe, lauf! Wir räumen diese Scheißbude auf!“ – bei „Schüsse in die Luft“ schaut schließlich auch Gastrapper Sido vorbei, um uns grimmig verstimmt „in die Bratfanne“ zu setzen.


Passend zur erwähnten Hinwendung in Richtung Pop aber mimt Nazar zunehmend den Gangsta mit dem vielen Gefühl. Er rappt dann über die große Liebe, die Folgen von Rosenkriegen für Scheidungskinder und dicke Tränen an dunklen Tagen. Der Titeltrack des Albums kommt dann als besonderes Rührstück daher. Dazu passt es, dass Duettpartner Mark Forster nicht nur stimmlich an die Erweckungsgesänge eines Xavier Naidoo denken lässt: „Du machst dich selbst so, wie du willst. Du kannst bestimmen, was deine Farben sind. Das machst du klar. Nur du, ja! Deine Camouflage. Ey!“ Dazu gibt es klischeezentrierte Migrantenbetrachtungen („Kanax“) und mit „Rapbeef“ ein wenig Eigenzunftschelte: „Kids draußen sehen die ganzen Ausmaße nie. Auch der grausamste Beef ist Verkaufsstrategie.“


Ob der an Spekulation grenzende Facettenreichtum des Albums selbst auf eine Verkaufsstrategie baut? Im Intro jedenfalls heißt es: „,Nazar der Terror-Rapper‘, so hatte die Presse mich genannt. Doch ich laufe mit Geschäftssinn und ʼnem Lächeln in die Bank.“


Nazar: Camouflage (Wolfpack Entertainment/Universal)


(Wiener Zeitung, 21.8.2014)

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