Samstag, August 16, 2014

(Feine) Reime – und Schweine

Das FM4-Frequency-Festival zieht die Massen nach St. Pölten. Das ist erstaunlich. 

Gleich hinter dem Eingang rechts sieht man das Quietschentchen des heimischen Jugendradiosenders, das es nach seinem Debüt am Popfest nun also auch zum FM4-Frequency-Festival nach St. Pölten geschafft hat. Allerdings erklären die als Überreste an den verregneten Start am Vortag erinnernden Ö3-Regenponchos das „Dilemma“ des Namenspatrons auch am Donnerstag: Das mit Jugendverleitungskampagnen der Marke „Kennst du schon unser neuestes Sparkontoangebot?“ schon immer kommerziell bespielte Areal ist jetzt auch von der Musik her im Formatradio angekommen. Man wird das später noch vor der Bühne bemerken, wenn man den weiten Weg vorbei an den „Wir sind die Geilsten“-Bewerbungsständen der von der Jugend nicht zwangsläufig als „geil“ wahrgenommenen Konzerne wie etwa den Bundesbahnen bewältigt hat. Diese gehen in St. Pölten übrigens mit dem Slogan „Just relaxed. ÖBB“ auf Kundenfang. Man hat es dann aber eh pünktlich auf das Gelände geschafft. 

Es ist nett 

Dort erfährt man, dass das Bier mit 4,50 Euro ohne Becherpfand heuer beinahe günstig ist. Immerhin könnte man am Frequency auch ein Seiterl Soda für 2,70 Euro trinken oder seinen Handyakku professionell aufladen lassen, was 2,50 Euro kostet. Neu sind außerdem tatsächlich kulinarische Angebote. Christian Petz vom Wiener Badeschiff etwa kredenzt „Pulled Pork Burger“. Daneben rotieren zwei Spanferkel um sich selbst. Es gibt „Gegrilltes Schweineteller“.

Als erste musikalische Attraktion für eine tendenziell jüngere Zielgruppe spielt am Nachmittag der sympathische Rapper Prinz Pi aus Berlin. Er hebelt handelsübliche Hip-Hop-Klischees mit seiner Erscheinung ebenso aus wie mit einer echten Band und Texten über deepe Gefühle, die sehr real sind. Zu uns insgeheim (aber psst!) flennig machenden Melodien verwendet der Mann für seine Zunft untypische Worte. Sie heißen „Liebe“ und „Küssen“ und zeitigen Sätze wie „Du bist alles für mich“. Das ist rührend – wie auch die Zwischenansagen des Rappers, der heute „auf ein richtig schönes Ding“ hofft: „Ach, das ist doch nice hier, das ist nett!“

Nett und sympathisch auch das Duo Milky Chance aus dem hessischen Kassel, das sich nach seinem selbstbestimmten Durchbruch als Netzhit gegen das Friendly Fire der Musikindustrie sperrt und beschlossen hat, „independent“ zu bleiben. Leider ist das Konzert mäßig spannend. Ein junger Mann sitzt vor dem Laptop und nickt mit dem Kopf. Er ruft vorprogrammierte Beats ab, zu denen sein Kollege an der Gitarre Sätze wie „Where are you? Come to me! Where are you?“ singt. Alle Songs klingen gleich. 

Danach wird es finster. Der als Videoclip-Regisseur etwa für Lana Del Rey bekannte Nebenerwerbsmusiker Yoann Lemoine alias Woodkid lässt die Welt zu Bildern von Schwarz-Weiß-Dystopia in den Höllenschlund fahren. Wir hören drastische Beats, quasi-wagnerianischen Pomp und nachtschwarze Begräbnisbläser. Menschen mit lustigen Augen tanzen dazu wie im Club auf Ibiza. Sie sind auf dem falschen Konzert. Parallel dazu erklären Imagine Dragons zwischen Ostkurven-Schlachtgesang, Stadion-Pathos und Schlagermelodien, wieso sie noch vor den Killers als entsetzlichste „Rock“-Band der Gegenwart gelten müssen.

Der Abend endet mit einem üblichen Götterkonzert der Queens Of The Stone Age, bei dem das über Jahre hinweg gezüchtete Mainstreampublikum halt nur nicht mehr anwesend ist. Es hat zuvor noch Party bei Kiffergott Snoop Dogg gemacht, der nur mit einem Joint in der Hand an sein neues Ich als jamaikanischer Kräuterwuzzi Snoop Lion erinnert. 

Entsprechend gelangweilt setzt es mit Coverversionen Karaoke, während Snoop Dogg verstorbenen Homies Tribut zollt und neben frühem G-Funk auch baldige Porno-Reime zum Besten gibt, die akut frauenfreundlich sind. Im Gegensatz zu Prinz Pi sagt Snoop Dogg nicht „Liebe“ und „Küssen“, sondern sehr oft „Nigger“, „Bitch“, „Shit“, „Dope“ und „Fuck“. Der Publikumsreaktion zufolge war es der Auftritt des Abends.

(Wiener Zeitung, 16./17.8.2014)

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