Mittwoch, August 13, 2014

Wo die Dämonen wohnen

Die einem diffusen Weltschmerz verschriebene US-Band The National gastierte in Wien 

Aktuell ist Matt Berninger mit seiner Band The National nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Kino zu sehen. In der nicht strikt auf die Musik fokussierten Tourdoku „Mistaken For Strangers“ seines Bruders Tom über dessen (erfolgloses) Engagement als Roadie vor vier Jahren geht es über beigestellte Backstageaufnahmen des Sängers als Mann mit dem Glas in der Hand auch um das nicht immer friktionsfreie Verhältnis zweier Verwandter. Dieses ist etwa dem Umstand geschuldet, dass einer von ihnen mit 34 Jahren noch immer der kleine Bruder und kein Rockstar ist. Am Open-Air-Areal der ausverkauften Wiener Arena also wird der hauptberufliche Frontmann dennoch die Werbetrommel rühren und an den Filmstart erinnern. Schließlich geht es um die Familie. Die holt dich immer ein.

Im Gegensatz zum Wien-Termin der seinerzeitigen Tour nimmt Matt Berninger den Wein heute übrigens nicht direkt aus der Bouteille. Passend zur neuen Hornbrille und einer Erscheinung als Dichter und Denker des Alternative Rock wird die Rückkehr zum Trinkbecher zelebriert. Nicht dass das wichtig wäre. Es zählt der Inhalt, der es dem Sänger erlaubt, seine Stellung als wippender und kippender Schüchti zeitweise aufzugeben. Aus Reinigungsgründen in Sachen Gefühlshaushalt und weil es wohl besser ist, einmal auszuzucken als dauerhaft zu implodieren, fliegt dann der Mikrofonständer in die Ecke und Berninger gibt das Brülltier. Das passt zur Musik. Egal, ob The National auf Americana-Nähe, gut abgedunkelten Indie-Rock, im Schwebzustand verharrende Noir-Balladen oder atmosphärisches Songwriting setzten, das Ziel war immer das gleiche. Mit Musik über die Seele als Ort, an dem Dämonen wohnen, macht diese Band den (Welt-)Schmerz erträglich. Das ist nicht das geringste Verdienst.

Live zu neunt und mit bis zu vier den Befreiungsanteil erhöhenden Bläsern setzt es ein stimmiges Set, das mitunter etwas zu routiniert wirkt. Zweifelsohne ist dem einen oder anderen Live-Arrangement anzuhören, dass die Songs längst auch auf kleinstadtgroßen Festivalarealen zu funktionieren haben.

Wir hören ein stoisches „I Should Live In Salt“ vom programmatisch betitelten aktuellen Album „Trouble Will Find Me“, aus dem das waidwunde „I Need A Girl“ ebenso hervorsticht wie das tröstliche „Sea Of Love“. Bei „Afraid Of Everyone“, mit dem Tempo und Stimmung erstmals anziehen, läuft auch Berninger zur markanten Hochform auf. Neben der hier besungenen Angst als „Zustand“ ist auch ein Mangel an Lösungsmitteln dafür verantwortlich: „I don’t have the drugs to sort it out!“ Innig hingegen auf Herbstmelancholie gestimmte Songs wie „Slow Show“ und „Fake Empire“. 

Die Dringlichkeit der Zugaben aber bleibt im Hauptteil unerreicht. Bei „Terrible Love“ als emotionaler Hochseilakt, den Berninger mit einem Gang durch und über das Publikum übersetzt, und dem unverstärkten Gruppengesang von „Vanderlyle Crybaby Geeks“ regiert am Ende die Freude. Fans glücklich, Seele wieder gesund. Auch wenn heute mehr dafür nötig war als nur ein Wort. 

(Wiener Zeitung, 14.8.2014)

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