Die einem
diffusen Weltschmerz verschriebene US-Band The National gastierte in Wien
Aktuell
ist Matt Berninger mit seiner Band The National nicht nur auf der Bühne,
sondern auch im Kino zu sehen. In der nicht strikt auf die Musik fokussierten
Tourdoku „Mistaken For Strangers“ seines Bruders Tom über dessen (erfolgloses)
Engagement als Roadie vor vier Jahren geht es über beigestellte
Backstageaufnahmen des Sängers als Mann mit dem Glas in der Hand auch um das
nicht immer friktionsfreie Verhältnis zweier Verwandter. Dieses ist etwa dem
Umstand geschuldet, dass einer von ihnen mit 34 Jahren noch immer der kleine
Bruder und kein Rockstar ist. Am Open-Air-Areal der ausverkauften Wiener Arena
also wird der hauptberufliche Frontmann dennoch die Werbetrommel rühren und an
den Filmstart erinnern. Schließlich geht es um die Familie. Die holt dich immer
ein.
Im
Gegensatz zum Wien-Termin der seinerzeitigen Tour nimmt Matt Berninger den Wein
heute übrigens nicht direkt aus der Bouteille. Passend zur neuen Hornbrille und
einer Erscheinung als Dichter und Denker des Alternative Rock wird die Rückkehr
zum Trinkbecher zelebriert. Nicht dass das wichtig wäre. Es zählt der Inhalt,
der es dem Sänger erlaubt, seine Stellung als wippender und kippender Schüchti
zeitweise aufzugeben. Aus Reinigungsgründen in Sachen Gefühlshaushalt und weil
es wohl besser ist, einmal auszuzucken als dauerhaft zu implodieren, fliegt
dann der Mikrofonständer in die Ecke und Berninger gibt das Brülltier. Das
passt zur Musik. Egal, ob The National auf Americana-Nähe, gut abgedunkelten
Indie-Rock, im Schwebzustand verharrende Noir-Balladen oder atmosphärisches
Songwriting setzten, das Ziel war immer das gleiche. Mit Musik über die Seele
als Ort, an dem Dämonen wohnen, macht diese Band den (Welt-)Schmerz erträglich.
Das ist nicht das geringste Verdienst.
Live
zu neunt und mit bis zu vier den Befreiungsanteil erhöhenden Bläsern setzt es
ein stimmiges Set, das mitunter etwas zu routiniert wirkt. Zweifelsohne ist dem
einen oder anderen Live-Arrangement anzuhören, dass die Songs längst auch auf
kleinstadtgroßen Festivalarealen zu funktionieren haben.
Wir
hören ein stoisches „I Should Live In Salt“ vom programmatisch betitelten
aktuellen Album „Trouble Will Find Me“, aus dem das waidwunde „I Need A Girl“
ebenso hervorsticht wie das tröstliche „Sea Of Love“. Bei „Afraid Of Everyone“,
mit dem Tempo und Stimmung erstmals anziehen, läuft auch Berninger zur
markanten Hochform auf. Neben der hier besungenen Angst als „Zustand“ ist auch
ein Mangel an Lösungsmitteln dafür verantwortlich: „I don’t have the drugs to
sort it out!“ Innig hingegen auf Herbstmelancholie gestimmte Songs wie „Slow
Show“ und „Fake Empire“.
Die Dringlichkeit der Zugaben aber bleibt im
Hauptteil unerreicht. Bei „Terrible Love“ als emotionaler Hochseilakt, den
Berninger mit einem Gang durch und über das Publikum übersetzt, und dem
unverstärkten Gruppengesang von „Vanderlyle Crybaby Geeks“ regiert am Ende die
Freude. Fans glücklich, Seele wieder gesund. Auch wenn heute mehr dafür nötig
war als nur ein Wort.
(Wiener Zeitung, 14.8.2014)
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