Freitag, August 08, 2014

Die Frau der Stunde

Flüchtiger R ’n’ B, hohe Artyness: FKA twigs veröffentlicht ihr Debütalbum „LP1“ 

Letztlich erweist sich nicht nur die Wahl Sam Smiths an die Spitze des „BBC Sound of 2014“-Polls als Fehler. Vor allem der Umstand, mit FKA twigs einen tatsächlichen Schatz auf der Longlist gehabt, ihn aber in der Truhe versenkt und für die Endkür nicht mehr berücksichtigt zu haben, lässt erneut Zweifel an der Supertopchecker-Expertise aufkommen. Oder zumindest am Geschmack der Entscheidungsträger. Immerhin fällt die Frau hinter dem enigmatischen Pseudonym mit einem künstlerischen Wurf auf, der als Gesamtpaket funktioniert, und der dem großen „Alles schon dagewesen“ im Pop zusätzlich mit Eigensinn Kontra gibt. 

Hauchen und wispern 

1988 als Tahliah Barnett in Gloucestershire geboren, ging die Tochter eines jamaikanischen Vaters und einer spanischstämmigen Mutter zunächst den Weg einer klassischen Ballettausbildung, ehe sie im Alter von 17 Jahren nach London übersiedelte und ihr Geld als Tänzerin im Pop-Umfeld zu verdienen begann. Engagements für Musikvideos von Kylie Minogue, Ed Sheeran oder Jessie J erwiesen sich als grundsätzlich nett, aber auf Dauer nicht befriedigend.

Mit dem Vorteil ausgestattet, privat zum Rückzug zu neigen und sich nicht lange von Partys aufhalten zu lassen, begann Barnett im stillen Kämmerlein selbst zu produzieren und sich als FKA twigs neu zu erfinden. Durchaus beeindruckende, von Video- und Körperkunst sowie einer Inszenierung als verschroben-artifizielles It-Girl bestimmte Clips für die Webgemeinde verstärkten die Wirkung ihrer „EP1“ (2012) mit Nachdruck. Die Songs selbst erklangen als abstrahierte Neo- R-’n’-B -Überreste mit dem Nachhall eines schattigen Trip-Hops und bauten neben Aussparung und Reduktion vor allem auf hohe Artyness und einen flüchtigen Charakter. Wattebauschige Klangatmosphären, verquer durch den Raum geisternde Laptopelektronik und eine zwischen Hauchen, Raunen, Wispern und Flüstern changierende Falsettstimme vervollständigten die Ästhetik.

Mit sich verzehrend vorgetragenen Texten über die Themenfelder Liebe, Sex und Obsessionen und etwa dem vordergründig sinnlichen, bald aber bedrohlichen „Papi Pacify“, das Anna Calvi mit einer Coverversion in ihr Staubwüstentwang- und Hotelzimmersamt-Universum übersetzte, war die Kunst auf der „EP2“ im Herbst 2013 ausgereift. Dass nicht nur der dafür als Co-Produzent gewonnene Kanye-West-Kollaborateur Arca auch am mit Spannung erwarteten Debütalbum schrauben sollte, ließ im Anschluss aber sanfte Skepsis aufkommen. Immerhin ging mit Paul Epworth ein Mann an Bord, der sich sonst um Coldplay oder Bruno Mars kümmert. Mitunter tatsächlich eine Spur glatter angelegt, um die Zugänglichkeit für die Laufkundschaft zu erhöhen, erklären die zehn neuen Songs zwischendurch auch, dass auf den Vorarbeiten womöglich bereits zu viel Pulver verschossen wurde. Dennoch liegt mit „LP1“ ein Album vor, das FKA twigs beim Spiel in ihrer eigenen Liga belauschen lässt. 

Mit dem Häcksler 

Es beginnt auf Basis „Eyes Wide Shut“-tauglichen Sirene-im-Musenhain-Singsangs, um mit Songs wie dem von einem Dampforgel-Solo verzierten „Lights On“ oder der als Schleicher angelegten Auftaktsingle „Two Weeks“ inhaltlich plakativer zu werden, als es die klanglich subtile Umrahmung vermuten ließe. Die Beats stolpern und holpern. Sie knüpfen mit dem aufgeräumten „Hours“ an die Björkʼsche Blubberelektronik an, um zu David-Lynch-gleich zerrrinnenden Sounds maximale Zerbrechlichkeit zu erreichen. Das im Kern klassische „Pendulum“ wiederum könnte problemlos als sexy Schlafzimmersoul für Prince arrangiert werden. Dazwischen fallen Dramolette wie „Numbers“ Snaredrum-betont mit dem Häcksler ein.

Gemeinsam ist allen Songs eine auf die Spitze getriebene Intimität als künstlerische Prämisse. Das überzeugt nicht nur in seiner Konsequenz: „When I trust you, we can do it with the lights on!“

FKA twigs: LP1 (Young Turks/Beggars Group)

(Wiener Zeitung, 9./10.8.2014) 

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