Flüchtiger R ’n’
B, hohe Artyness: FKA twigs veröffentlicht ihr Debütalbum „LP1“
Letztlich
erweist sich nicht nur die Wahl Sam Smiths an die Spitze des „BBC Sound of
2014“-Polls als Fehler. Vor allem der Umstand, mit FKA twigs einen tatsächlichen
Schatz auf der Longlist gehabt, ihn aber in der Truhe versenkt und für die
Endkür nicht mehr berücksichtigt zu haben, lässt erneut Zweifel an der
Supertopchecker-Expertise aufkommen. Oder zumindest am Geschmack der
Entscheidungsträger. Immerhin fällt die Frau hinter dem enigmatischen Pseudonym
mit einem künstlerischen Wurf auf, der als Gesamtpaket funktioniert, und der dem
großen „Alles schon dagewesen“ im Pop zusätzlich mit Eigensinn Kontra gibt.
Hauchen und wispern
1988
als Tahliah Barnett in Gloucestershire
geboren, ging die Tochter eines jamaikanischen Vaters und einer
spanischstämmigen Mutter zunächst den Weg einer klassischen Ballettausbildung, ehe
sie im Alter von 17 Jahren nach London übersiedelte und ihr Geld als Tänzerin
im Pop-Umfeld zu verdienen begann. Engagements für Musikvideos von Kylie
Minogue, Ed Sheeran oder Jessie J erwiesen sich als grundsätzlich nett, aber
auf Dauer nicht befriedigend.
Mit
dem Vorteil ausgestattet, privat zum Rückzug zu neigen und sich nicht lange von
Partys aufhalten zu lassen, begann Barnett im stillen Kämmerlein selbst zu
produzieren und sich als FKA twigs neu zu erfinden. Durchaus beeindruckende, von
Video- und Körperkunst sowie einer Inszenierung als verschroben-artifizielles
It-Girl bestimmte Clips für die Webgemeinde verstärkten die Wirkung ihrer „EP1“
(2012) mit Nachdruck. Die Songs selbst erklangen als abstrahierte Neo- R-’n’-B -Überreste
mit dem Nachhall eines schattigen Trip-Hops und bauten neben Aussparung und
Reduktion vor allem auf hohe Artyness und einen flüchtigen Charakter.
Wattebauschige Klangatmosphären, verquer durch den Raum geisternde Laptopelektronik
und eine zwischen Hauchen, Raunen, Wispern und Flüstern changierende
Falsettstimme vervollständigten die Ästhetik.
Mit
sich verzehrend vorgetragenen Texten über die Themenfelder Liebe, Sex und
Obsessionen und etwa dem vordergründig sinnlichen, bald aber bedrohlichen „Papi
Pacify“, das Anna Calvi mit einer Coverversion in ihr Staubwüstentwang- und
Hotelzimmersamt-Universum übersetzte, war die Kunst auf der „EP2“ im Herbst
2013 ausgereift. Dass nicht nur der dafür als Co-Produzent gewonnene Kanye-West-Kollaborateur
Arca auch am mit Spannung erwarteten Debütalbum schrauben sollte, ließ im
Anschluss aber sanfte Skepsis aufkommen. Immerhin ging mit Paul Epworth ein Mann
an Bord, der sich sonst um Coldplay oder Bruno Mars kümmert. Mitunter
tatsächlich eine Spur glatter angelegt, um die Zugänglichkeit für die Laufkundschaft zu
erhöhen, erklären die zehn neuen Songs zwischendurch auch, dass auf den
Vorarbeiten womöglich bereits zu viel Pulver verschossen wurde. Dennoch liegt
mit „LP1“ ein Album vor, das FKA twigs beim Spiel in ihrer eigenen Liga belauschen
lässt.
Mit dem Häcksler
Es
beginnt auf Basis „Eyes Wide Shut“-tauglichen Sirene-im-Musenhain-Singsangs, um
mit Songs wie dem von einem Dampforgel-Solo verzierten „Lights On“ oder der als
Schleicher angelegten Auftaktsingle „Two Weeks“ inhaltlich plakativer zu werden,
als es die klanglich subtile Umrahmung vermuten ließe. Die Beats stolpern und
holpern. Sie knüpfen mit dem aufgeräumten „Hours“ an die Björkʼsche
Blubberelektronik an, um zu David-Lynch-gleich zerrrinnenden Sounds maximale
Zerbrechlichkeit zu erreichen. Das im Kern klassische „Pendulum“ wiederum
könnte problemlos als sexy Schlafzimmersoul für Prince arrangiert werden. Dazwischen
fallen Dramolette wie „Numbers“ Snaredrum-betont mit dem Häcksler ein.
Gemeinsam
ist allen Songs eine auf die Spitze getriebene Intimität als künstlerische
Prämisse. Das überzeugt nicht nur in seiner Konsequenz: „When I
trust you, we can do it with the lights on!“
FKA twigs: LP1 (Young Turks/Beggars Group)
(Wiener Zeitung, 9./10.8.2014)
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