Donnerstag, August 21, 2014

Der nüchterne Chronist

Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt die Ausstellung „Walker Evans. Ein Lebenswerk“

Die Menschenschlange vor dem Martin-Gropius-Bau in Richtung der Berliner Restmauer an der Niederkirchnerstraße ist gerade noch David Bowie geschuldet. Dass auch im Inneren des Museums rege Geschäftigkeit herrscht, hat aber nicht nur mit einer nach dem Meister benannten Ausstellung zu tun, die sich bis Ende dieser Woche keineswegs auf dessen Berlin-Phase („Die Mauer im Rücken so kalt …“) beschränkt und dem Museumstourismus sichtbar die Flügel hebt. Mit mehr als 200 Originalabzügen wird im Obergeschoß schließlich auch eine Annäherung an den US-Fotografen Walker Evans unternommen, die sich einen eigenen Blickwinkel erlaubt. Es wird mitunter an den Klassikern dieses Grenzgängers zwischen Journalismus und Kunst vorbei und hin zu den Rändern geschaut.

Nicht eitel, aber stur

Immerhin geht es im Wissen um Evans Bekanntheit für genuin amerikanische Sujets und seine Dokumentation der bitteren Armut in den Südstaaten überraschend mit Gladiolen los. Über diese wie auch weite Teile des weiteren Werks von Evans frontal eingefangenen Sujets informiert der Begleittext allerdings, dass sie bereits mehr als ein dankbares Übungsfeld für etwas waren, das später als „dokumentarischer Stil“ bezeichnet wurde und den 1903 in St. Louis, Missouri geborenen Fotokünstler kennzeichnen sollte. Darüber im Klaren, auch gestochen scharfer schwarz-weiß-Aufnahmen ohne Nachbearbeitung zum Trotz nicht frei von Subjektivität sein zu können, erarbeitete sich Evans mit nüchternen Blicken auf harte Fakten rasch den Ruf eines Chronisten. Dieser galt im Werk zwar als uneitel, beharrte aber stur auf Prinzipien. Für seine Verpflichtung, im Auftrag der Farm Security Administration zu Zeiten Franklin D. Roosevelts New-Deal-Politik durch den US-Süden zu reisen, ließ sich Evans ein resolutes „No politics whatever“ in den Vertrag schreiben. Die im Anschluss entstandenen Fotos waren sein Durchbruch. 1938 wurde Evans zum ersten Fotografen, dem das MoMA in New York eine Ausstellung widmete.

Die während der Großen Depression etwa in Mississippi und Alabama festgehaltenen Impressionen zeigen neben der vom Leben gezeichneten (schwarzen) Bevölkerung auch Arbeiterquartiere mit und ohne Arbeiter. Ein überliefertes Zitat dürfte also nicht nur für Evans Fotografien viktorianischer Hausfassaden als im Schwinden begriffenes Kulturgut, verlassene Landstriche im ewigen Hinterland und die windschiefen Scheunen von Kentucky bis New Jersey gelten: „Gelegentlich gefällt es mir, Menschen durch ihre Abwesenheit anzudeuten“ – wichtig ist immer auch, was man nicht sieht.

Nähe per Distanz

Den Menschen kam Evans nur folgerichtig über die Distanz sehr nahe. Er fotografierte etwa mithilfe eines Winkelsuchers im Undercover-Modus. Für eine Porträt-Serie in der New Yorker U-Bahn hielt er seine 35-mm-Contax-Kamera unter dem Mantel versteckt, um an eine gerade in der Fotografie schwierige „Wahrheit“ heranzurücken.

Von 1945 bis 1965 beim US-Magazin „Fortune“ angestellt und für dessen fotografische Ausrichtung verantwortlich, kehrte Evans immer wieder zu seinen Kernthemen zurück: Verfall, Armut, Hoffnungslosigkeit. Foto-Essays wie „People And Places In Trouble“ künden, gleichzeitig auf Pathos verzichtend und dabei als Gegenbild zum amerikanischen Traum betrachtbar, davon.

Abgerundet wird die Werkschau um nun nicht mit dem Winkelsucher, sehr wohl aber frontal aufgenommene Porträts von Freunden wie etwa Tennessee Williams, dokumentarische Arbeiten für die Ausstellung „African Negro Art“ als seinerzeitige Türöffner ins MoMA und die Eindrücke weniger Auslandsreisen nach London, Kuba, und Tahiti – letztere als lustlos erfüllter Auftrag, vermutlich zu junge, zu schöne und zu reiche Menschen auf einer Kreuzfahrt zu begleiten.

Am Ende hat man das Gefühl, Walker Evans mit großem Abstand ziemlich nahe gekommen zu sein. Die Stimmung ist nüchtern. Das trifft sich vorzüglich.  

(Wiener Zeitung, 22.8.2014) 

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