Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt die Ausstellung „Walker Evans. Ein Lebenswerk“
Die Menschenschlange vor dem Martin-Gropius-Bau in Richtung der Berliner Restmauer an der Niederkirchnerstraße ist gerade noch David Bowie geschuldet. Dass auch im Inneren des Museums rege Geschäftigkeit herrscht, hat aber nicht nur mit einer nach dem Meister benannten Ausstellung zu tun, die sich bis Ende dieser Woche keineswegs auf dessen Berlin-Phase („Die Mauer im Rücken so kalt …“) beschränkt und dem Museumstourismus sichtbar die Flügel hebt. Mit mehr als 200 Originalabzügen wird im Obergeschoß schließlich auch eine Annäherung an den US-Fotografen Walker Evans unternommen, die sich einen eigenen Blickwinkel erlaubt. Es wird mitunter an den Klassikern dieses Grenzgängers zwischen Journalismus und Kunst vorbei und hin zu den Rändern geschaut.
Am Ende hat man das Gefühl, Walker Evans mit
großem Abstand ziemlich nahe gekommen zu sein. Die Stimmung ist nüchtern. Das
trifft sich vorzüglich.
(Wiener Zeitung, 22.8.2014)
Die Menschenschlange vor dem Martin-Gropius-Bau in Richtung der Berliner Restmauer an der Niederkirchnerstraße ist gerade noch David Bowie geschuldet. Dass auch im Inneren des Museums rege Geschäftigkeit herrscht, hat aber nicht nur mit einer nach dem Meister benannten Ausstellung zu tun, die sich bis Ende dieser Woche keineswegs auf dessen Berlin-Phase („Die Mauer im Rücken so kalt …“) beschränkt und dem Museumstourismus sichtbar die Flügel hebt. Mit mehr als 200 Originalabzügen wird im Obergeschoß schließlich auch eine Annäherung an den US-Fotografen Walker Evans unternommen, die sich einen eigenen Blickwinkel erlaubt. Es wird mitunter an den Klassikern dieses Grenzgängers zwischen Journalismus und Kunst vorbei und hin zu den Rändern geschaut.
Nicht eitel,
aber stur
Immerhin
geht es im Wissen um Evans Bekanntheit für genuin amerikanische Sujets und seine
Dokumentation der bitteren Armut in den Südstaaten überraschend mit Gladiolen
los. Über diese wie auch weite Teile des weiteren Werks von Evans frontal
eingefangenen Sujets informiert der Begleittext allerdings, dass sie bereits mehr
als ein dankbares Übungsfeld für etwas waren, das später als „dokumentarischer
Stil“ bezeichnet wurde und den 1903 in St. Louis, Missouri geborenen Fotokünstler
kennzeichnen sollte. Darüber im Klaren, auch gestochen scharfer schwarz-weiß-Aufnahmen
ohne Nachbearbeitung zum Trotz nicht frei von Subjektivität sein zu können,
erarbeitete sich Evans mit nüchternen Blicken auf harte Fakten rasch den Ruf
eines Chronisten. Dieser galt im Werk zwar als uneitel, beharrte aber stur auf
Prinzipien. Für seine Verpflichtung, im Auftrag der Farm Security
Administration zu Zeiten Franklin D. Roosevelts New-Deal-Politik durch den
US-Süden zu reisen, ließ sich Evans ein resolutes „No politics whatever“ in den
Vertrag schreiben. Die im Anschluss entstandenen Fotos waren sein Durchbruch.
1938 wurde Evans zum ersten Fotografen, dem das MoMA in New York eine
Ausstellung widmete.
Die
während der Großen Depression etwa in Mississippi und Alabama festgehaltenen
Impressionen zeigen neben der vom Leben gezeichneten (schwarzen) Bevölkerung
auch Arbeiterquartiere mit und ohne Arbeiter. Ein überliefertes Zitat dürfte
also nicht nur für Evans Fotografien viktorianischer Hausfassaden als im
Schwinden begriffenes Kulturgut, verlassene Landstriche im ewigen Hinterland
und die windschiefen Scheunen von Kentucky bis New Jersey gelten: „Gelegentlich
gefällt es mir, Menschen durch ihre Abwesenheit anzudeuten“ – wichtig ist immer
auch, was man nicht sieht.
Nähe per Distanz
Den
Menschen kam Evans nur folgerichtig über die Distanz sehr nahe. Er
fotografierte etwa mithilfe eines Winkelsuchers im Undercover-Modus. Für eine
Porträt-Serie in der New Yorker U-Bahn hielt er seine 35-mm-Contax-Kamera unter
dem Mantel versteckt, um an eine gerade in der Fotografie schwierige „Wahrheit“
heranzurücken.
Von
1945 bis 1965 beim US-Magazin „Fortune“ angestellt und für dessen fotografische
Ausrichtung verantwortlich, kehrte Evans immer wieder zu seinen Kernthemen
zurück: Verfall, Armut, Hoffnungslosigkeit. Foto-Essays wie „People And Places
In Trouble“ künden, gleichzeitig auf Pathos verzichtend und dabei als Gegenbild
zum amerikanischen Traum betrachtbar, davon.
Abgerundet
wird die Werkschau um nun nicht mit dem Winkelsucher, sehr wohl aber frontal
aufgenommene Porträts von Freunden wie etwa Tennessee Williams, dokumentarische
Arbeiten für die Ausstellung „African Negro Art“ als seinerzeitige Türöffner
ins MoMA und die Eindrücke weniger Auslandsreisen nach London, Kuba, und Tahiti
– letztere als lustlos erfüllter Auftrag, vermutlich zu junge, zu schöne und zu
reiche Menschen auf einer Kreuzfahrt zu begleiten.
(Wiener Zeitung, 22.8.2014)
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