Live-Reunion:
Die deutsche Band Blumfeld gastiert am Wochenende in Wien und Linz
Wer
altersbedingt erst im Jahr 1999 auf Blumfeld aufmerksam wurde, begegnete der
Band um Sänger Jochen Distelmeyer in einer spannenden Phase. Bereits das Video
zur Single „Tausend Tränen tief“ vom dritten Album des neben Tocotronic und Die
Sterne als Aushängeschild der sogenannten Hamburger Schule geltenden Trios war
zwar faszinierend. Mit Distelmeyer vom Taxirücksitz in die nächtliche Großstadt
blickend und Helmut Berger in seiner Rolle als Helmut Berger sich in der
Hotel-Suite auf eine Verabredung vorbereitend, war aber „nur“ ein Verstärker
für die als polarisierend und im besten Sinn eigentümlich wahrgenommene Musik
gereicht. Immerhin hörte man mit Distelmeyer bald im genreüblichen
Sprechintermezzo nichts weniger als eine schillernde Ballade, für die die
Bezeichnung „Schlager“ durchaus herhalten durfte. Nur dass man deren Tiefe
von der so assoziierten Musik ebenso wenig gewohnt war wie ihre Sogwirkung, die
neben einem Wieder-Hören auch dazu animierte, die Vergangenheit der Band zu
erforschen.
Haltung als
Schlager
Wenige
Monate vor Ankunft des Internets im elterlichen Eigenheim also griff man zu den
handelsüblichen Pop-Magazinen oder vertraute mit der FM4-Sendung „Im Sumpf“ auf
die Diskurs-orientierte Musiksparte des heimischen Jugendradios, um sich
Bestätigung für die Polarisierungsthese zu holen. Die Meinungen über das soeben
veröffentlichte Album „Old Nobody“ reichten tatsächlich von von bis bis. Und
die Stimmung war bisweilen erhitzt. Schließlich standen Blumfeld auf den
Vorgängern „Ich-Maschine“ (1992) und „L’état et moi“ (1994) für die deutschsprachige Annäherung an
einen mit kalt klirrenden Gitarren und teils weltabgewandtem Gestus errichteten
US-Rock, der vom Schlager so weit entfernt war wie St. Pauli von Seattle.
Jochen Distelmeyer sang mit melancholisch-sanfter Stimme über Isolation,
Entfremdung, Angst und den Zusammenhang all dessen mit der Liebe und dem
„System“. Er porträtierte das Individuum in diesem ohne die Parolenhaftigkeit
Tocotronics und stand zweifelsohne für eine Haltung. Die lyrische
Verklausulierung allerdings ließ den nötigen Raum für Interpretationen. Sicher
war mit dem über die gesamte Karriere Blumfelds hinweg auch als Live-Höhepunkt
zu bezeichnenden Song „Verstärker“ jedenfalls eines: „Jeder geschlossene Raum
ist ein Sarg!“
Mit dem Label Big Cat
als internationalem Partner und „L’état et moi“ im Gepäck ging es auf Tour durch die USA. Dort
verstand man die Musik und auch die Haltung wohl besser als die Texte selbst: „Überall
sind Menschen in den Straßen / Kenn ich nicht, gehöre nicht dazu“. Vom
kollektiven „Wir sind die anderen“ des jung-erwachsenen Individuums sollten
sich Blumfeld ab „Old Nobody“ aber langsam in Richtung einer
Gemeinschaftlichkeit entwickeln, die sich nicht auf die Masse bezog, zwischen
freundlicher Zuversicht und Trostangeboten („Wir sind frei“) gegen die „Grauen
Wolken“ da draußen verstärkt aber den Konsens im Blickwinkel hatte – sofern man
die semiakustisch im Midtempo errichteten Schlagerpopmelodien nicht als
größtmögliche Rebellion einer Gitarrenband überhaupt verstand. Trotz späterer
Großtaten im Zeichen des Widerstands wie etwa dem beschwingten Protestsong „Die
Diktatur der Angepassten“ beendeten Blumfeld ihre Karriere 2007 schließlich
nach dem auf Abzählreime aus der Tierwelt und Kinderliedmelodien gepolten Album
„Verbotene Früchte“.
Auf das gelungene Solodebüt Distelmeyers („Heavy“, 2009) folgte lange Zeit: nichts – ehe die Ankündigung seines ersten Romans zuletzt ebenso überraschte wie die Live-Reunion Blumfelds rund um das 20. Jubiläum von „L’état et moi“. Diese wird die Band am Samstag in die Wiener Arena und am Sonntag in den Linzer Posthof führen – nicht nur, um den einst besungenen „Status: Quo vadis“ auf seinen Status quo zu überprüfen. Dabeisein!
(Wiener Zeitung, 28.8.2014)
Auf das gelungene Solodebüt Distelmeyers („Heavy“, 2009) folgte lange Zeit: nichts – ehe die Ankündigung seines ersten Romans zuletzt ebenso überraschte wie die Live-Reunion Blumfelds rund um das 20. Jubiläum von „L’état et moi“. Diese wird die Band am Samstag in die Wiener Arena und am Sonntag in den Linzer Posthof führen – nicht nur, um den einst besungenen „Status: Quo vadis“ auf seinen Status quo zu überprüfen. Dabeisein!
(Wiener Zeitung, 28.8.2014)
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