Mittwoch, August 27, 2014

Lyrisch, dringlich, sanft

Live-Reunion: Die deutsche Band Blumfeld gastiert am Wochenende in Wien und Linz

Wer altersbedingt erst im Jahr 1999 auf Blumfeld aufmerksam wurde, begegnete der Band um Sänger Jochen Distelmeyer in einer spannenden Phase. Bereits das Video zur Single „Tausend Tränen tief“ vom dritten Album des neben Tocotronic und Die Sterne als Aushängeschild der sogenannten Hamburger Schule geltenden Trios war zwar faszinierend. Mit Distelmeyer vom Taxirücksitz in die nächtliche Großstadt blickend und Helmut Berger in seiner Rolle als Helmut Berger sich in der Hotel-Suite auf eine Verabredung vorbereitend, war aber „nur“ ein Verstärker für die als polarisierend und im besten Sinn eigentümlich wahrgenommene Musik gereicht. Immerhin hörte man mit Distelmeyer bald im genreüblichen Sprechintermezzo nichts weniger als eine schillernde Ballade, für die die Bezeichnung „Schlager“ durchaus herhalten durfte. Nur dass man deren Tiefe von der so assoziierten Musik ebenso wenig gewohnt war wie ihre Sogwirkung, die neben einem Wieder-Hören auch dazu animierte, die Vergangenheit der Band zu erforschen.

Haltung als Schlager

Wenige Monate vor Ankunft des Internets im elterlichen Eigenheim also griff man zu den handelsüblichen Pop-Magazinen oder vertraute mit der FM4-Sendung „Im Sumpf“ auf die Diskurs-orientierte Musiksparte des heimischen Jugendradios, um sich Bestätigung für die Polarisierungsthese zu holen. Die Meinungen über das soeben veröffentlichte Album „Old Nobody“ reichten tatsächlich von von bis bis. Und die Stimmung war bisweilen erhitzt. Schließlich standen Blumfeld auf den Vorgängern „Ich-Maschine“ (1992) und „L’état et moi“ (1994) für die deutschsprachige Annäherung an einen mit kalt klirrenden Gitarren und teils weltabgewandtem Gestus errichteten US-Rock, der vom Schlager so weit entfernt war wie St. Pauli von Seattle. Jochen Distelmeyer sang mit melancholisch-sanfter Stimme über Isolation, Entfremdung, Angst und den Zusammenhang all dessen mit der Liebe und dem „System“. Er porträtierte das Individuum in diesem ohne die Parolenhaftigkeit Tocotronics und stand zweifelsohne für eine Haltung. Die lyrische Verklausulierung allerdings ließ den nötigen Raum für Interpretationen. Sicher war mit dem über die gesamte Karriere Blumfelds hinweg auch als Live-Höhepunkt zu bezeichnenden Song „Verstärker“ jedenfalls eines: „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg!“

Mit dem  Label Big Cat  als internationalem Partner und „L’état et moi“ im Gepäck ging es auf Tour durch die USA. Dort verstand man die Musik und auch die Haltung wohl besser als die Texte selbst: „Überall sind Menschen in den Straßen / Kenn ich nicht, gehöre nicht dazu“. Vom kollektiven „Wir sind die anderen“ des jung-erwachsenen Individuums sollten sich Blumfeld ab „Old Nobody“ aber langsam in Richtung einer Gemeinschaftlichkeit entwickeln, die sich nicht auf die Masse bezog, zwischen freundlicher Zuversicht und Trostangeboten („Wir sind frei“) gegen die „Grauen Wolken“ da draußen verstärkt aber den Konsens im Blickwinkel hatte – sofern man die semiakustisch im Midtempo errichteten Schlagerpopmelodien nicht als größtmögliche Rebellion einer Gitarrenband überhaupt verstand. Trotz späterer Großtaten im Zeichen des Widerstands wie etwa dem beschwingten Protestsong „Die Diktatur der Angepassten“ beendeten Blumfeld ihre Karriere 2007 schließlich nach dem auf Abzählreime aus der Tierwelt und Kinderliedmelodien gepolten Album „Verbotene Früchte“.

Auf das gelungene Solodebüt Distelmeyers („Heavy“, 2009) folgte lange Zeit: nichts – ehe die Ankündigung seines ersten Romans zuletzt ebenso überraschte wie die Live-Reunion Blumfelds rund um das 20. Jubiläum von „L’état et moi“. Diese wird die Band am Samstag in die Wiener Arena und am Sonntag in den Linzer Posthof führen – nicht nur, um den einst besungenen „Status: Quo vadis“ auf seinen Status quo zu überprüfen. Dabeisein!

(Wiener Zeitung, 28.8.2014)

Keine Kommentare: