Donnerstag, August 28, 2014

Mit Fragezeichen

„Flucht in die Flucht“: Die Sterne veröffentlichen ihr mittlerweile zehntes Album

Der Albumtitel ist natürlich fantastisch: „Flucht in die Flucht“, das klingt nach moderner Krisenbewältigung. Wenn nämlich der Weg das Ziel ist, muss die Flucht selbst auch der Ausweg sein können. Mit ihrer Vorliebe für fremde Männer, die sich mit einem Koffer und keiner Vergangenheit in fremden Städten wiederfinden, liefert schließlich auch die Film- und Literaturgeschichte zahllose Belege für die Notwendigkeit eines Aufbruchs nach vorne.

Was aber, wenn es kein „nach vorne“ mehr gibt, weil die Krise heute das Morgen abschafft? Im Titelsong ihres zehnten Albums blicken Die Sterne dem Abgrund beschwingt entgegen: „Hier kommt das Ende, wir haben alles versucht. Hier kommt die Wende. Hier kommt die Flucht in die Flucht!“ Wenn alles vorbei ist, mögen sich immerhin ganz neue Perspektiven ergeben. Auch wenn diese von unten kommen – und vor allem der ortsansässigen „Wirtschaft“ helfen. „Es ist gemütlich, unter dem Tresen zu liegen. Ich lade euch ganz herzlich dazu ein!“

Bereits der Auftaktsong nimmt die Marschroute ins Ungewisse mit etlichen Fragezeichen vorweg: „Wo kann ich hingehen, um ich zu sein? Ist es unmöglich, sich zu befreien?“ Wobei Sänger Frank Spilker, heute 48 Jahre alt und längst Familienvater, von der Notwendigkeit weiß, durchzuhalten. „Reiß dich zusammen und komm doch wieder zur Vernunft. Sonst geht es abwärts mit dir!“

Der Rückschluss vom Ich auf das „System“ wird auf „Flucht in die Flucht“ (Staatsakt) nur selten gezogen – das am Fender Rhodes errichtete „Innenstadt Illusionen“ etwa erlaubt sich einen Seitenblick auf den Gentrifizierungsirrsinn. Im Gegensatz zum Vorgänger „24/7“ von 2010, auf dem Die Sterne das Funktionieren-Müssen in der Dienstleistungsgesellschaft musikalisch mutig auf clubtaugliche Beine stellten, ist das neue Album ein offenes System, das man auch als unentschieden bezeichnen kann.

Ergänzt um Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten als Gastsänger der Noir-Ballade „Ihr wollt mich töten“ und die jungen Hamburger Bands Zucker, Schnipo Schranke und Der Bürgermeister der Nacht als auf Stoßseufzer gebuchter Backgrundchor steht eine verschleppte Kakofonie wie „Miese kleine Winterstadt“ neben der von 60er-Jahre-Psychedelik getragenen Spaghetti-Western-Annäherung „Mach mich vom Acker“. Hübsch herbstlich gestimmtes Liedgut auf orgelgrundierter Pluckerbeatbasis wie „Drei Akkorde“ gesellt sich zum aufröhrenden Heavy-Rock von „Menschenverachtendverliebt“. Mit dem klassischen Groove von „Hirnfick“ kommen die Sterne ganz bei sich an, bei „Der Bär“ wiederum ist die Band nicht mehr als sie selbst zu erkennen.

Aber vermutlich ist das nur konsequent. Flucht ist nicht nur mit Unsicherheiten und Umbrüchen, sondern oft auch mit Umwegen verbunden.    

(Wiener Zeitung, 29.8.2014)

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