Freitag, September 12, 2014

Kein Rolemodel spielt Käsepop

Debbie Harry und ihre Band Blondie stemmten sich in der Wiener Arena gegen den Ruhestand

Zuletzt machten es Blondie der Weltöffentlichkeit schwer, von ihnen Notiz zu nehmen. Das aktuelle Album „Ghosts Of Download“ etwa kam nur als Beiwerk einer Best-of-CD auf den Markt. Darauf spielen die einst im Zeichen des Punk bekannt gewordenen späteren New-Wave-Helden aus New York Après-Ski-taugliche Elektropopschlager, die eine realistische Chance auf den vorletzten Platz beim Song Contest hätten und an eine budgetschwächer produzierte Version von Madonna in der Blitzhüttenphase ihrer Midlife-Crisis erinnern.

Vor 2000 Zusehern am Open-Air-Areal der Wiener Arena, die wegen Dauerregens in wasserabweisenden Gratisponchos steckend wie überdimensionierte Einkaufssackerl aussehen, reicht die Band mit Stromrockgitarre, Umhängekeyboard und Debbie Harrys in den höheren Lagen auslassender Stimme zwar mehr aktuelles Material, als man annehmen durfte. Weil es wetterbedingt eh schon egal ist und man ja nicht immer so negativ sein sollte, übt sich das Publikum aber in ortsunüblicher Freundlichkeit und Geduld. Irgendwann wird die Setlist schon wieder den Segen eines Klassikers spenden. Tatsächlich steht ja ein generationsprägender Act auf der Bühne, dem man alleine schon aus Gründen der Heldenverehrung so manches verzeiht.

Debbie Harry, die einst aufmüpfig-trotzige und doch sinnlich-sanfte Frontfrau der Band, ist mit 69 Jahren zwar weniger fit als etwas ältere Branchenkollegen wie Mick Jagger – sie hat, versteckt hinter dunklen Sonnenbrillen, aber Spaß an der Arbeit und stemmt sich mit hüftsteifen, als Tanzeinlagen verkauften Turnübungen gleichfalls gegen den Ruhestand. Ergänzt wird der verbliebene Restkern der Band aus dem wie schockgefroren am Stand spielenden Gitarristen Chris Stein und einem hyperaktiven Clem Burke am Schlagzeug um eine dreiköpfige Live-Abordnung. In Sachen Songauswahl hat mich sich zum 40-jährigen Bühnenjubiläum entschieden, an die von 1974 bis 1982 währende Hauptphase der Band zu erinnern und sie mit Material abzurunden, das nach dem Comeback im Jahr 1999 entstanden ist.

Mit Rückblende

Die Entwicklung Blondies lässt sich dabei gut nachvollziehen. Nach „One Way Or Another“ als Erinnerung an die frühe Kratzbürstigkeit erklären letztlich für Konsens unter den Anwesenden sorgende Welthits wie „Heart Of Glass“ die Hinwendung zu drei strahlenden Großbuchstaben: Pop, um ein Versprechen namens Disco erweitert, bedeutete für Blondie aber auch den Verlust von Credibility und rasche Vorwürfe des Ausverkaufs. Das mit Giorgio Moroder eingespielte „Call Me“ kündet ebenso davon wie das sehnsüchtige „Atomic“. Nach wie vor fein der knieweiche Rubellos-Reggae von „The Tide Is High“, der die Zeit besser überdauerte als Harrys als popkulturelle Aneignung wichtige frühe Rap-Referenz in „Rapture“, das heute auch den Beastie Boys die Ehre erweist.

Auf der Videowall bestätigen Aufnahmen der Band aus jungen Jahren die nostalgische Note des eh sympathischen Abends. Sie sorgen für feuchte Augen, weil die Zeit so verdammt schnell vergeht. Ein Alterswerk Blondies wäre nicht nur deshalb wünschenswert, weil Jugendwahn auf Käsepopbasis kein Ausweg ist. Als denkbar lässigste Frau ihres Jahrgangs hätte Debbie Harry ja die Möglichkeit, ein herrliches Rolemodel abzugeben.

(Wiener Zeitung, 13./14.9.2014)

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