Mittwoch, September 10, 2014

Verdoppelte Dinosaurier

„Songs Of Innocence“: U2 haben haben ihr neues Album via iTunes veröffentlicht

Über den Witz werden die Beteiligten schon vorab gelacht haben. Immerhin besteht das Cover des neuen U2-Albums aus dem Foto einer im Papierschuber befindlichen Vinylscheibe – obwohl es vorerst keine physischen Exemplare davon gibt. Die Projektion des Sujets aus fernen Prä-Digital-Tagen im Rahmen der iWatch- und iPhone-6-Präsentation im kalifornischen Cupertino ging am Dienstagabend nämlich mit der Ankündigung einher, die Band würde „Songs Of Innocence“ in Zusammenarbeit mit Apple via iTunes veröffentlichen. Auf Knopfdruck – und das jetzt. Seither – und für die Dauer von insgesamt fünf Wochen – steht das Album den 500 Millionen Usern gratis zur Verfügung. Laut Sänger Bono hätte sich angesichts des 13. Studiostreichs seiner Band nämlich eine entscheidende Frage gestellt: „How do we get it to as many people as possible?“

Mit der Darbietung der Single „The Miracle (Of Joey Ramone)“ demonstrierten U2 im Anschluss zwar ihre Vormachtstellung als erfolgreichster Stadionrock-Act der Gegenwart, der mit Konzerttourneen beschämende Privatvermögen anhäuft. Nach der für die Band enttäuschenden Anzahl von „nur“ fünf Millionen Einheiten, die sich von ihrem bisher letzten Album „No Line On The Horizon“ (2009) verkaufen ließen, musste aber zumindest über Strategiealternativen zur Distribution neuer Musik nachgedacht werden.

Diskret abgekauft

Der nun geschlossene Deal ist so simpel wie effektiv. „Songs Of Innocence“ ist zwar für das Publikum vorerst gratis, musste der Band und ihrer Plattenfirma Universal Music aber für einen diskret behandelten Betrag abgekauft werden. Über die Verwendung der neuen Songs für iWerbung und den wiederum abstrahlenden PR-Effekt für eine sich anschickende Tour profitieren beide Parteien als verdoppelte Dinosaurier. Wenn das Album im Oktober schließlich auch in physischer Form in den Handel kommt, dürfen sich U2 zumindest noch über ein Taschengeld freuen.

Über die Musik selbst ist zu sagen, dass sich U2 mit den elf neuen Songs nicht in Experimentierfreudigkeit üben und unter Rückgriff auf oft erprobte Arrangement-Bausteine lieber auf das hauseigene Song-Errichtungs-Einmaleins vertrauen. Neben jeder Menge Pathos und den bereits im Eröffnungssong zum Einsatz kommenden Falsett-„Ooh-ooohs“ aus der Kehle Bonos erklären auch die prototypisch über namenlose Straßen schlendernden The-Edge-Gitarren, dass die Band ihrer eigenen Karikatur mittlerweile sehr nahe kommt. Nach der Entlassung Rick Rubins als angedachter Produzent des Vorgängerwerks darf mit Brian Burton alias DJ Danger Mouse ein nächster neuer Soundregisseur kaum Spuren seiner Arbeit hinterlassen, während U2 einen geglätteten Poprocksound auslegen und mit Songs wie „California (There Is No End To Love)“ oder „This Is Where You Can Reach Me Now“ bei jüngeren Kollegen wie etwa Arcade Fire oder Franz Ferdinand andocken wollen. Das geht nicht wirklich gut. Anstatt großer Hits hört man zumindest in der ersten Hälfte Material, das im Radio aber nicht negativ auffallen sollte. Dass mit „Song For Someone“ und „Sleep Like A Baby Tonight“ auch die Rührstücke nicht zu kurz kommen, hat übrigens nur bösen Gerüchten zufolge mit dem Apple-Deal zu tun. Schließlich herrscht hier akuter Feuerzeug-, also iPhone-6-Alarm!

Eines hingegen bleibt Tatsache: Wie gerade Bono als in Sachen Politik, Wirtschaft und eigentlich eh alles moralinsauer gestimmter Mahner kein Problem damit hat, sich und seine Band gegen viel Geld an einen Großkonzern zu verkaufen, ist problematisch.

(Wiener Zeitung, 11.9.2014) 

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