Sonntag, September 21, 2014

Lieder für alle Lebenslagen

Der große kanadische Liedermacher Leonard Cohen wird 80 Jahre alt. Seinen Geburtstag feiert der Meister mit dem neuen Album „Popular Problems“. Eine Würdigung.

Die Illustrationen im Booklet zeigen den Meister beim Schuhputz. Wahlweise in Unter- und Anzughose und mit oder ohne Hut wird, konzentrierten Blicks, geschrubbt und poliert. Über den Hintergrund dieser Sujets darf man rätseln. Vermutlich soll eine Art Gelassenheit bebildert werden, die Leonard Cohen längst charakterisiert – oder ein Hang zur Entschleunigung, von dem mit „Slow“ bereits das Eröffnungsstück des nun zum 80. Geburtstag erscheinenden 13. Studioalbums mit dem Titel „Popular Problems“ erzählt: „I’m slowing down the tune. I never liked it fast. You want to get there soon. I want to get there last. It’s not because I’m old. It’s not the life I led. I always liked it slow. That’s what my momma said …“

Der Gelassenheit arbeitet auch die gemächlich geklopfte Bassdrum zu, über der ein Fender Rhodes hörbar den Blues hat. Gemeinsam mit den von Leonard Cohen mindestens verehrten, auf soulige Stoßseufzer gebuchten Backgroundsängerinnen und vorsichtig eingestreuten Bläsern wird dabei eine Art Routine gepflegt. Schließlich docken die neun zwischen gedimmt-gediegenem Blues, sanftem Folk und ätherischer Weihnachtsmatineestimmung changierenden neuen Songs akustisch beim Vorgängeralbum „Old Ideas“ von 2012 an. Und es darf nach den dort durchaus als Abschiedsnotizen angelegten Texten über die letzten Dinge und etwa den Wunsch nach Frieden für Körper und Geist wieder im Jetzt gelebt werden. Die Gegenwart geht nämlich in die Verlängerung. Anlässlich der Präsentation von „Popular Problems“ verkündete der Sänger mit der grabestiefen Stimme zur Freude seiner Apostel zuletzt, bereits die Hälfte eines weiteren neuen Albums in der Tasche zu haben. 

Dichterfürst auf Hydra

Der Tod war zwar schon im Frühwerk des am 21. September 1934 geborenen Poeten und Liedermachers ein Thema, weil man sich selbst den jungen Leonard Cohen als alten Mann vorstellen muss. Eine diesbezüglich ins Bild passende Phase als Dichterfürst auf der griechischen Insel Hydra (schweres Gemüt, schwere See!) erwies sich als inspirierend für erste Songs, für deren Verkauf Kritiker später die Beigabe von Rasierklingen „empfahlen“. Dabei besänftigte der über Jahrzehnte gegen Depressionen ankämpfende Sänger durch eine kompromisslose Fokussierung auf das schwärzeste Schwarz neben den eigenen Dämonen auch jene der Hörerschaft. Wer Leonard Cohen in den letzten Jahren live dabei erleben durfte, wie er mit gütigem Blick auf den Knien aus dem innersten Inneren sinnierend bald einen Witz auf den Lippen hatte, sah nichts weniger als ein infizierendes Sinnbild für die Überwindung einer Depression. Vielleicht wäre der seinerzeitige Verkaufsschmäh heute so zu adaptieren, dass Psychopharmaka sich ja auch in Kombination mit einer Tour-DVD Cohens bestens feilbieten ließen.

Zur Erlangung eines in sich ruhenden Charakters, der den erfahrungsschwanger bis weise ausgerichteten Texten eine Entsprechung als (Bühnen-)Figur verlieh, war es aber auch für den Meister ein weiter Weg. Dieser zeitigte Lieder für alle Lebenslagen. Es ging um Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht, aber auch um Liebe, Eros und eine unbedingte Lebenslust, die zu töten vermag. Biografisch korrespondierte das mit einem Werdegang, dessen Start sich Leonard Cohen mit dem Erbe seines früh verstorbenen Vaters finanzierte. Erste erfolgreich veröffentlichte Lyrikbände allerdings lukrierten nur bescheidene Erträge. Mit seinem 1967 erschienenen Debütalbum „Songs Of Leonard Cohen“ wiederum haderte der Songwriter aufgrund der Produktion, die man ihm angedeihen ließ. Jahre, nachdem er bereits als gemachter Musiker galt, der Frauen wie „Suzanne“ und „Marianne“ ins popkulturelle Gedächtnis eingespeichert und auch dem New Yorker Chelsea Hotel ein Denkmal errichtet hatte – Letzteres über die Schilderung einer sexuellen Begegnung mit Janis Joplin, für deren Enttarnung er sich später reumütig entschuldigte –, wiederholte sich diese Erfahrung mit „Death Of A Ladiesʼ Man“ 1977 ein weiteres Mal. Immerhin bezeichnete Cohen die Soundregie Phil Spectors als „Katastrophe“ und verweigerte im Anschluss jedwede Promotionstätigkeit. 

Und obwohl in der Schaffensphase darauf herzzerreißend-zerrissene Liebeslieder wie „Coming Back To You“ ebenso entstanden wie Sehnsuchtszeugnisse auf eigentümlicher Drei-Viertel-Takt-Basis („Take This Waltz“) und mit „Hallelujah“ ein hundertfach gecoverter Hit, der bis heute für Ergriffenheit sorgt, wurde es um Leonard Cohen herum zunehmend dunkel. Während das auf den Holocaust Bezug nehmende „Dance Me To The End Of Love“ dem Unfassbaren noch ein Gefühl von Liebe entgegensetzte, verhandelten gleichfalls von zweifelhaftem Synthie-Gebrauch bestimmte Arbeiten wie „I’m Your Man“ (1988) und „The Future“ (1992) verstärkt eine aus den Fugen geratene Welt. Als Abgesang auf den Lauf der Dinge, dem man machtlos gegenübersteht, kündet etwa „Everybody Knows“ davon. Der eigenen Leere entfloh Cohen schließlich über eine Hinwendung zur Zen-Meditation. Fünf von insgesamt neun Jahren Auszeit vom Geschäft verbrachte er in der Abgeschiedenheit eines Klosters in den kalifornischen Bergen.

Lukratives Spätwerk

Die Geschichte seiner Rückkehr im Jahr 2001 ist bekannt. Sie zeitigte die moderne Heldenerzählung eines alten Mannes, der vieles verlor und noch mehr gewann. Leonard Cohen kompensierte die Veruntreuung eines Millionenvermögens durch seine Managerin mit ausgedehnten Konzertreisen und neuen Alben, von denen „Old Ideas“ vor zwei Jahren zum kommerziell erfolgreichsten seiner Karriere wurde. Spätestens seither dürfte auch ein Blick in den Geldspeicher erklären, warum Gelassenheit für Leonard Cohen kein Fremdwort mehr ist.

Dass von den nun erscheinenden neuen Songs etwa das wunderbare wie wunderbar trockene „Almost Like The Blues“ an alte Problemstellungen anknüpft, ist dabei kein Widerspruch – und wird mit „Born In Chains“ und „You Got Me Singing“ am Ende von gospelnah-spirituellen und folkhaft-weltlichen Befreiungsliedern kontrastiert. Licht und Schatten, Sünde und Reue, Vergebung und bitte, bitte Trost: Leonard Cohens Kunst ist die Kunst einer absoluten Menschlichkeit.

(Wiener Zeitung, 20./21.9.2014)

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