Mittwoch, Oktober 08, 2014

Ein wenig umsonst

Thom Yorke hat sein zweites Soloalbum über das Filesharingsystem BitTorrent veröffentlicht

Im Gegensatz zu Bono und U2 verscherbelt Thom Yorke sein neues Album nicht als Zwangsdownload und Werbung für einen Weltkonzern um einen für die Pop-Branche sehr hohen Preis gratis. Den scheinbaren Umsonst-Teil dieser Veröffentlichungspolitik durfte der Sänger mit seiner Stammband Radiohead als Quasi-Pionier bereits im Jahr 2007 erledigen, um damit aber zumindest behauptetermaßen gegen die Industrie vorzugehen. Nicht nur als Reaktion auf die Übernahme ihrer seinerzeitigen Plattenfirma EMI durch den an der Musik selbst mindestens desinteressierten Private-Equity-Investor Terra Firma veröffentlichten Radiohead ihr Album „In Rainbows“ damals in Eigenregie als Download um wahlweise kein Geld oder für einen vom Endverbraucher bestimmten Spendierbetrag. Eine auf Pre-Order-Basis nachgereichte Deluxe-Box stellte das Unternehmen auf eine finanziell sichere Basis, während die reguläre Veröffentlichung als CD im Handel die Ursprungsidee später sanft ad absurdum führte.

Fixbetrag statt Bettel

Für sein nun also erschienenes zweites Solowerk mit dem zur Unternehmung passenden Titel „Tomorrow’s Modern Boxes“ orientierte sich Thom Yorke lose an der nachfolgenden Modelladaptierung Radioheads mit dem Album „The King Of Limbs“. Geblieben sind beispielsweise die Festlegung eines Fixbetrags von in diesem Fall umgerechnet fünf und eine Deluxe-Edition auf Vinyl um 38 Euro. Neu ist der Vertrieb über das Filesharingsystem BitTorrent, das den Künstlern mehr Gewinn zugesteht als etwa Apple mit iTunes. Mit einer Million Downloads in den ersten sechs Tagen klingt ein Zwischenresultat dabei zunächst nach Erfolg. Leider verhindert die Miteinberechnung einer gleichfalls digital bereit gestellten Gratisversion aus nur einem Song und einem Musikvideo eine genauere Betrachtung. Sicher bleibt die schon vor sieben Jahren von Radiohead gelieferte Erkenntnis, dass diese Art der Veröffentlichung zwar für große Namen ein gangbarer Weg sein kann, der für den Nachwuchs aber wesentlich steiniger wäre. Er würde in 99 Prozent aller Fälle nur einen ähnlichen Bettel lukrieren, wie ihn auch von Thom Yorke strikt abgelehnte Streamingdienste wie Spotify, die die Plattenmajors als neues Feindbild längst abgelöst haben, gemeinhin so abwerfen.

Die acht neuen Songs selbst wiederum sind mit einem etwas bemühten Witz schnell besprochen: Auch Musik, die nicht vollkommen gratis ist, kann mitunter ein klein wenig umsonst sein. Zwar klingt die Produktion Thom Yorkes im Verbund mit seinem Langzeitpartner und Laptop-Spezi Nigel Godrich auch heute noch ausgezeichnet; die Songs selbst lassen aber nicht nur dank entrückt-ereignisarmer Ausschussware wie „Interference“ darauf hoffen, dass Yorke mit seiner Inspiration hier nur in Hinsicht auf das nächste neue Radiohead-Album haushalten will.

Analoge Restnotiz

Heute endgültig von jedwedem Gitarreneinsatz befreit und ganz auf herbstlich-nächtliche Nebelsounds zwischen Pling-Plong-Elektronik, Abstrakt-Techno, Häckslerbeats und getragen-erhabener Laptoporgel konzentriert, hören wir Thom Yorke am vorläufigen Höhepunkt seines Bemühens um Flüchtigkeit. Wobei zu gelegentlichem Hallklavier als analoger Restnotiz mit in sich versunkenem Falsettgesang über keiner Melodie abermals die bereits von Nietzsche gutgeheißene Hoffnungslosigkeit beschworen wird. Als Büchse der Pandora weiß immerhin auch „Tomorrow’s Modern Boxes“ darüber zu berichten, dass es angesichts von Leid, Elend, Tod und einer schon wieder vor dem Abgrund vermuteten Welt womöglich besser wäre, allen Glauben an bessere Zeiten gleich zu Grabe zu tragen.

Erst recht, wo bei der Problembehandlung rasch allzu weltlicher Ärger droht: Ein siebenminütiger, hübsch ambient-jazzig nach Oblivion führender Instrumentaltrack trägt den Barhocker erschütternden Titel „There Is No Ice (Fo My Drink)“.   

(Wiener Zeitung, 9.10.2014)

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