Thom Yorke hat
sein zweites Soloalbum über das Filesharingsystem BitTorrent veröffentlicht
Im
Gegensatz zu Bono und U2 verscherbelt Thom Yorke sein neues Album nicht als
Zwangsdownload und Werbung für einen Weltkonzern um einen für die Pop-Branche
sehr hohen Preis gratis. Den scheinbaren Umsonst-Teil dieser
Veröffentlichungspolitik durfte der Sänger mit seiner Stammband Radiohead als Quasi-Pionier
bereits im Jahr 2007 erledigen, um damit aber zumindest behauptetermaßen gegen
die Industrie vorzugehen. Nicht nur als Reaktion auf die Übernahme ihrer seinerzeitigen
Plattenfirma EMI durch den an der Musik selbst mindestens desinteressierten
Private-Equity-Investor Terra Firma veröffentlichten Radiohead ihr Album „In
Rainbows“ damals in Eigenregie als Download um wahlweise kein Geld oder für
einen vom Endverbraucher bestimmten Spendierbetrag. Eine auf Pre-Order-Basis
nachgereichte Deluxe-Box stellte das Unternehmen auf eine finanziell sichere
Basis, während die reguläre Veröffentlichung als CD im Handel die Ursprungsidee
später sanft ad absurdum führte.
Fixbetrag statt
Bettel
Für
sein nun also erschienenes zweites Solowerk mit dem zur Unternehmung passenden
Titel „Tomorrow’s Modern Boxes“ orientierte sich Thom Yorke lose an der nachfolgenden
Modelladaptierung Radioheads mit dem Album „The King Of Limbs“. Geblieben sind beispielsweise
die Festlegung eines Fixbetrags von in diesem Fall umgerechnet fünf und eine Deluxe-Edition
auf Vinyl um 38 Euro. Neu ist der Vertrieb über das Filesharingsystem BitTorrent,
das den Künstlern mehr Gewinn zugesteht als etwa Apple mit iTunes. Mit einer
Million Downloads in den ersten sechs Tagen klingt ein Zwischenresultat dabei zunächst
nach Erfolg. Leider verhindert die Miteinberechnung einer gleichfalls digital
bereit gestellten Gratisversion aus nur einem Song und einem Musikvideo eine
genauere Betrachtung. Sicher bleibt die schon vor sieben Jahren von Radiohead
gelieferte Erkenntnis, dass diese Art der Veröffentlichung zwar für große Namen
ein gangbarer Weg sein kann, der für den Nachwuchs aber wesentlich steiniger
wäre. Er würde in 99 Prozent aller Fälle nur einen ähnlichen Bettel lukrieren, wie
ihn auch von Thom Yorke strikt abgelehnte Streamingdienste wie Spotify, die die
Plattenmajors als neues Feindbild längst abgelöst haben, gemeinhin so abwerfen.
Die
acht neuen Songs selbst wiederum sind mit einem etwas bemühten Witz schnell
besprochen: Auch Musik, die nicht vollkommen gratis ist, kann mitunter ein
klein wenig umsonst sein. Zwar klingt die Produktion Thom Yorkes im Verbund mit
seinem Langzeitpartner und Laptop-Spezi Nigel Godrich auch heute noch ausgezeichnet;
die Songs selbst lassen aber nicht nur dank entrückt-ereignisarmer Ausschussware
wie „Interference“ darauf hoffen, dass Yorke mit seiner Inspiration hier nur in
Hinsicht auf das nächste neue Radiohead-Album haushalten will.
Analoge
Restnotiz
Heute
endgültig von jedwedem Gitarreneinsatz befreit und ganz auf herbstlich-nächtliche
Nebelsounds zwischen Pling-Plong-Elektronik, Abstrakt-Techno, Häckslerbeats und
getragen-erhabener Laptoporgel konzentriert, hören wir Thom Yorke am
vorläufigen Höhepunkt seines Bemühens um Flüchtigkeit. Wobei zu gelegentlichem
Hallklavier als analoger Restnotiz mit in sich versunkenem Falsettgesang über
keiner Melodie abermals die bereits von Nietzsche gutgeheißene
Hoffnungslosigkeit beschworen wird. Als Büchse der Pandora weiß immerhin auch
„Tomorrow’s Modern Boxes“ darüber zu berichten, dass es angesichts von Leid,
Elend, Tod und einer schon wieder vor dem Abgrund vermuteten Welt womöglich besser
wäre, allen Glauben an bessere Zeiten gleich zu Grabe zu tragen.
Erst recht, wo bei der Problembehandlung rasch
allzu weltlicher Ärger droht: Ein siebenminütiger, hübsch ambient-jazzig nach
Oblivion führender Instrumentaltrack trägt den Barhocker erschütternden Titel
„There Is No Ice (Fo My Drink)“.
(Wiener Zeitung, 9.10.2014)
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