Donnerstag, Oktober 09, 2014

Stammesmasken sind seine Vollvisierhelme

Der Londoner Produzent Aaron Jerome und das zweite Album unter seinem Alias SBTRKT

Bevorzugt versteckt sich der Mann hinter von hübscher Festtagsbemalung und angeschlossenem Steppenstroh bestimmten Stammesmasken, die aussehen, als hätte das Völkerkundemuseum seiner Heimatstadt London eine Leihgabe aus Zentralafrika spendiert. Er zeigt damit Geschichtsbewusstsein in Sachen „anonymer elektronischer Auteur“ und gibt den gesichtslosen Produzenten als Star seiner Zeit vor allem deshalb, um nicht von der Kunst abzulenken und dafür in Paris, New York oder St. Valentin unerkannt einkaufen gehen zu können. Im Vergleich zu diesbezüglich ähnlich veranlagten Kollegen wie Kraftwerk (Sie sind die Roboter!) und Daft Punk (Sie sind die Disco-Androiden mit dem Vollvisierhelm!) ist es bei Aaron Jerome also kein Sujet aus der einstigen Zukunft, das sein kaum minder modernistisch tickendes Künstlerköpfchen zu einem gut gehüteten Geheimnis macht.

Als Mann, den niemand kennt, obwohl ihn mittlerweile zumindest vom Hören her doch bereits einige kennen, verantwortete der Produzent unter seinem – künstlerisch zumindest teils irreführend – Subtraktion als Reduktion nahelegenden Alias SBTRKT nicht nur Remixes für Namen wie Radiohead, M.I.A., Basement Jaxx oder Mark Ronson. Er wird spätestens seit seinem vor gut drei Jahren veröffentlichten, selbstbetitelten Debütalbum vordergründig auch als zwischen Post-Dubstep und anderweitiger Bassmusik verwurzelter Soundschmied und talentierter Eklektiker gefeiert.

Mit seinem nun erneut auf dem angesagten britischen Label Young Turks (The xx, FKA twigs, Kwes) erschienenen Zweitling „Wonder Where We Land“ bleibt Jerome seinem Arbeitsprinzip treu, die Nachwehen einer elektronischen Sozialisierung unter Beihilfe mit ihm wachsender Gäste - wie seinem Label-Kollegen Sampha oder der kommende Woche gleichfalls mit einem neuen Album nachlegenden, aktuell also nicht nur als buchbare Stimme gefragten Jessie Ware - in genretechnisch vielseitig interessierte Songs zu überführen. Wobei die etwas egalen, wie schnell zusammengeschustert wirkenden Instrumental-Interludes sowie die Unterschiedlichkeit der Ergebnisse eher zu einem mittleren Fleckerlteppich führen als zu einem rundum stringenten Werkkörper.

Frickel-Elektronik

Auf der Habenseite ist zuvorderst zu nennen, dass Jerome sich in Zeiten von Stangenware und Arbeitsschablonen hörbar um ein elaboriertes Sounddesign kümmert. Höhepunkte ergeben sich dort, wo dieses auch auf zwingende Songdramaturgien trifft: Das grundsätzlich aufgeräumte, von der Vorliebe Jeromes für forsch fiepsende und flott flirrende Frickel-Elektronik getragene Titelstück wäre ebenso zu nennen wie Trip-Hop-affinere Songs wie „Higher“ oder vor allem „Look Away“, bei dem sich SBTRKT erlaubt, die guten alten Landsleute von Talk Talk zu zitieren. Letztlich nicht nur bei „Problem (Solved)“ tritt die zeitgeistige Produktion dann vor einer klassischer zwischen Soul und R’n’B errichteten Spielwiese zurück, auf der Jessie Ware ihre gedämpfte Divenhaftigkeit ausleben darf. Weitere Nuancen liefern „New Dorp. New York“, das mit Vampire-Weekend-Mann Ezra Koenig bei LCD Soundsystem andockt, ohne deren gewinnende Erfolgsformel für Nächte am Dancefloor zu erreichen, „Gon Stay“, das Samphas R’n’B-Falsett mit zeitlosen Disco-Bässen vereint oder die etwas gar glatt ins Melodramatische führende Klaviermeditation „If It Happens“ samt ihren Gospelnachwehen.

Wenn es zum Knister- und Knusperbeat von „The Light“ auch mit dem Songmaterial wieder passt, ist SBTRKTs Stellung als Talent am Ende aber behauptet. 

(Wiener Zeitung, 10.10.2014) 

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