Freitag, Oktober 10, 2014

Lieder vom Leben

Die 61-jährige US-Songwriterin Lucinda Williams veröffentlicht ein neues Album

Die Spielzeit beträgt eine Stunde und 43 Minuten. Das ist in Zeiten der verkürzten Aufmerksamkeitsspanne und darob auf leichte Konsumierbarkeit gestraffter Inhalte fast so lange, wie sich der Ironman für einen Fußmaroden anfühlen dürfte, den man mit einer Packung Valium gefüttert hat. Der in Sachen bodenständiges Songwriting zwischen Countrybar-Rock-’n’-Roll, Nashville-Andächtigkeit und dem Erbe eines am Mississippi im Morast ankernden Delta-Blues wertkonservativ erzogenen Hörerschaft ist das aber egal. Sie hat Zeit. Und auch der Künstlerin selbst ist im Alter von 61 Jahren jene Gelassenheit beschieden, die das Ausufernde erst ermöglicht und ihr in frühen Jahren verwehrt geblieben war. Immerhin ist Lucinda Williams auch dafür bekannt, in den ersten zwanzig Karrierejahren aus Gründen eines manischen Perfektionismus nur wenig veröffentlicht und bereits fertige Alben von Grund auf neu aufgenommen zu haben.

Zeitlosigkeit

Als Tochter eines für Lehraufträge durch den US-Süden tingeltangelnden Universitätsprofessors für Literatur, der sich auch als Schriftsteller verdingte – und etwa ein Gedicht aus eigener Feder später bei der Inaugurationsfeier Bill Clintons vortragen durfte – war Williams schon in jungen Jahren von jenem Sound fasziniert, der, als Americana bezeichnet, bis heute fröhliche Urständ feiert. Nach in den 70er Jahren mit der Interpretation gängiger Country- und Bluesstandards verbrachten Anfängen und trotz von der Kritik hochgelobter früher Arbeiten kam der Durchbruch aber erst im Jahr 1998 mit dem Album „Car Wheels On A Gravel Road“. Seither wird wahlweise näher an einem gut geerdeten Midtempo-Rock oder in festerer Umarmung mit Country- und Bluesanleihen sowie befreit aufspielend oder einer tiefen Melancholie verfallen Musik gemacht, die sich nicht weiter um Moden kümmert. Stattdessen wird der künstlerische Kosmos in Hinsicht auf Modernisierung (ha, ha!) oder die Eingemeindung von „Neuem“ nahezu beratungsresistent bloß ausnuanciert. Nicht nur die daraus resultierende Zeitlosigkeit ihres für sich genommen mindestens versierten Songwritings brachte Lucinda Williams bisher drei Grammys und zahlreiche Liebesbekundungen von Genregrößen wie Emmylou Harris oder Tom Petty ein.

Mit ihrem neuen, wie erwähnt üppig ausgefallenem Studioalbum mit dem bezeichnenden Titel „Down Where The Spirit Meets The Bone“, das entsprechend auf zwei Silber- beziehungsweise drei Vinyl-Scheiben daherkommt, bündelt Williams nun sämtliche Kernkompetenzen. Es liegt am Publikum, zu den das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen umkreisenden Liedern klirrende Bierflaschen, tanzende Paare mit Cowboy-Hut, auf breiten Straßen durch das weite Land brausende LKWs, alte, im Abendrot auf der Veranda sitzende Menschen oder schlicht eine Honkytonk-Tür zu imaginieren, die nach der Sperrstund‘ ins Schloss fällt.   

Heisere Stimme

Zwar spielt Williams, unterstützt von der Rhythmusgruppe Elvis Costellos und einer Lawine an Session-Gitarristen, die ihre Könnerschaft mit standesgemäß eitler Solierarbeit unter Beweis stellen dürfen, im Wesentlichen nur zwei, drei Songs, die sich, leicht adaptiert, abwechseln dürfen. Groovebetont mit knackigen Blues-Licks, im mittleren Tempobereich frei fließend oder mit heiserer Stimme als traurige L’amour-Hatscher dargeboten, geht es um gebrochene Herzen, verlogene Kleinstädte, die grundsätzliche Schlechtheit der Menschen und darum, dass (und wie) man sich von alledem nicht erdrücken lässt.     

Es ist eine große Stärke dieser Songs, trotz ausgestellter Gefühligkeit nicht ins Rührselige zu kippen. Das passt zu Lucinda Williamsʼ Arbeitsverständnis, Pathos-affine Inhalte weitgehend unprätentiös zu vertonen – um dem echten Leben, das mit dem Zerrbild eines geheuchelten Schmalztopf-Country exakt gar nichts zu tun hat, möglichst nahe zu kommen. 

(Wiener Zeitung, 11./12.10.2014)

Lucinda Williams: Down Where The Spirit Meets The Bone (Highway 20 Records)

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