Die 61-jährige
US-Songwriterin Lucinda Williams veröffentlicht ein neues Album
Die
Spielzeit beträgt eine Stunde und 43 Minuten. Das ist in Zeiten der verkürzten
Aufmerksamkeitsspanne und darob auf leichte Konsumierbarkeit gestraffter Inhalte
fast so lange, wie sich der Ironman für einen Fußmaroden anfühlen dürfte, den
man mit einer Packung Valium gefüttert hat. Der in Sachen bodenständiges
Songwriting zwischen Countrybar-Rock-’n’-Roll, Nashville-Andächtigkeit und dem
Erbe eines am Mississippi im Morast ankernden Delta-Blues wertkonservativ
erzogenen Hörerschaft ist das aber egal. Sie hat Zeit. Und auch der Künstlerin
selbst ist im Alter von 61 Jahren jene Gelassenheit beschieden, die das Ausufernde
erst ermöglicht und ihr in frühen Jahren verwehrt geblieben war. Immerhin ist
Lucinda Williams auch dafür bekannt, in den ersten zwanzig Karrierejahren aus
Gründen eines manischen Perfektionismus nur wenig veröffentlicht und bereits fertige
Alben von Grund auf neu aufgenommen zu haben.
Zeitlosigkeit
Als
Tochter eines für Lehraufträge durch den US-Süden tingeltangelnden Universitätsprofessors
für Literatur, der sich auch als Schriftsteller verdingte – und etwa ein Gedicht
aus eigener Feder später bei der Inaugurationsfeier Bill Clintons vortragen
durfte – war Williams schon in jungen Jahren von jenem Sound fasziniert, der,
als Americana bezeichnet, bis heute fröhliche Urständ feiert. Nach in den 70er
Jahren mit der Interpretation gängiger Country- und Bluesstandards
verbrachten Anfängen und trotz von der Kritik hochgelobter früher Arbeiten kam
der Durchbruch aber erst im Jahr 1998 mit dem Album „Car Wheels On A Gravel
Road“. Seither wird wahlweise näher an einem gut geerdeten Midtempo-Rock oder
in festerer Umarmung mit Country- und Bluesanleihen sowie befreit aufspielend
oder einer tiefen Melancholie verfallen Musik gemacht, die sich nicht weiter um
Moden kümmert. Stattdessen wird der künstlerische Kosmos in Hinsicht auf
Modernisierung (ha, ha!) oder die Eingemeindung von „Neuem“ nahezu beratungsresistent
bloß ausnuanciert. Nicht nur die daraus resultierende Zeitlosigkeit ihres für
sich genommen mindestens versierten Songwritings brachte Lucinda Williams bisher
drei Grammys und zahlreiche Liebesbekundungen von Genregrößen wie Emmylou
Harris oder Tom Petty ein.
Mit
ihrem neuen, wie erwähnt üppig ausgefallenem Studioalbum mit dem bezeichnenden
Titel „Down Where The Spirit Meets The Bone“, das entsprechend auf zwei Silber-
beziehungsweise drei Vinyl-Scheiben daherkommt, bündelt Williams nun sämtliche
Kernkompetenzen. Es liegt am Publikum, zu den das Leben mit all seinen Höhen
und Tiefen umkreisenden Liedern klirrende Bierflaschen, tanzende Paare mit
Cowboy-Hut, auf breiten Straßen durch das weite Land brausende LKWs, alte, im
Abendrot auf der Veranda sitzende Menschen oder schlicht eine Honkytonk-Tür zu
imaginieren, die nach der Sperrstund‘ ins Schloss fällt.
Heisere Stimme
Zwar
spielt Williams, unterstützt von der Rhythmusgruppe Elvis Costellos und einer
Lawine an Session-Gitarristen, die ihre Könnerschaft mit standesgemäß eitler Solierarbeit
unter Beweis stellen dürfen, im Wesentlichen nur zwei, drei Songs, die sich, leicht
adaptiert, abwechseln dürfen. Groovebetont mit knackigen Blues-Licks, im
mittleren Tempobereich frei fließend oder mit heiserer Stimme als traurige
L’amour-Hatscher dargeboten, geht es um gebrochene Herzen, verlogene
Kleinstädte, die grundsätzliche Schlechtheit der Menschen und darum, dass (und
wie) man sich von alledem nicht erdrücken lässt.
Es
ist eine große Stärke dieser Songs, trotz ausgestellter Gefühligkeit nicht ins
Rührselige zu kippen. Das passt zu Lucinda Williamsʼ Arbeitsverständnis, Pathos-affine
Inhalte weitgehend unprätentiös zu vertonen – um dem echten Leben, das mit dem
Zerrbild eines geheuchelten Schmalztopf-Country exakt gar nichts zu tun hat,
möglichst nahe zu kommen.
(Wiener Zeitung, 11./12.10.2014)
Lucinda Williams: Down Where The Spirit Meets The Bone (Highway 20
Records)
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