Wanda aus Wien veröffentlichen
mit „Amore“ das heimische Debütalbum des Jahres
Wenn
man lange am selben Ort lebt, besteht die Gefahr, dass die an diesem vorherrschenden
Verhältnisse irgendwann als normal betrachtet werden. Weil es schon immer so
war und man ja nichts machen kann, arrangiert man sich entsprechend selbst mit Dauerregen,
Starkwind oder den stinkerten Staubwolken aus der naheliegenden Industrie,
einer Küche, die man anderswo nicht als solche bezeichnen würde, dem zu lauten
Lärm, der zu ruhigen Ruhe oder den Menschen, von denen im Reiseführer für Extremurlauber
mit Stoßrichtung Wien etwa steht, dass sie eh „liebenswert“ seien. Tatsächlich
braucht es zur Erinnerung an einen möglichen Außenblick auf Österreich und vor
allem die Wienerstadt als Donauinsel der von Elizabeth T. Spira eingefangenen (Un-)Gemütlichkeit
neben Filmen von Ulrich Seidl auch eines: die Augen junger Austauchstudentinnen
aus Hannover bei ihrer Erstbegegnung mit eingeborenen Jungmännern, die mittags
im Spritzweinrausch über einen Mistkübel fallen und ihn umgehend als „Oaschloch!“
bezeichnen.
Lust und Ausschweifung
Dergleichen
passiert natürlich nur, weil der Schnaps aus und die Frau weg ist. Die Frau
hieß übrigens Schatzi oder Babe und evozierte nicht mehr für denkbar gehaltene
Gefühle, die sich mit Meidlinger L schreiben und mit der Liebe ebenso zu tun
haben wie mit einer uns umbringenden Lebenslust. Wenn jetzt im Ausmaus-Stadium also
nicht gerade die Spritzweindosierung zufällig passt und man eine halbe Stunde am
Tag zur Verfügung hat, die ganz okay, also nur halb-oasch ist, ist alles sehr
oft sehr oasch. Aus diesem bald von einem Gefühl der Sehnsucht als
Rettungsanker kontrastierten Setting ewiger Kaputtheit befördert die Wiener
Band Wanda um Sänger und Mastermind Marco Michael Wanda nichts weniger als ein heimisches
Debütalbum des Jahres, das in beinahe jeder Hinsicht auch als genuin
österreichisch zu bezeichnen ist – vielleicht mit der Ausnahme, dass es
trotzdem erfolgreich sein wird. Mit der Band im Morgengrauen über der Stadt zwischen
Dosenbier, gʼfeanztem Blick und im Mundl-Hemd posierend, hört man ein Schelmenstück
im Zeichen einer auf Ausschweifung und Untergang gebauten Romantik.
Der
sich abzeichnende Siegeszug um das am Freitag mit dem Titel „Amore“ erscheinende
erste Album der vor zwei Jahren gegründeten Band ist dabei auch aus
musikalischen Gründen erstaunlich. Schließlich setzt der Fünfer neben hübsch auf
die Ära des Major Kottan verweisenden Schrammelgitarren als Nachwehen eines
quengelnden 60er-Jahre-Rock-’n’-Roll auf ästhetische Grenz- und Härtefälle. Einflüsse
aus dem Italo-Schlager, die bei auf Bunga Bunga gestimmten Instant-Hits wie „Bologna“
zum Einsatz kommen, sind diesbezüglich ebenso zu nennen wie Elemente des im
Indie-Kosmos über lange Zeit vor allem als Tabu präsenten „Austropop“.
Sich ausrean
gehen
Wenn
Wanda bei Stücken wie „Easy Baby“ sowohl in Sachen Sound als auch von der
Intonation ihres Sängers her unerhört nach Falco klingen, passt das allerdings ganz
hervorragend zu einer von der Band weitergepflegten und hinlänglich
abgehandelten österreichischen Ausformung der Schizophrenie aus Größenwahn und Weinerlichkeit.
Dank hier auch imitierter, Luxuskarossen verschlingender Nasenschnee-Schnupfgeräusche
bedeutet das, dass man nachts zwar in ganz Wien der Held von heute ist, sich
schon morgen aber zur Mutter wird ausrean gehen. Mit „Auseinandergehen ist
schwer“ hat die Band in diesem Spannungsverhältnis eine wienerische Wöd-Scheibn
im Angebot, der mit locker aus dem Ärmel geschüttelter Arrangement-Grandezza die
schwierige Übung gelingt, einen erhabenen Popmoment zu erzeugen, ohne die
eigene Schludrigkeit zu verraten.
Auch
das ist übrigens ein Kunststück: Wenn man dieses Album und all seine Momente
des „auf die Gosch’n foins“ mit in den Urlaub nimmt, ist das Psychopathologische,
das Kaputte, das Jenseitige der Wienerstadt ganz schnell allgegenwärtig. Und
man will trotzdem gleich wieder hin, hin, hin.
Wanda: Amore
(Problembär Records/Seayou/Hoanzl)
(Wiener Zeitung, 15.10.2014)
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