Dienstag, Oktober 14, 2014

Schelmenstück mit Strizzis

Wanda aus Wien veröffentlichen mit „Amore“ das heimische Debütalbum des Jahres

Wenn man lange am selben Ort lebt, besteht die Gefahr, dass die an diesem vorherrschenden Verhältnisse irgendwann als normal betrachtet werden. Weil es schon immer so war und man ja nichts machen kann, arrangiert man sich entsprechend selbst mit Dauerregen, Starkwind oder den stinkerten Staubwolken aus der naheliegenden Industrie, einer Küche, die man anderswo nicht als solche bezeichnen würde, dem zu lauten Lärm, der zu ruhigen Ruhe oder den Menschen, von denen im Reiseführer für Extremurlauber mit Stoßrichtung Wien etwa steht, dass sie eh „liebenswert“ seien. Tatsächlich braucht es zur Erinnerung an einen möglichen Außenblick auf Österreich und vor allem die Wienerstadt als Donauinsel der von Elizabeth T. Spira eingefangenen (Un-)Gemütlichkeit neben Filmen von Ulrich Seidl auch eines: die Augen junger Austauchstudentinnen aus Hannover bei ihrer Erstbegegnung mit eingeborenen Jungmännern, die mittags im Spritzweinrausch über einen Mistkübel fallen und ihn umgehend als „Oaschloch!“ bezeichnen.

Lust und Ausschweifung

Dergleichen passiert natürlich nur, weil der Schnaps aus und die Frau weg ist. Die Frau hieß übrigens Schatzi oder Babe und evozierte nicht mehr für denkbar gehaltene Gefühle, die sich mit Meidlinger L schreiben und mit der Liebe ebenso zu tun haben wie mit einer uns umbringenden Lebenslust. Wenn jetzt im Ausmaus-Stadium also nicht gerade die Spritzweindosierung zufällig passt und man eine halbe Stunde am Tag zur Verfügung hat, die ganz okay, also nur halb-oasch ist, ist alles sehr oft sehr oasch. Aus diesem bald von einem Gefühl der Sehnsucht als Rettungsanker kontrastierten Setting ewiger Kaputtheit befördert die Wiener Band Wanda um Sänger und Mastermind Marco Michael Wanda nichts weniger als ein heimisches Debütalbum des Jahres, das in beinahe jeder Hinsicht auch als genuin österreichisch zu bezeichnen ist – vielleicht mit der Ausnahme, dass es trotzdem erfolgreich sein wird. Mit der Band im Morgengrauen über der Stadt zwischen Dosenbier, gʼfeanztem Blick und im Mundl-Hemd posierend, hört man ein Schelmenstück im Zeichen einer auf Ausschweifung und Untergang gebauten Romantik.

Der sich abzeichnende Siegeszug um das am Freitag mit dem Titel „Amore“ erscheinende erste Album der vor zwei Jahren gegründeten Band ist dabei auch aus musikalischen Gründen erstaunlich. Schließlich setzt der Fünfer neben hübsch auf die Ära des Major Kottan verweisenden Schrammelgitarren als Nachwehen eines quengelnden 60er-Jahre-Rock-’n’-Roll auf ästhetische Grenz- und Härtefälle. Einflüsse aus dem Italo-Schlager, die bei auf Bunga Bunga gestimmten Instant-Hits wie „Bologna“ zum Einsatz kommen, sind diesbezüglich ebenso zu nennen wie Elemente des im Indie-Kosmos über lange Zeit vor allem als Tabu präsenten „Austropop“.

Sich ausrean gehen

Wenn Wanda bei Stücken wie „Easy Baby“ sowohl in Sachen Sound als auch von der Intonation ihres Sängers her unerhört nach Falco klingen, passt das allerdings ganz hervorragend zu einer von der Band weitergepflegten und hinlänglich abgehandelten österreichischen Ausformung der Schizophrenie aus Größenwahn und Weinerlichkeit. Dank hier auch imitierter, Luxuskarossen verschlingender Nasenschnee-Schnupfgeräusche bedeutet das, dass man nachts zwar in ganz Wien der Held von heute ist, sich schon morgen aber zur Mutter wird ausrean gehen. Mit „Auseinandergehen ist schwer“ hat die Band in diesem Spannungsverhältnis eine wienerische Wöd-Scheibn im Angebot, der mit locker aus dem Ärmel geschüttelter Arrangement-Grandezza die schwierige Übung gelingt, einen erhabenen Popmoment zu erzeugen, ohne die eigene Schludrigkeit zu verraten.

Auch das ist übrigens ein Kunststück: Wenn man dieses Album und all seine Momente des „auf die Gosch’n foins“ mit in den Urlaub nimmt, ist das Psychopathologische, das Kaputte, das Jenseitige der Wienerstadt ganz schnell allgegenwärtig. Und man will trotzdem gleich wieder hin, hin, hin.    

Wanda: Amore (Problembär Records/Seayou/Hoanzl)

(Wiener Zeitung, 15.10.2014) 

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