Donnerstag, Oktober 16, 2014

Jetzt wird es zart

Wispern und raunen: die britische R’n’B-Adeptin Jessie Ware und ihr zweites Album

Der Erfolg kam zunächst als Gastsängerin. Zum einen – und das ist das Gute – verfügt die soeben 30 Jahre alt gewordene britische R’n’B-Adeptin Jessie Ware über eine ausdrucksstarke Stimme, die sich nicht nur für den sogenannten Adult-Contemporary-Markt eignet; wobei sich die in London aufgewachsene Tochter einer Sozialarbeiterin und eines ehemaligen BBC-Journalisten gerne zurücknimmt, sie prinzipiell für das Divenfach umarrangierbare Songs also nicht im Christina-Aguilera-Guerillagesangsstil zersingt.

Zum anderen wirkt die Frau in ihrer Zurückhaltung zwar sympathisch, aber auch relativ unscheinbar – was für den nun angestrengten Durchbruch als Solokünstlerin nicht wirklich hilfreich ist. Gerade im Fachbereich R’n’B – schlagʼ nach bei Prince! – hat Understatement bekanntlich noch nie als Tugend gegolten. Und eine Sängerin, an die man sich schwerlich erinnert, wird es auch im erbarmungslosen Popgewerbe nicht so einfach haben.

Mit Leadgesängen für elektronische Acts wie SBTRKT und Joker aber sicherte sich die vormalige Studentin der englischen Literatur aber sowohl die Gunst des Publikums als auch die Aufmerksamkeit der Industrie. Nach Schnupperjahren im Journalismus war der Branchenwechsel spätestens mit dem im Jahr 2012 veröffentlichten Debütalbum „Devotion“ geglückt, auf dem sich zwei Strömungen ausmachen ließen. Neben am Puls der Zeit bis beinahe modernistisch produzierten Songs, die den Zuspruch der Kritik sicherstellten, lieferte Ware popnahe und dabei extrem eingängige potenzielle Radiohits im mittleren Tempobereich. Wobei dann welche Umstände auch immer einen Strich durch die Rechnung machten und die Charts über keinerlei Spitzenposition informieren. Dabei hätte man darauf wetten können, dass es Ware vor allem mit der Single „Wildest Moments“ gelingt, bereits heute Geld für die Pension zu lukrieren. Ein solider fünfter Platz für das Album in ihrer Heimat bedeutete letztlich aber eine solide Bilanz.

Zur Sache mit dem Geld ist noch zu sagen, dass Ware sich augenblicklich ziemlich bemüht. Bereits die Ankündigung einer Schreibkollaboration mit Ed Sheeran für die erste Single des nun erscheinenden Zweitlings „Tough Love“ ließ folgerichtig Skepsis aufkommen. Und tatsächlich verspielt „Say You Love Me“ als flachgebügeltes Rührstück alle Vorschusslorbeeren von 2012. Zum Glück folgen dieser entbehrlichen Glättung nur zwei der zehn weiteren neuen Songs. Zu nennen sind die Refrains des in der Titelgebung wahlweise an Mariah Carey oder den Anfang der Oberstufe erinnernden Radioangebots „You & I (Forever)“ oder der melodramatischen Powerballade „Pieces“.

Dabei beginnt es mit dem Titelstück hübsch zwischen 80er-Jahre-Drumsounds, die offenbar aus der Soundbank des erwähnten Prince gestohlen wurden, und zärtlichen Synthesizern, die zitternd zirpen. Wobei die hier auf Minimalismus setzende Produktion dafür sorgt, dass Wares Stimme viel Raum zukommt. Dieser wird auch benötigt, um die ganz dem guten alten „Ich will ihn. Ich will ihn nicht“-Spiel verschriebenen Texte zwischen sanftem Balzgesang und dem betrübten Raunen einer zurückgewiesenen Sirene zu inszenieren. Die Ergebnisse sind heute kaum als modernistisch zu bezeichnen, wobei nicht nur „Desire“ mit seinem nach Schwerarbeit in der Werft klingenden Soundgebilde oder der von hallbelegten The-xx-Gitarren verzierte „Sweetest Song“ heutige Elemente schon auch zulassen.

„Want Your Feeling“ ist Discosoul, „Keep On Lying“ bettet seinen innigen Vortrag auf verspielte Casio-Elektronik und „Kind Of…Sometimes …Maybe“ rennt offene Schlafzimmertüren ein. Der nicht vom Herzschmerz geplagte Teil des neuen Materials beschwört schließlich jene Eile, die in gewissen Augenblicken in Nächten zu mindestens zweit angebracht ist: „Tell me what weʼre waiting for. I only wanna love!“

Jessie Ware: Tough Love (Universal Music)

(Wiener Zeitung, 17.10.2014)

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