Wispern und
raunen: die britische R’n’B-Adeptin Jessie Ware und ihr zweites Album
Der
Erfolg kam zunächst als Gastsängerin. Zum einen – und das ist das Gute –
verfügt die soeben 30 Jahre alt gewordene britische R’n’B-Adeptin Jessie Ware über
eine ausdrucksstarke Stimme, die sich nicht nur für den sogenannten
Adult-Contemporary-Markt eignet; wobei sich die in London aufgewachsene Tochter
einer Sozialarbeiterin und eines ehemaligen BBC-Journalisten gerne zurücknimmt,
sie prinzipiell für das Divenfach umarrangierbare Songs also nicht im
Christina-Aguilera-Guerillagesangsstil zersingt.
Zum
anderen wirkt die Frau in ihrer Zurückhaltung zwar sympathisch, aber auch
relativ unscheinbar – was für den nun angestrengten Durchbruch als
Solokünstlerin nicht wirklich hilfreich ist. Gerade im Fachbereich R’n’B –
schlagʼ nach bei Prince! – hat Understatement bekanntlich noch nie als Tugend
gegolten. Und eine Sängerin, an die man sich schwerlich erinnert, wird es auch
im erbarmungslosen Popgewerbe nicht so einfach haben.
Mit
Leadgesängen für elektronische Acts wie SBTRKT und Joker aber sicherte sich die
vormalige Studentin der englischen Literatur aber sowohl die Gunst des
Publikums als auch die Aufmerksamkeit der Industrie. Nach Schnupperjahren im
Journalismus war der Branchenwechsel spätestens mit dem im Jahr 2012 veröffentlichten
Debütalbum „Devotion“ geglückt, auf dem sich zwei Strömungen ausmachen ließen. Neben
am Puls der Zeit bis beinahe modernistisch produzierten Songs, die den Zuspruch
der Kritik sicherstellten, lieferte Ware popnahe und dabei extrem eingängige potenzielle
Radiohits im mittleren Tempobereich. Wobei dann welche Umstände auch immer einen
Strich durch die Rechnung machten und die Charts über keinerlei Spitzenposition
informieren. Dabei hätte man darauf wetten können, dass es Ware vor allem mit
der Single „Wildest Moments“ gelingt, bereits heute Geld für die Pension zu
lukrieren. Ein solider fünfter Platz für das Album in ihrer Heimat bedeutete
letztlich aber eine solide Bilanz.
Zur
Sache mit dem Geld ist noch zu sagen, dass Ware sich augenblicklich ziemlich bemüht.
Bereits die Ankündigung einer Schreibkollaboration mit Ed Sheeran für die erste
Single des nun erscheinenden Zweitlings „Tough Love“ ließ folgerichtig Skepsis
aufkommen. Und tatsächlich verspielt „Say You Love Me“ als flachgebügeltes
Rührstück alle Vorschusslorbeeren von 2012. Zum Glück folgen dieser entbehrlichen
Glättung nur zwei der zehn weiteren neuen Songs. Zu nennen sind die Refrains
des in der Titelgebung wahlweise an Mariah Carey oder den Anfang der Oberstufe
erinnernden Radioangebots „You & I (Forever)“ oder der melodramatischen
Powerballade „Pieces“.
Dabei
beginnt es mit dem Titelstück hübsch zwischen 80er-Jahre-Drumsounds, die offenbar
aus der Soundbank des erwähnten Prince gestohlen wurden, und zärtlichen
Synthesizern, die zitternd zirpen. Wobei die hier auf Minimalismus setzende
Produktion dafür sorgt, dass Wares Stimme viel Raum zukommt. Dieser wird auch
benötigt, um die ganz dem guten alten „Ich will ihn. Ich will ihn nicht“-Spiel
verschriebenen Texte zwischen sanftem Balzgesang und dem betrübten Raunen einer
zurückgewiesenen Sirene zu inszenieren. Die Ergebnisse sind heute kaum als modernistisch
zu bezeichnen, wobei nicht nur „Desire“ mit seinem nach Schwerarbeit in der
Werft klingenden Soundgebilde oder der von hallbelegten The-xx-Gitarren
verzierte „Sweetest Song“ heutige Elemente schon auch zulassen.
„Want
Your Feeling“ ist Discosoul, „Keep On Lying“ bettet seinen innigen Vortrag auf verspielte
Casio-Elektronik und „Kind Of…Sometimes …Maybe“ rennt offene Schlafzimmertüren
ein. Der nicht vom Herzschmerz geplagte Teil des neuen Materials beschwört
schließlich jene Eile, die in gewissen Augenblicken in Nächten zu mindestens
zweit angebracht ist: „Tell me what weʼre waiting for. I only wanna love!“
Jessie Ware: Tough Love (Universal Music)
(Wiener Zeitung, 17.10.2014)
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