Freitag, Oktober 17, 2014

Fiebertraum mit Peitsche

Der enigmatische Scott Walker kollaboriert mit den Drone-Metal-Mönchen Sunn O)))

Der Anfang ist vor allem insofern verstörend, als hier tatsächlich ein harmonisches Grundgerüst vorliegt, sich zu einer echten Melodie also durchaus Wohlklang entfaltet. Mit Scott Walkers Markantgesang und einer Gitarre, die an Slash denken lässt, wenn dieser im Novemberregen solieren will, ist das beinahe zu viel der Zugänglichkeit. Zum Glück für die Stammkundschaft aber entscheidet sich das Joint Venture bereits nach 25 Sekunden, nun wirklich loszulegen und stoische Drones in die Magengrube zu wuchten, während zu nach Fiebertraum klingendem Endzeitgesäge bei auf Folterkeller gestimmter Raumakustik im Hintergrund die Peitsche schnalzt. Scott Walker darf dann über den ganzheitlichen Zustand singen, der im Englischen hinter der Phrase „to be down on the knees“ lauert, um sich nichts sehnlicher zu wünschen als eine Tracht Prügel.

Schwärzestes Schwarz

Zweifelsohne verführt der enigmatische US-Avantgardemusiker unter tatkräftiger Mithilfe der apokalyptischen Metal-Zerdehnungsmönche Sunn O))) bereits mit dem Auftaktsong des nun vorliegenden gemeinsamen Albums „Soused“ dazu, sich dem schwärzesten Schwarz eines unheimlichen Kunstuniversums hinzugeben. Und er demonstriert in eigentümlicher Grandezza, dass das musikalische Zeitlupengewitter der neuen Arbeitskollegen besser zu ihm passt als die sprichwörtliche Faust aufs Auge oder das Knochenmesser ins Schlachtgetier.

Dass Sunn O))) weitgehend die Rolle der Erfüllungsgehilfen zukommt – die „New York Times“ berichtete, dass Walker der Band nie begegnet sei und diese seine mit Synthesizern eingespielten Demos nach genauen Zielvorgaben umsetzen musste –, soll für den Meister selbst kein Schaden sein. Immerhin hat der zurückgezogen lebende alleinige „Song“(?)-Writer des Albums auch einen Ruf als genialischer Eigenbrötler zu verteidigen. Nach frühem Weltruhm mit dem orchestralen Schlagerpop der Walker Brothers in den 60er Jahren, einer Solokarriere mit Anfängen als Jacques-Brel-Interpret und einer Phase zwischen Alkoholismus und längst verdrängtem Countrypop, hat diese Zuschreibung vor allem mit Walkers Totalrückzug nach einer künstlerischen Neuerfindung mit dem Album „Climate Of Hunter“ von 1984 zu tun – sowie mit wiederholten Comebacks um die zwischen langen weiteren Pausen veröffentlichten Arbeiten „Tilt“ (1995), „The Drift“ (2006) und „Bish Bosch“ (2012), die nichts weniger waren als Manifeste einer vollkommenen Dekonstruktion: Schwer verdauliche Musik zwischen bevorzugt keiner Harmonie, null Kompromiss und einer surrealen Ästhetik, die im Studio nur konsequent etwa auf ein totes Schwein als „Instrument“ zurückgriff.

Ewiges Unheil

Mit fünf Songs in fünfzig bisweilen delikat entschleunigten Spielminuten hört man nun auch auf „Soused“ wieder kalt-harte Texte, die nicht allein aufgrund lateinischer Orgien-Mysterien-Intermezzi und teils altertümlicher Vokabel schwer zu entschlüsseln sind und etwa von Frauen erzählen, die ihre Babys von der feindlichen Welt fernhalten wollen und dafür von der Stasi verfolgt werden – sofern es nicht gerade um die Massakrierung eines Geistermaskottchens in der finsteren Nacht geht. Und auch das als Wiegenlied denkbar schlecht geeignete „Lullaby“ eröffnet mit höchstens albtraumtauglichen Zeilen: „Tonight my assistant will pass among you / The most intimate personal choices and requests, central to your personal dignity, will be sung!“

Zu Sounds aus der Stahlindustrie kommen Trompeten, die wie heulende Kleinkinder klingen. Donnernde Gitarrenloops verkünden ewiges Unheil. Feuerrot aufleuchtende Störgeräusche schneiden durch brodelnde Klanglava. Zwischendurch erleidet der Schlagzeuger einen epileptischen Anfall.

Am Ende ist nichts gut und alles ganz wunderbar. Nicht nur die traditionelle Empfehlung auf dem Backcover erscheint dringlich: „Maximum volume yields maximum results.“        

Scott Walker + Sunn O))): Soused (4AD/Beggars Group)

(Wiener Zeitung, 18./19.10.2014)

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