Mittwoch, Oktober 01, 2014

Ewig knarzt die Elektronik

Mit „Syro“ ist das erste Album von Aphex Twin seit dreizehn Jahren erschienen

Wenn man auf einer kleinen griechischen Insel aufgrund der nicht vorhandenen Strandbarbeschallung (ob der gleichfalls fehlenden Strandbar) gottlob die Auswahlmöglichkeit hat, wahlweise das Meer selbst als Soundtrack zum Meerblick zu betrachten oder den MP3-Player auf tatsächlich passende Begleitmusik hin zu überprüfen, können sich etwa folgende Erkenntnisse ergeben: Eine demnächst erscheinende Kollaboration des US-Musikers Scott Walker mit den endzeitlichen Drone-Metal-Mönchen von Sunn O))) wird nicht weniger eigentümlich, wenn man sie dem schwärzesten Schwarz entreißt und ihr unbekanntes, für Glückshormonausschüttung sorgendes Sonnenlicht (Was? Ist? Das???) zuführt. Auf die Idee wiederum, dass nicht nur das Ambient-lastige Frühwerk des unter seinem Alias Aphex Twin als wunderwuzzistischer Kabelmusikant gefeierten Produzenten Richard D. James umgebungstauglicher wäre, hätte man bereits aufgrund seinerzeitiger Tracktitel wie „Ageispolis“ oder „Heliosphan“ kommen können. Tatsächlich aber hilft die Ägäis selbst hier ganz entscheidend auf die Sprünge.

Legenden und Lügen

Anlass dieser Neusichtung des 1992 erschienenen Debüts „Selected Ambient Works 85-92“ jedenfalls ist mit „Syro“ das nun vorliegende erste Aphex-Twin-Album seit 13 Jahren. Es beinhaltet kaum Umgebungs- oder sonstwie taugliche Titel wie „4 bit 9d api+e+6 [126.26]“, die etwa auf ihr Instrumentarium verweisen und die von jeher enigmatische Erscheinung ihres Schöpfers untermauern. Als gesichtsloser Elektronikgott auf den Spuren mitunter auch als Einfluss hörbarer Vorreiter wie Kraftwerk ist James immerhin als großer Flunkerer bekannt. Absurde Legenden und schlicht erlogene biografische Angaben sorgen zwar dafür, dass man sich freakige Fans oder allzu lästige Journalisten vom Leib hält und man am Flughafen beim Wiederumschnallen des Gürtels oder im Drogeriemarkt vor dem Klopapierregal unerkannt bleibt, während das Interesse der Öffentlichkeit weiterköchelt. Im Zeitalter der auf Knopfdruck erhältlichen Fakten gewinnt das Mysterium ja bekanntlich an Marktwert – auch wenn aktuell sogar Pressefotos vorliegen, auf denen sich der Meister erkennbar macht.       

Als erste Bewerbungsaktion für die zwölf neuen Tracks aber ließ James noch in alter Umrätselungsmanier ohne weiteren Kommentar einen Zeppelin mit dem Aphex-Twin-Logo über London schweben, ehe die Existenz und Tracklist des Albums im Deep Web verlautbart wurden. Die mitunter Jahre zurückdatierenden und im eigenen Studio am schottischen Land produzierten Ergebnisse bündeln nun sämtliche Kernkompetenzen, um auch als Anmerkungen zur elektronischen Musik hörbar zu sein. Mit der verquer-verschrobenen Soundästhetik zu Beginn durchwegs nicht auf ursprüngliche Publikumsumgarnung ausgelegt, reicht James bald ein Wechselspiel aus harmonischen Leerstellen und verschwommenen Melodien, die ihren unterschwelligen Liebreiz bevorzugt aus dem Hintergrund verströmen.

Nachtschattige Sounds

Zu ewig knarzender Elektronik, ungewohnter synthetischer Funkyness und auf Basis repetitiver Grundstrukturen, die Aphex Twin wie gewohnt über detailreich produzierte Parameterverschiebungen vorwärts treibt, wird dabei nicht nur in Sachen Beatgestaltung eifrig geschraubt. Es schieben sich zwischen Jungle und Drum and Bass ankernde Breakbeats und sogar frühe Rave-Reminiszenzen oder Anklänge indischer Tabla-Rhythmik in die nicht selten nachtschattigen Soundlandschaften. Mehr als zwanzig Jahre nach dem teils auf seine frühen Teenagerjahre zurückreichenden ersten Album präsentiert sich Aphex Twin damit abermals in Hochform – ohne eine Revolution lostreten zu wollen, müssen oder können.

Dass am Cover des Albums Kostenpunkte der Produktion aufgeschlüsselt werden, unterstreicht den Schmäh des Musikers, die ans Ende gestellte Klavierkontemplation „Aisatsana [102]“ seine melancholische Seite. Dazu lässt sich wiederum ganz hervorragend aufs offene Meer schauen.           

Aphex Twin: Syro (Warp/Rough Trade)

(Wiener Zeitung, 2.10.2014)

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