Mit „Syro“ ist
das erste Album von Aphex Twin seit dreizehn Jahren erschienen
Wenn
man auf einer kleinen griechischen Insel aufgrund der nicht vorhandenen
Strandbarbeschallung (ob der gleichfalls fehlenden Strandbar) gottlob die
Auswahlmöglichkeit hat, wahlweise das Meer selbst als Soundtrack zum Meerblick
zu betrachten oder den MP3-Player auf tatsächlich passende Begleitmusik hin zu
überprüfen, können sich etwa folgende Erkenntnisse ergeben: Eine demnächst
erscheinende Kollaboration des US-Musikers Scott Walker mit den endzeitlichen Drone-Metal-Mönchen
von Sunn O))) wird nicht weniger eigentümlich, wenn man sie dem
schwärzesten Schwarz entreißt und ihr unbekanntes, für Glückshormonausschüttung
sorgendes Sonnenlicht (Was? Ist? Das???) zuführt. Auf die Idee wiederum, dass nicht
nur das Ambient-lastige Frühwerk des unter seinem Alias Aphex Twin als wunderwuzzistischer
Kabelmusikant gefeierten Produzenten Richard D. James umgebungstauglicher wäre,
hätte man bereits aufgrund seinerzeitiger Tracktitel wie „Ageispolis“ oder
„Heliosphan“ kommen können. Tatsächlich aber hilft die Ägäis selbst hier ganz
entscheidend auf die Sprünge.
Legenden und
Lügen
Anlass
dieser Neusichtung des 1992 erschienenen Debüts „Selected Ambient Works 85-92“ jedenfalls
ist mit „Syro“ das nun vorliegende erste Aphex-Twin-Album seit 13 Jahren. Es
beinhaltet kaum Umgebungs- oder sonstwie taugliche Titel wie „4 bit 9d api+e+6
[126.26]“, die etwa auf ihr Instrumentarium verweisen und die von jeher enigmatische
Erscheinung ihres Schöpfers untermauern. Als gesichtsloser Elektronikgott auf
den Spuren mitunter auch als Einfluss hörbarer Vorreiter wie Kraftwerk ist
James immerhin als großer Flunkerer bekannt. Absurde Legenden und schlicht
erlogene biografische Angaben sorgen zwar dafür, dass man sich freakige Fans oder
allzu lästige Journalisten vom Leib hält und man am Flughafen beim
Wiederumschnallen des Gürtels oder im Drogeriemarkt vor dem Klopapierregal
unerkannt bleibt, während das Interesse der Öffentlichkeit weiterköchelt. Im
Zeitalter der auf Knopfdruck erhältlichen Fakten gewinnt das Mysterium ja bekanntlich
an Marktwert – auch wenn aktuell sogar Pressefotos vorliegen, auf denen sich
der Meister erkennbar macht.
Als
erste Bewerbungsaktion für die zwölf neuen Tracks aber ließ James noch in alter
Umrätselungsmanier ohne weiteren Kommentar einen Zeppelin mit dem Aphex-Twin-Logo
über London schweben, ehe die Existenz und Tracklist des Albums im Deep Web
verlautbart wurden. Die mitunter Jahre zurückdatierenden und im eigenen Studio
am schottischen Land produzierten Ergebnisse bündeln nun sämtliche
Kernkompetenzen, um auch als Anmerkungen zur elektronischen Musik hörbar zu
sein. Mit der verquer-verschrobenen Soundästhetik zu Beginn durchwegs nicht auf
ursprüngliche Publikumsumgarnung ausgelegt, reicht James bald ein Wechselspiel
aus harmonischen Leerstellen und verschwommenen Melodien, die ihren
unterschwelligen Liebreiz bevorzugt aus dem Hintergrund verströmen.
Nachtschattige
Sounds
Zu
ewig knarzender Elektronik, ungewohnter synthetischer Funkyness und auf Basis repetitiver
Grundstrukturen, die Aphex Twin wie gewohnt über detailreich produzierte
Parameterverschiebungen vorwärts treibt, wird dabei nicht nur in Sachen Beatgestaltung
eifrig geschraubt. Es schieben sich zwischen Jungle und Drum and Bass ankernde
Breakbeats und sogar frühe Rave-Reminiszenzen oder Anklänge indischer
Tabla-Rhythmik in die nicht selten nachtschattigen Soundlandschaften. Mehr als
zwanzig Jahre nach dem teils auf seine frühen Teenagerjahre zurückreichenden
ersten Album präsentiert sich Aphex Twin damit abermals in Hochform – ohne eine
Revolution lostreten zu wollen, müssen oder können.
Dass
am Cover des Albums Kostenpunkte der Produktion aufgeschlüsselt werden, unterstreicht
den Schmäh des Musikers, die ans Ende gestellte Klavierkontemplation „Aisatsana
[102]“ seine melancholische Seite. Dazu lässt sich wiederum ganz hervorragend
aufs offene Meer schauen.
Aphex Twin: Syro
(Warp/Rough Trade)
(Wiener Zeitung, 2.10.2014)
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