Samstag, Oktober 25, 2014

Zuckerschock für Souvlakiland

Helene Fischer, Schlagerstar einer neuen Generation, gastiert an zwei Abenden in Wien. Notizen vom Freitag in der Stadthalle.  

Ein Höhepunkt der Show ist erreicht, als Helene Fischer einen überlebensgroßen Fantasy-Vogel besteigt, der sie, kräftig flügelschlagend, hoch über dem Publikum durch die Wiener Stadthalle fliegt. Währenddessen wird – Grundgütiger! – „My Heart Will Go On“ von Céline Dion zum Besten gegeben, und, als wäre das nicht genug, aus der Trickkiste des einstigen Bildungsweges gezaubert. Schließlich ist Helene Fischer „staatlich anerkannte Musicaldarstellerin“, was sich zwischen Augenaufschlag und überzeichneter „Oh, so weh!“-Gestik ebenso bestätigt wie spätestens nach erfolgter Punktlandung am hinteren Hallenende im Gespräch mit dem Publikum. Ja, auch die Sprechstimme Helene Fischers ist in etwa so süß, wie sich eine Tortenprinzessin den ewigen Cremeschnittenhimmel ausmalen dürfte. Mit von der Anrede „Ihr Lieben!“ eingeläuteten Schlagerbranche-Stehsätzen im Zeichen der Publikumsumgarnung und einer auf Germany’s-Next-Topmodel-Sprech modernisierten Form der Anmoderation („Wien, das wird Bombe!“) herrscht dabei nicht nur für allfällige Diabetiker im Raum die akute Gefahr eines Zuckerschocks.

Crazy poprocken

Wir befinden uns mitten im kitschballadistischen Schmalzteil des Abends, der parallel dazu also auch noch die Cholesterinwerte in herzinfarktauslösende Höhen treibt. Dort oben, noch mit Helene Fischer am Vogel tirilierend, hätte „I Believe I Can Fly“ von US-Schnulzensänger R. Kelly zwar besser auf die Setlist gepasst. Allerdings ist die Schlagerbranche ja bekanntlich so unironisch, wie man es sich von Airline-Piloten erhoffen würde, wenn diese im Cockpit ein Lied singen wollen.

Unironisch, das ist an diesem ersten von zwei in Serie absolvierten Helene-Fischer-Konzerten in der Wiener Stadthalle am Freitagabend zwar eigentlich alles. Ehe die Frau ihren aktuellen Lauf im Juni mit einem weiteren Auftritt auch im Ernst-Happel-Stadion erklären wird, ist aber zu sagen: ja eh, es sieht halt trotzdem nur so authentisch aus wie ein Propaganda-Foto von Kim Jong-un bei einem weiteren erfolgreichen Comeback im heiteren Nordkorea.

Zweifelsohne ist die 30-Jährige als Schlagerstar einer neuen Generation zwar in ihrem Element, wenn es um grundsätzlich nach Brunner & Brunner anno 1996 klingende Songangebote für auch von den Gipfelzipflern heimgesuchte Sendungsformate wie die „Starnacht im Montafon“ geht – die mit drastischeren Blitzhüttenbeats im DJ-Oktoberfest-Remix noch so gebogen werden, dass es nicht zuletzt die Leute von heute zum Dancen bringt. Im immerhin schwarz-rot-golden übertuchten Kiss-T-Shirt und in der Rocker-Hose allerdings wirkt Helene Fischer so glaubhaft wie ein burgenländischer Metzger beim veganen Tofu-Japaner. Es geht auf der Bühne jetzt schließlich darum, einst vom Formatradio mit unkündbaren Dauerabos  ins Programm genommene Songs von Bon Jovi, Van Halen oder John Farnham als crazy Poprock-Sause zu geben. Das geht beinahe so gut wie das Musical-Intermezzo mit einer gar nicht einmal so schleichenden Disney-Schleichwerbung oder die klassischen Zwischenspiele für Sologeige mit Vivaldi auf Basis einst von den Pet Shop Boys doch nicht für die B-Seite verwendeter Dancefloor-Beats.

Mit dem Weichzeichner

Mit Helene Fischer gewohnt in MasterCard-Gold-Blond und überraschend nicht selten auf strenge Kammer gestylter Lack-Leder-Tracht, vor mit dem Weichzeichner behandelten Fantasy-Poster-Sujets auf der Videowall und unter Miteinbeziehung einer Lawine an Tänzern und Musikern geht es dabei inhaltlich nicht um allzu viel. Einerseits soll angesichts der Umstände da draußen – Syrien, Ebola, Bankenstress, das Bier wird schon wieder teurer! – auch bei Helene Fischer in alter Schlager-Beschwichtigungstradition zumindest einen mit Pause gut dreistündigen Abend lang an die heile Welt geglaubt werden können. Dafür wird man zwischendurch auch harmonisch in beliebte Schlagerkarussell-Urlaubsdestinationen zwischen Spaghettistan und Souvlakiland versetzt. Heiße Nächte in Palermo. Strandbarromanzen mit Cocktailschirmchen. Schuld war doch nur der Wein. Der griiiiiiiechische Weihein!

Andererseits: Ein paar Wickel gibt es dann doch. Sie haben meistens mit dem Lover zu tun, der ein bisserl ein Strizzi ist, was über Sätze wie „Was hast du nur mit mir gemacht? Dass ich dir so viel verzeih’…“ vor allem zu systemstabilisierenden Gegen-Emanzipations-Schlagern führt. Aber auch an anderen Stellen kommt man ins Spekulieren. Bei „Nur wer den Wahnsinn liebt, der kann mit dir leben“ etwa fällt einem ein, dass die Frau ja mit Florian Silbereisen liiert ist.

Andreas Gabalier hat eine geile Zeit in der VIP-Lounge. Auch Dieter Chmelar und Harald Serafin werden gesichtet. Nachdem die Stimmung anfangs kaum über dem Niveau einer durchschnittlichen Brieflos-Show mit Peter Rapp liegt, ist mit Helene Fischer im knielangen „I Love Vienna“-Glitzer-Leiberl und den sie umtänzelnden, eigens aus Amiland eingeflogenen Quarterbacks bei „Atemlos durch die Nacht“ endlich alles im Lot. Wer nie auf die Wiesn wollte, weiß jetzt, warum. Ein auch auf den Abend umlegbarer Song des Konzerts heißt übrigens „Die Hölle morgen früh“.

(Wiener Zeitung online, 25.10.2014)

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