Mittwoch, November 12, 2014

Der Blues hat den Mann

Jack White zelebrierte sein Wiener Solo-Live-Debüt im Gasometer. Das war schade.

Es beginnt mit Verspätung gegen 21.15 Uhr nach der Durchsage, man möge sein Handy samt Kamera doch bitteschön in der Tasche lassen. Ähnlich wie Prince, dank einer zum Fetisch überhöhten Vorliebe für auch auf der Bühne präsente Vintage-Geräte und den Sound von gestern als auf Polyvinylchlorid gepresstes zu bewahrendes Kulturgut aber noch viel mehr, ist Jack White ein Analogmensch, der diesbezüglich keinen Spaß versteht. Bits und Bytes und – wie bitte, was? –, ja bestimmt, aber nicht mit ihm!

Auf der, weil man den Blues hat, blau gehaltenen Bühne erscheint Jack White heute entsprechend als fescher Rockabilly-Kampl mit jetzt kurzen Haaren samt seiner Band in Sonntagsanzug mit Krawatte und Countryfestmontur (die Bratlgeigerin!), die womöglich einem Simmeringer Kostümverleih namens „Hillbilly“ entstammt. Wobei das mit dem Blues nicht ganz richtig formuliert ist. Zwischen schwer unter Strom gesetzten Riffs aus dem Mississippi-Delta und vor der Honkytonk-Sperrstundʼ ins Bier fließenden Cowboytränen ist es längst so, dass nicht nur Jack White den Blues, sondern vor allem der Blues den Jack White hat!  

Weil der Abend nun großartig werden könnte, man sich aber leider im Gasometer befindet, stimmt man spätestens zu Konzertbeginn in diesen Chor ein. Man hat den guten alten „Die-Musik-fährt-aber-der-Sound-ist-zum-Speiben-Blues“, der nicht einst auf einer Baumwollfarm unten in Louisiana geschrieben wurde, sondern heute hinter dem „Hillbilly“ im Grenzland zu Wien Erdberg live vor Zeugen entsteht. Dass von Jack Whites Zwischenreden also nicht viel verstanden wird (es geht um irgendetwas mit Katy Perry, Lady Gaga und unseren Söhnen und Töchtern. Auch Beethoven, Mozart und Gott kommen vor!) passt aber zumindest insofern gut, als man auch die Instrumente nur sehen kann, sofern sie nicht Schlagzeug, Gitarre oder Bass heißen und beim Spielen sehr laut sind.

Wie es sich wohl für Jack White da oben auf der viel zu niedrigen Bühne – die es übrigens mit sich bringt, dass man eigentlich gar nicht so viel sieht – anfühlen muss? Vermutlich mehr so naja. Lange Unterhaltungen mit Roadies oder den Fans am seitlichen Rand sprechen dafür. Allerdings wird sich der 39-Jährige, nachdem er das Konzert nach einer Stunde für beendet erklärt, in einem rund 100-minütigen „Zugabenteil“ als entgegen heutiger Showbranchegesetze zumindest ein wenig unberechenbare Bühnenfigur noch entfesseln. Im Blues selbst liegt ja bekanntlich die Heilung. Leiden, lästern, lamentieren, die Gitarren zum Heulen bringen! Jack White schwurbelt und schrammt lässig über die Saiten. Er gibt maximal irre, bevorzugt auf ein eigentümliches Knarzen gebuchte Solos, verfällt mit der Band in Richtung Led Zeppelin gedonnerte Instrumentalpassagen und führt scheinbar zu Ende gebrachte Songs in die Nachspielzeit. Zwischen den Nummern, mit zum Hineinlegen ausgebreiteten Feedbackschleifen, glühen die Verstärker und klingeln die Ohren.

Die Setlist selbst? Eine gut gewählte Mischung aus dem Country-nahe und halb bis ganz akustisch gegebenen beiden Soloalben „Blunderbuss“ und „Lazaretto“ – inklusive Pedal-Steel-Gitarre und der Frau an der Bratlgeige als nach June Carter leicht jodelig gestimmte Kaschemmen-Sirene – und den Hits der White Stripes, die bei „Hotel Yorba“ an eine Indie-Komödie von Jason Reitman denken lassen, im Falle von „Ball And Biscuit“ prächtig johnleehokern und mit Son House erkunden, was Offenbarung ist – und was Agonie.

Für das Ende hat sich Jack White mit „Seven Nation Army“ dann jene Wödscheiben aufgespart, die ihn bereits im Alter von 27 Jahren unsterblich machte, vom Publikum nunmehr aber als Schlechtgesang des FC Bayern gedeutet wird. Wer den Blues bisher nicht hatte, der hat ihn jetzt. Er ist der Ursprung, er ist die Lösung: „I’m gonna fight ʼem off!“

(Wiener Zeitung, 13.11.2014)

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