Freitag, November 21, 2014

Der Höhenflug

Schall & Rauch

Ursprünglich waren ein paar sprichwörtliche Bretter, die die Welt bedeuteten, genug. Als Bühne galt im Grunde jede Erhebung, die knapp über das Niveau einer Gehsteigkante hinauskam, der Sichtbarmachung der Auftretenden also eher schlecht als recht diente. Es war die Zeit vor Erfindung des Bühnengrabens, der die Helden der Musik vom Fußvolk abschirmen sollte und Professionisten der Fotografie, kleiderschrankbreiten Security-Beauftragten und dem Notarzt einen sicheren Arbeitsplatz spendierte. Bodychecks durch allfällige Bühnenstoßtrupps aus dem Fansektor wurden – sehr zur Freude der Musiker – ebenso seltener wie daraus resultierende Momente der Gefahr. Wenn die Rettung bei einem Konzert heute zum Einsatz kommt, dann meistens aus dem banalen Grund w. o. gebender Kreisläufe.

Dabei wären auch einstige Bühnen-Standplätze einer Transzendierung des Musikers zum Superstar abträglich und der vom niederschwelligen Auftrittskonstrukt vermittelten Bodenhaftung förderlich gewesen. Mit Konzerten bespielt wurden nicht zuletzt Kolpingheime und Pfarrsäle, in denen Stunden vor Einfall des Rock ’n’ Roll noch Benefiz-Flohmärkte für Trümmerfrauen mit Nierenleiden oder Feste der katholischen Jungschar bei Kuchen und Kakao abgehalten wurden. Die Farbpalette der Laminat- und PVC-Böden lag wenig glamourös im Bereich zwischen trostlosem Alltagsgrau und Nackkriegskackbraun angesiedelt.

Schuld an den weiteren Entwicklungen hatten wieder einmal auch die Rolling Stones. Immerhin wurde diesen angesichts einer außer Kontrolle geratenen Publikumsmasse bei exakt keinen Sicherheitsvorkehrungen erstmals 1969 in Altamont selbst angst und bange. Die Lösung in Form des Stadionrockspektakels ermöglichte es bald, auf festungsgleichen Bühnen und bei keinerlei Kontakt zu den Fans auch den kommerziellen Triumphzug einer Branche zu genießen. Bewegliche Podeste, gut gesicherte Laufstege quer durch den Rasen, Epileptiker gefährdende Videowalls und der monatliche Stromverbrauch einer durchschnittlichen österreichischen Kleinstadt während eines Zweistundenkonzerts standen nun auf dem Programm.

Ein Überbleibsel dieser Ära feiert gerade heute wieder fröhliche Urständ. An Seilen oder auf Hebebühnen und Flugobjekten schwebten zuletzt zahlreiche Mainstream-Acts von der Decke oder an dieser entlang durch die Mehrzweckhalle. Man kann das nun blöd oder unterhaltsam finden – nach einer ähnlichen Show-Einlage von Helene Fischer darin aber auch ein Sinnbild erkennen: für einen Höhenflug, der nun in den Niederungen der Schlagerbranche landet. Wer hätte das gedacht?

(Wiener Zeitung, 22./23.11.2014)

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