Annie Clark alias St. Vincent gastierte in der Wiener Arena
Am Anfang redet uns eine Roboterstimme das
Fotografieren aus. Das passt insofern gut, als die 32-jährige Heldin des Abends
zwar sehr modern klingt, ihr eine gewisse Müdigkeit in Sachen digitales Leben aber
nicht abzusprechen ist. Mit „Digital Witness“ adressiert gleich Song Nummer
zwei auf der Setlist den Zwang, die spannendsten Aspekte des Alltags (Mein
neuestes Muttermal! Burenwurstcarpaccio an Kremser-Senf-Spiegel! Du glaubst, es
ist ein normales Klo, doch dann passiert etwas Unglaubliches!) festhalten und mit
der Weltöffentlichkeit teilen zu müssen. Ausgerechnet heute nach dem Konzert von
Annie Clark alias St. Vincent in der Wiener Arena, wo es eventuell tatsächlich etwas
zu sehen gibt, werden wir das Erlebte also weitergeben müssen wie einst schon die
alten Leute: in echt und mit Worten. Grotesk!
Und apropos: St. Vincent beginnt eine zwischen
Pantomime und Ausdruckstanz angesiedelte Choreografie mit dem vermuteten Titel „Entrückte
Stewardess bei der Sicherheitsinstruktion“ aufzuführen. Im kessen Popart-Kostüm,
mit humanoidgleicher Bewegungsmotorik und überzeichneter Mimik wird nicht nur
musiziert, sondern auch eine Show geboten. Zwischendurch stellt sich die Band
tot oder schlafend. Großes Rätselraten bezüglich der Bedeutung! Mit Annie Clark
auf einen Sockel drapiert, den Boxenturm besteigend oder die Gitarre wie einst Brian
May in den Himmel haltend, darf man aber einen Bruch mit dem männlichen Blick
und die Überspitzung von Klischees assoziieren. Die Inszenierung trifft sich
jedenfalls gut, ist doch auch die Musik von St. Vincent am besten als
verschroben bezeichnet.
Zwar kommen die unkonventionellen Songs bei gedrosselter
Lautstärke und weitgehend als Live-Abbildung
der Studioresultate heute auch gewöhnlich daher. Mit den meisten Wendungen in
den wenigsten Takten und der denkbar eigentümlichsten Saitenbehandlung – wir
hören: Gitarren, die wie Bohrmaschinen klingen und Solos, verspielter als die
Basteltruppe vom Kindergarten – wird zwischen Handwerk und Kunst aber unterhaltsam
dienstgeleistet. Hübsch holpern die Beats und zackig tröten die Bläser. Theatralische
Zwischenspiele, schelmische Popmomente, etwas Soul und letztlich auch noch ein
schwer doomendes Donnerwetter halten den Abend lebendig.
Nicht nur, weil Annie Clark uns Leute aus Vienna,
Austria freundlich in ihre Gemeinde der Freaks aufgenommen hat, fällt das
Resümee – in echt – recht begeistert aus. Nur im Social Media drinnen gibt es
wenig zu sehen.
(Wiener Zeitung, 20.11.2014)
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