Freitag, November 14, 2014

Der Pfad des Pilgers

Yusuf, der Mann, der Cat Stevens war, gab ein Sitzkonzert in der Wiener Stadthalle

Sollte es so etwas wie eine Verkörperung des alten Singer-Songwriter-Topos geben, demzufolge das Leben ein steiniger, aber lohnender Weg ins gelobte Land ist, der den Reisenden als Bußgänger und Suchenden nach spiritueller Erlösung und innerem Seelenheil durch karge Täler, über hohe Berge und hinaus auf die unwirsche See führt, ehe sich bei einer Tasse Kräutertee im Morgengrauen wieder alles einrenken wird – dann, ja dann ist Yusuf unser Mann! In den 60er und 70er Jahren als zarte Folkrockversuchung Cat Stevens für die Damenwelt, nach einem Erweckungserlebnis als Yusuf Islam für den Propheten und seit seinem weltlichen Comeback im Jahr 2006 für die verlorene Seele in uns allen aktiv, geht es exakt um diesen Weg, der kein leichter ist.

Ankommen, Abfahren

In der heute für ein Sitzkonzert vor 4500 Besuchern bestuhlten Stadthalle Wien bietet die Bühnenkulisse das entsprechende Fundament. Und wenn sie als grusicalgleich gestaltete Bahnhofsattrappe auch daran erinnert, dass Yusuf bei seiner letzten Ankunft am selben Ort den Märchenerzähler gab – was heute gottlob nicht wiederholt werden wird! –, assoziiert man wie folgt: Ankommen und Abfahren, Zueinanderfinden und Abschiednehmen. Das Leben als Reise voller Überraschungen und Wendemanöver, verrückt! Aber auch die Straße von Bob Dylan und die Langstrecke der Menschheit zum Frieden der Völker.

Die aktuelle Konzertserie ist nicht von ungefähr „Peace Train … Late Again Tour“ benannt. Der Song „Peace Train“ selbst, heute als hübscher Hadern von 1971 als erste Zugabe gereicht, beschwört immerhin eine diesbezügliche einstige Hoffnung. Für die Verspätung sorgte nun die Wirklichkeit etwa unter den Vorzeichen der Krise. Ob wir heute auch deshalb in der Stadthalle sind, weil sich das Geld auf dem Sparbüchl nicht mehr von alleine vermehrt, oder nicht: Mit aktuellen Songs wie dem von spirituellem Zischen und leisen rituellen Gongs umschmückten „I Was Raised In Babylon“ jedenfalls wird sinnbildlich und deutlich pessimistischer vom Untergang einstiger (Hoch-)Kulturen erzählt. Dramaturgisch umrahmt Yusuf diese Schiene, heute im Blues verwurzelt, mit problembewussten Songs wie dem Jimmy-Reed-Cover „Big Boss Man“ oder dem der Apartheid geschuldeten „Gold Digger“. Auch eine Interpretation Curtis Mayfields mit „People Get Ready“ steht auf dem Programm. Sie kommt mit den Streichern von James Last nur leider im Seniorenmatinee-Remix daher.

Harmonischer Konflikt

Tatsächlich legt Yusuf, sonnenbebrillt, mit akkurat zugespitzter Bügelfalte und fünfköpfiger Band, auch den, nun ja, kämpferischen Teil des Auftritts so an, wie man es von einem Vorbild James Blunts erwarten darf. Ja, dieses Konzert ist eine prächtige, im Midtempobereich schunkelnde und die Nerven insofern wiederum schwer tätschelnde Metapher für den Vorruhestand. Die Gelassenheit des Alters, vorweggenommen bereits im auch heute erklingenden „Father And Son“, dem harmonischsten Generationskonflikt aller Zeiten, unterstreicht diesen Umstand als Welthit aus der Teekesselwerbung auf rührende Weise. Und auch grundsätzlich emphatische, heute aber recht gemächlich und eben in Richtung Rente gedeutete große Songs wie „Wild World“ oder „The First Cut Is The Deepest“, Notizen von jungmännlichem Herzeleid und „Oh Baby!“-technischer Pein, wollen uns jungen Leuten eine erhebliche Lehre sein!

Am Ende dann aber: das Happy End – zumindest inhaltlich. Yusuf streicht „Trouble“, seinen Göttersong für „Harold And Maude“, und landet über „All You Need Is Love“ von den Beatles als muslimischster Alt-Hippie im Herzen bei einem Spaziergang in der Mittagssonne. Die Lobpreisung des Tages. Die Verdammung der Nacht! Dort lauert eine Versuchung, die keinem Bußgänger zumutbar ist.

(Wiener Zeitung, 15./16.11.2014)

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