Freitag, November 28, 2014

Freunde von „Freunden“

Der einst genreprägende Wu-Tang Clan meldet sich nach siebenjähriger Funkstille zurück

Wer viele Freunde hat, der hat ein gutes Leben. Er ist weniger alleine, bekommt mehr zum Geburtstag geschenkt und muss zum Übersiedeln keine Möbelpacker bezahlen. Die Freunde schauen vorbei. Und sie werden es richten.

Heute angeblich schlaue Menschen haben eher wenige Freunde, dafür aber sehr viele „Freunde“. Diese sind zum Beispiel auf Facebook, im Karriereportal oder in den sozialen Netzwerken des echten Lebens zu finden. Sie haben keineswegs die Funktion, dazusein, wenn es einem dreckig geht und man sich ausheulen muss. Nein! Sie sollen dafür sorgen, dass es nicht erst so weit kommt. Netzwerken, „Freunde machen“, eine Hand wäscht die andere. Wer nicht netzwerkt, der fällt durchs Netz – und wird vom System gefressen. Dicke Fische haben es also leichter als solitäre Sardinen.

Aus einer Hand

In Italien wurde die Mafia erfunden, in Österreich die Normalität, in Staten Island der Wu-Tang Clan, das genreprägende Hip-Hop-Kollektiv um Mastermind RZA. Dieser nahm sich einen Haufen Rapper, die andere Rapper kannten, die jemanden kannten, der die richtigen Leute kannte. Dazu gab man sich in Richtung „organized crime“ augenzwinkernde Pseudoynome wie Cappadonna und dehnte die Kerntätigkeit – in diesem Fall das Musikgeschäft – auf andere Branchen aus. Ein angeschlossenes Modelabel etwa trug das Logo des Clans in die Welt. RZA selbst war der Pate. Er produzierte neben den Alben des Clans ursprünglich auch sämtliche Soloarbeiten seiner Mitglieder und Verbündeten – und das im Alleingang. Künstlerische Lorbeeren erhielt die Gruppe für reduzierte, rohe Arbeiten mit zurückgelehntem Flow, kantigen Beats und alten Soulsamples, die vom Alltag auf der Straße im Slang erzählten.

Die erfolgreichen Solokarrieren wurden für das Kollektiv selbst aber bald ebenso zur Gefahr wie der Lebensstil und die persönliche Entwicklung der Mitglieder. Aus Freunden wurden „Freunde“. RZA delegierte die Produktionsarbeit zunehmend, um die Vorzüge der Showbranche als Adabei auch in Film und Fernsehen zu genießen. Die Musik selbst verlor an Gewicht. Mit Olʼ Dirty Bastard starb die markanteste Wu-Tang-Figur 2004 an einer Drogen-Überdosis. Drei Jahre darauf erschien mit „8 Diagrams“ das höflich abgenickte bisher letzte Album des Clans.

Der nun vorliegende Nachfolger hätte bereits zum 20. Geburtstag des Erstlingswerks im Jahr 2013 erscheinen sollen. Öffentlich ausgetragene Richtungsdebatten zwischen RZA und Raekwon, einem der heute acht anderen Arbeitskollegen der Gang, und etwa auch dabei diskutierte finanzielle Fragestellungen verzögerten den Prozess. Einmal ganz abgesehen von der durchgeknallten Idee, ein Album für das Museum zu schreiben, um es später versteigern zu lassen – ohne Mehrwert für Fans, sehr wohl aber für die Pensionsvorsorge des Clans.

Durchhalteparolen

Der stattdessen für uns alle veröffentlichte sechste Studiostreich trägt den Namen „A Better Tomorrow“. Er wird von womöglich selbstreferenziellen Songtiteln wie „Crushed Egos“ einerseits kontrastiert und andererseits von Durchhalteparolen befeuert. Man klopft sich demonstrativ auf die Schultern, behauptet, „still number one“ und immer noch „rough und real“ zu sein. Das stimmt zwar nicht wirklich, Tracks wie die von Rick Rubin unter Beigabe gut ausgeprägter Ennio-Morricone-Referenzen produzierte Single „Ruckus In B Minor“ oder das von RZA selbst collagierte „Pioneer The Frontier“ aber gehen mehr als in Ordnung.

Bei 15 Stücken und einer Spielzeit von einer Stunde und sechs Minuten ist aber auch einiges an Beifang enthalten. Diesbezüglich will man etwa „Miracle“, das wie ein Disney-Musical beginnt und wie eine B-Seite von Linkin Park endet, gleich wieder vergessen. Immerhin soll das bessere Morgen zumindest eine Möglichkeit sein, auch wenn sich der Wu-Tang Clan diesbezüglich mit der eingestreuten „I Have A Dream“-Rede Martin Luther Kings überhebt und das Titelstück als dick auftragende Weltverbesserungshymne daherkommt.

Im Booklet bedanken sich die Clan-Mitglieder übrigens vor allem bei Gott – und ihren Müttern, Kindern und Frauen. Freunde mögen ja etwas Tolles und „Freunde“ soweit in Ordnung sein. Wie aber einst schon der Pate wusste: „A man who doesnʼt spend time with his family can never be a real man!“

WU-Tang Clan: A Better Tomorrow (Warner)

(Wiener Zeitung, 29./30.11.2014)

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