Der einst
genreprägende Wu-Tang Clan meldet sich nach siebenjähriger Funkstille zurück
Wer
viele Freunde hat, der hat ein gutes Leben. Er ist weniger alleine, bekommt mehr
zum Geburtstag geschenkt und muss zum Übersiedeln keine Möbelpacker bezahlen.
Die Freunde schauen vorbei. Und sie werden es richten.
Heute
angeblich schlaue Menschen haben eher wenige Freunde, dafür aber sehr viele
„Freunde“. Diese sind zum Beispiel auf Facebook, im Karriereportal oder in den sozialen
Netzwerken des echten Lebens zu finden. Sie haben keineswegs die Funktion, dazusein,
wenn es einem dreckig geht und man sich ausheulen muss. Nein! Sie sollen dafür
sorgen, dass es nicht erst so weit kommt. Netzwerken, „Freunde machen“, eine
Hand wäscht die andere. Wer nicht netzwerkt, der fällt durchs Netz – und wird
vom System gefressen. Dicke Fische haben es also leichter als solitäre Sardinen.
Aus einer Hand
In
Italien wurde die Mafia erfunden, in Österreich die Normalität, in Staten
Island der Wu-Tang Clan, das genreprägende Hip-Hop-Kollektiv um Mastermind RZA.
Dieser nahm sich einen Haufen Rapper, die andere Rapper kannten, die jemanden kannten,
der die richtigen Leute kannte. Dazu gab man sich in Richtung „organized crime“
augenzwinkernde Pseudoynome wie Cappadonna und dehnte die Kerntätigkeit – in
diesem Fall das Musikgeschäft – auf andere Branchen aus. Ein angeschlossenes
Modelabel etwa trug das Logo des Clans in die Welt. RZA selbst war der Pate. Er
produzierte neben den Alben des Clans ursprünglich auch sämtliche Soloarbeiten
seiner Mitglieder und Verbündeten – und das im Alleingang. Künstlerische Lorbeeren
erhielt die Gruppe für reduzierte, rohe Arbeiten mit zurückgelehntem Flow, kantigen
Beats und alten Soulsamples, die vom Alltag auf der Straße im Slang erzählten.
Die
erfolgreichen Solokarrieren wurden für das Kollektiv selbst aber bald ebenso
zur Gefahr wie der Lebensstil und die persönliche Entwicklung der Mitglieder.
Aus Freunden wurden „Freunde“. RZA delegierte die Produktionsarbeit zunehmend,
um die Vorzüge der Showbranche als Adabei auch in Film und Fernsehen zu
genießen. Die Musik selbst verlor an Gewicht. Mit Olʼ Dirty Bastard starb die
markanteste Wu-Tang-Figur 2004 an einer Drogen-Überdosis. Drei Jahre darauf
erschien mit „8 Diagrams“ das höflich abgenickte bisher letzte Album des Clans.
Der
nun vorliegende Nachfolger hätte bereits zum 20. Geburtstag des Erstlingswerks im
Jahr 2013 erscheinen sollen. Öffentlich ausgetragene Richtungsdebatten zwischen
RZA und Raekwon, einem der heute acht anderen Arbeitskollegen der Gang, und
etwa auch dabei diskutierte finanzielle Fragestellungen verzögerten den
Prozess. Einmal ganz abgesehen von der durchgeknallten Idee, ein Album für das
Museum zu schreiben, um es später versteigern zu lassen – ohne Mehrwert für
Fans, sehr wohl aber für die Pensionsvorsorge des Clans.
Durchhalteparolen
Der
stattdessen für uns alle veröffentlichte sechste Studiostreich trägt den Namen „A
Better Tomorrow“. Er wird von womöglich selbstreferenziellen Songtiteln wie
„Crushed Egos“ einerseits kontrastiert und andererseits von Durchhalteparolen befeuert.
Man klopft sich demonstrativ auf die Schultern, behauptet, „still number one“
und immer noch „rough und real“ zu sein. Das stimmt zwar nicht wirklich, Tracks
wie die von Rick Rubin unter Beigabe gut ausgeprägter Ennio-Morricone-Referenzen
produzierte Single „Ruckus In B Minor“ oder das von RZA selbst collagierte „Pioneer
The Frontier“ aber gehen mehr als in Ordnung.
Bei
15 Stücken und einer Spielzeit von einer Stunde und sechs Minuten ist aber auch
einiges an Beifang enthalten. Diesbezüglich will man etwa „Miracle“, das wie
ein Disney-Musical beginnt und wie eine B-Seite von Linkin Park endet, gleich
wieder vergessen. Immerhin soll das bessere Morgen zumindest eine Möglichkeit
sein, auch wenn sich der Wu-Tang Clan diesbezüglich mit der eingestreuten „I
Have A Dream“-Rede Martin Luther Kings überhebt und das Titelstück als dick
auftragende Weltverbesserungshymne daherkommt.
Im
Booklet bedanken sich die Clan-Mitglieder übrigens vor allem bei Gott – und
ihren Müttern, Kindern und Frauen. Freunde mögen ja etwas Tolles und „Freunde“
soweit in Ordnung sein. Wie aber einst schon
der Pate wusste: „A man who doesnʼt spend time with his family can never be a
real man!“
WU-Tang Clan: A
Better Tomorrow (Warner)
(Wiener Zeitung, 29./30.11.2014)
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