Dienstag, Dezember 02, 2014

„Au“ in Grau

Die britische Musikerin und Autorin Kate Tempest gab ihr Wien-Debüt im Flex

Aktuell hat Kate Tempest zweifelsfrei einen Lauf. Auch wenn sich die Sache mit dem Mercury-Prize für ihr heuer erschienenes Debütalbum „Everybody Down“ – ein Album des Jahres! – leider nicht ausgehen sollte und sich heute im Wiener Flex ein zwar begeistertes, aber doch recht überschaubares Publikum einfindet, darf man sie womöglich als Frau der Stunde bezeichnen.

Die Kunst der 28-jährigen, dank eines mächtigen Akzents hörbar aus Südlondon kommenden Musikerin ist es zum einen, eine Vorkarriere als Poetry Slammerin sowie einen späteren Beruf als zwischen Gedichtband und Theaterbühne mannigfaltig interessierte Autorin ins Reich des Hip-Hop zu überführen, der sich ein hübsches elektronisches Fundament erlaubt. Musik zum Kopfnicken! Zum anderen erzählt Kate Tempest dank einer Sozialisation in der Vorstadt mit all ihren Vor- und vor allem auch Nachteilen problembewusst vom echten Leben, das nicht nur in London sehr oft sehr grau und zu oft zu nass ist, wenn Regen fällt und Tränen kullern.

Rappeln im Karton

Nach einem Ted Hughes Award für die Spoken-Word-Performance „Brand New Ancients“ und ehe die Thematik des auf Storytelling basierenden Debütalbums 2016 mit einem Roman vertieft werden soll, befindet sich Kate Tempest derzeit auf Tour. Im Flex sieht die junge Frau zunächst einmal aus, als wollte sie nur kurz in den Supermarkt gehen, bevor ihr eine Bühne dazwischenkam. Wobei sich dieser Ersteindruck bald zwischen emphatischem Agieren und einem gewaltigen, auf Stakkato gebuchten Wortschwall auflöst. Umrahmt werden die Textlawinen von einer vierköpfigen, teils entfesselten Band mit einem organischen Live-Sound. Es rappelt im Karton und groovt nicht schlecht, während die Elektronik im Vergleich zum Album im Hintergrund bleibt. Zwischen den Stücken aber – und immerhin! – massieren uns schwere Bässe den Bauch.

Auch mit Intermezzi eines feixenden Solovortrags geht es inhaltlich um Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, um Liebe, Sehnsucht und etwa darum, dass die Mieten zu hoch oder die Verhältnisse im Allgemeinen eher oasch sind – und Drogen und Kriminalität nicht nur als statistische Größen existieren. Man muss sich das alles vor braunen Häuserfassaden bei einem Hundewetter im Nebel vorstellen. Am Abend gibt es Fertigessen und davor keinen Spaß. Allerdings schafft es Kate Tempest mit Brandreden über „fucking times“, Menschenwürde und Zusammenhalt wie vor allem mit musikalischen Mitteln ganz wunderbar, das alles für eine gute Vorstellungsstunde zwar nicht vergessen zu machen, aber dagegen anzuspielen. Katharsis, Reinigung, diese Sachen – von denen draußen am Donaukanal nur mehr ein Nachhall bleibt: „I got my hand on my heart. But my heart’s in the gutter!“

(Wiener Zeitung, 3.12.2014)

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