Berlin und
Hamburg sind Deutschlands Pop-Epizentren. Von ihrer historischen Bedeutsamkeit
lassen sich die Städte nicht erdrücken, sondern inspirieren.
Der
Ausgangspunkt ist nach wie vor das Westberlin der 1980er Jahre, in dem die
kreative Mauerbohème ihre
Spielwiese fand. Pop war noch nicht restlos ausdefiniert und an den
künstlerischen Rändern weit davon entfernt, kommerziell vereinnahmt zu werden.
Mit freien Radikalen wie den Einstürzenden Neubauten als stilprägenden Kindern
der Stadt wurde „Hören mit Schmerzen“ gespielt: Musik mit Schneidbrenner,
Vorschlaghammer und Ölfässern, so genial wie gefährlich.
Nick
Cave wohnte ebenso hier wie Iggy Pop und David Bowie, der mit seiner
„Berlin-Trilogie“ um die Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“ gegen Ende der 70er
Jahre bekanntlich drei Meilensteine in seine Diskografie meißelte. Spazierte
man in den letzten Monaten durch die Spree-Metropole, war diese Ära wieder
stärker präsent: Mit einer großen David-Bowie-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau
und Stadtführungen auf den Spuren des Meisters wurde nicht zuletzt an eine Zeit
erinnert, die bis heute nachwirkt – und von einer Bewegung abgelöst wurde, von
der man das Gleiche behaupten muss: Immerhin ist Techno in den Clubs
omnipräsent, seit er rund um den Mauerfall zum Herzschlag einer Phase des
Aufbruchs wurde. Vorweggenommen in den 70er Jahren von Kraftwerk in Düsseldorf,
weiterentwickelt und als energetische Tanzmusik für niemals endende Nächte
zelebriert in Berlin.
Dass
das große „Nts-Nts“ als der deutschen Formenstrenge entsprechender
Viervierteltakt nach wie vor funktioniert und Berlin dadurch einen
Party-Tourismus erfährt, der in Sachen Umwegrentabilität den Umsatz
verschiedenster Wirtschaftszweige unterstützt, ist zumindest aus zwei Gründen
erstaunlich. Zum einen kann vom Aufbruchsgeist der Anfangstage als
Multiplikator heute nicht mehr die Rede sein – es war die Zeit der
leerstehenden Keller und Bunker, die damals noch leicht okkupiert werden
konnten. Zum anderen drohte Techno auch über die Loveparade als baldige
Massenbewegung in den 90er Jahren ein jähes Ende. Konsequente Nischenarbeit
abseits des Mainstreams lieferte die Daseinsberichtigung und sorgte nicht
zuletzt mit slicken Minimal-Sounds für ein Revival.
Die
Gefahr, von der Vergangenheit in die Musealisierung, die Nostalgie und den
künstlerischen Stillstand gedrängt zu werden, ist im Pop zwar heute größer denn
je. Dass mit dem Berghain einer der international renommiertesten Clubs a) aus
Berlin und b) vom Techno her kommt, darf aber als Demonstration gesehen werden,
wie man sich von der eigenen Geschichte nicht erdrücken, sondern sich von ihr
inspirieren lassen kann. Schließlich gilt der am alten Ostbahnhof gelegene Club
in Zeiten der geforderten Totaltransparenz als kontrastreich enigmatisch,
während er mit einem Hang zur Ausschweifung jedweder Art und der Bespielung
eines ehemaligen Heizkraftwerks an zentrale Ursprungsgedanken der Szene
anknüpft – und mit Konzerten großer Gitarrenaltvorderer wie etwa Michael Gira
und seiner Band Swans dennoch Kunst über Genredogmen stellt. Das ist ein Hit.
Und hat zur Folge, dass etwa auch Radiohead-Mann Thom Yorke mit seinem Projekt
Atoms For Peace vorbeischaut, wenn es gilt, ein neues Album mit selektierten
Auftritten zwischen London, Paris und New York vorzustellen.
Auch
weil Berlin als im internationalen Vergleich „leistbare“ Metropole ungebrochen
Zulauf von Künstlern erhält, die von der neuen Wahlheimat nicht nur Inspiration
erwarten, herrscht längst ein zur Zeit passendes buntes Nebeneinander aller
Genres, das auch ohne kleinsten gemeinsamen Strömungsnenner auskommt und den
Produktionsort nicht weiter als solchen erkennbar macht. Ähnlich wie bei David
Bowie („Die Mauer im Rücken so kalt …“) als Sujet in der Musik diente Berlin
zuletzt noch am ehesten den „Dancehall-Caballeros“ von Seeed und deren
Frontmann Peter Fox, die „das dicke B“ mit kritischen Würdigungen bedachten.
Oder bei den Acts des Labels Aggro Berlin, die Formalismen des US-Gangsta-Rap
in den Nullerjahren zweifelhaft auf soziale Brennpunkte zwischen Kreuzberg,
Neukölln und Moabit übertrugen.
Mit
einem Geflecht von mehr als 500 Labels erklärt Berlin in Zeiten schwindender
Erträge aus dem Musikgeschäft aber auch seine Beschreibung als „arm, aber
sexy“. Dass der scheidende Bürgermeister Klaus Wowereit mit dem ehemaligen
Labelbetreiber Tim Renner heuer einen Mann aus dem Pop-Umfeld als
Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten installierte, darf entsprechend
als Zeichen betrachtet werden. Schließlich steht die Musikwirtschaft Berlins
mit knapp 12.500 Beschäftigen im Jahr 2012 auf Platz eins in Deutschland, was
die Arbeitsplätze betrifft – ein Anteil von 63 Prozent an Selbstständigen und
frei Beschäftigten allerdings unterstreicht die Eigenwilligkeiten der Branche
und ihre mitunter prekäre Basis.
Die
prekäre Basis und die „Umstände“ da draußen dominieren das Popgeschehen
Hamburgs bereits seit den 70er Jahren vergleichsweise vordergründig. Die
bürgerliche Stadt bietet Reibungsflächen genug, um eine Hausbesetzerszene
ebenso unfreiwillig zu fördern wie ein agitierendes Songwriting mit politischem
Ausdruck und geballter Faust. Aussage statt Hedonismus, Kampf statt Flucht!
Zwar war die Hansestadt früh mitten im popkulturellen Mainstream angelangt, als
nach Jahrhunderten des Handelsimports von Salz aus Frankreich und Portugal
plötzlich die Beatles mit dem Düsenjet aus Liverpool kamen. Das popkulturelle
Herzstück Hamburgs war und ist aber in der Gegenkultur zu finden. Bands wie Die
Goldenen Zitronen, die Punk letztlich ins Theater brachten und mit dem Golden
Pudel Club eine nächtliche Fixadresse im Stadtleben verankerten, sowie vor
allem die Vertreter der Hamburger Schule der 90er Jahre stoßen
generationsübergreifend bis heute auf offene Ohren. Immerhin standen die
Letztgenannten mit deutschen Texten über Befindlichkeiten des jung-erwachsenen
Individuums in einem als beengend empfundenen „System“ für eine zeitlos gültige
Mischung. Die Sterne verliehen den Inhalten einen tanzbaren Groove, Tocotronic
schrammelten und schrubbten, bevor es in Richtung Kunstrock ging, und Blumfeld
wechselten von lyrisch umrahmten Klirrgitarren zu teils verwirrend-wunderbarem
Schlagerpop mit Haltung. Dass sich heute debütierende, blutjunge Gitarrenbands
an diesem Erbe orientieren, gibt den Altvorderen recht. Wobei eine neue
Generation mit Bands wie etwa den angriffigen 1000 Robota oder Trümmer, die der
Tristesse des Alltags mit ausgestellter Euphorie begegnen, hörbar eigene
Akzente setzt.
Die
kommerzielle Seite des „Systems“ markiert in Hamburg nicht nur der Hauptsitz
von Warner Music Germany in der Hafencity. Mit 664 Millionen Euro im Jahr 2012
liegt die Musikwirtschaft der Stadt in Sachen Umsatz sogar vor Berlin. Wobei
man mit Indigo auf einen der letzten wichtigen Indie-Vertriebe Deutschlands
ebenso verweisen kann wie auf alteingesessene Labels wie Buback, die in loyaler
Partnerschaft mit ihren Künstlern gewachsen sind.
(Wiener Zeitung / Atlas, 8.11.2014)
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