Mittwoch, November 05, 2014

Mit dem Traumschiff durch den Wilden Westen

Neil Young, jetzt neu mit geriatrischen Streichern und der Big Band aus „Dancing Stars“  

Erstmals hingewiesen auf ein nächstes neues Album wurde man von Neil Young zuletzt auf der Tournee, die ihn im Juli auch in die Wiener Stadthalle führte. Mit dem nicht nur klanglich unter Strom stehenden, in Sachen nachhaltig-ökologische Lebensführung zugunsten einer möglichen nächsten Generation Mensch auf Mutter Erde gegen die Ölmafia und etwa auch die hausgemachte Zerstörung von Flora und Fauna gerichteten Song „Who’s Gonna Stand Up“ schien sich der Meister wieder auf den kämpferischen Stromrock der Sorte „Rockinʼ In The Free World“ zu konzentrieren. Im polternd-stampfenden, zornig-harmonischen Garagensound war daran erinnert, dass man, wenn etwas zum Himmel stinkt, schon einmal mit dem Stinkefinger antworten darf. Wobei Young letztlich eh das friedlich-gemeinschaftliche Eintreten für eine Sache beschwor und nicht dessen österreichische Version als „Schleicht’s eich!“, für die es in Ameriga wiederum eigens das F-Wort gäbe.

Überraschend war dieser Vorbote jedenfalls insofern, als Young seit 2012 bereits drei weitere neue Studioalben veröffentlicht hat und er sowohl als Unternehmer mit seinem Downloadservice „Pono“ als auch mit den gedruckten Memoiren „Special Deluxe“ heuer – zusätzlich zur erwähnten Live-Tätigkeit – mehr als gut beschäftigt gewesen sein musste. Seit drei Jahren sämtlicher Laster und Süchte zwischen Hopfen, Malz und sedierender Rauchware überdrüssig, hat der Mann offenkundig zu neuer Energie gefunden. Andererseits erklärte die Nachricht von seinem Ehe-Aus nach 36 Jahren im Sommer, dass hier auch jemand schwer kompensieren dürfte.

Das Schmalz rinnt

Das soeben veröffentlichte Album „Storytone“ überrascht folgerichtig ein weiteres Mal, indem es nicht den angriffigen Live-Gestus von „Who’s Gonna Stand Up“ weiterführt, sondern, mitunter in Nostalgie versunken, die Licht- und Schattenseite der Liebe reflektiert. Musikalisch hat Young dafür ein 92 Mann starkes Orchester plus Chor sowie eine auf Las Vegas gestimmte Big Band gebucht.

Zwischen ätherischen Bläsern und geriatrischen Streichern, die wahlweise nach James Last oder André Rieu klingen, die Helene Fischer dabei helfen, dem neuesten Disney-Film einen Hit zu verleihen, rinnt einem das Schmalz aus den Ohren. Die Ergebnisse hören sich nicht zuletzt zu gelegentlich verbreiteter Prärie-Harmonik so an, als würde das Traumschiff nun den Wilden Westen bereisen. Dazwischen entführt die Big Band in den Entertainmentbereich unter Deck, um die größten Hits von Max Greger mit den Musikern aus dem „Dancing Stars“-Studio nachzuspielen. Neil Young selbst lenkt dazu an der angebluesten Gitarre davon ab, dass er nicht ganz so sinatrisch ist, weil ihm neben der Stimme heute auch der Alkohol fehlt. „Tumbleweed“ bringt in seiner Weihnachtsmatineestimmung etwas Licht ins Dunkel. „When I Watch You Sleeping“ und „All Those Dreams“ wiederum knüpfen gegen Ende etwas versöhnlicher an den zärtelnden Schunkelfolk Youngs aus der „Harvest Moon“-Phase an.

CD Nummer zwei bietet die zehn Songs dann noch als im kargen Solovortrag dargereichte Demoskizzen, die teils ebenso rührend sind wie durchwegs nur für getreue Apostel geeignet. Die Kirche des Neil Young? Eine Gemeinde, die nicht mehr um Kundschaft buhlt.

Neil Young: Storytone (Warner)

(Wiener Zeitung, 6.11.2014)

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