Alejandro Ghersi
alias
Arca gilt als Produzent der Stunde. Nun
liegt sein Debütalbum vor.
Dem
Mann ist ein Traumstart in die Karriere gelungen. Im Alter von erst 24 Jahren kennt
die breite Öffentlichkeit Arca zwar noch nicht. In Szenekreisen seit seinem
Auftauchen als Enigma durch sämtliche Watch-Lists geisternd, geht es in einem
nur als arty zu bezeichnenden Umfeld aktuell aber Schlag auf Schlag: Nach
seiner Produktions- und Schreibarbeit für die Neo-R&B-Adeptin FKA twigs und
somit die Pop-Debütantin des Jahres wurde kurz vor der Veröffentlichung seines
eigenen Erstlingswerks „Xen“ auf Mute Records immerhin auch bekannt, dass der
aus Venezuela stammende Wahl-Londoner mit Björk am Nachfolger ihres Albums
„Biophilia“ von 2011 arbeiten durfte. Wer die Meisterin kennt, weiß dieses
„Engagement“ richtiger als Adelsschlag zu bezeichnen.
Bereits
2013 wurde der als Alejandro Ghersi geborene Produzent, über den somit auch
schon fast alle bisher bekannten biografischen Infos verlautbart wären, von
Kanye West für vier Songs seiner behaupteten Großtat „Yeezus“ gebucht. Damals
lagen von Arca gerade einmal drei EPs vor. Neben einem Mixtape sind in der
Zwischenzeit noch audiovisuelle Gemeinschaftsarbeiten mit Video-Künstler Jesse
Kanda entstanden. Mit diesem frühen Jugendfreund stellt der Musiker nun ein
multimediales Kreativ-Joint-Venture, das die New Yorker Kunstszene aufzumischen
gedenkt und etwa bereits im MoMa PS 1 arbeiten durfte. Es hat also nicht nur
ästhetische Gründe, dass man bei einem Besuch auf Arcas Homepage an Chris
Cunningham denken darf, der mit Aphex Twin dem State-of-the-Art-Elektroniker
seiner Zeit gruselige Videos maßschneiderte, um ihm ein visuelles Image zu
verleihen. Für die Soloarbeiten Arcas greift Kanda auf gleichfalls
albtraumtaugliche Sujets zurück, die etwa Alien-Föten inkludieren – wenn er
nicht, wie im Video zur Single „Thievery“, gerade eine nackte Animationsfigur
im schwärzesten Nachtschwarz twerken lässt. Das passt. Schließlich sind die 15
Tracks, die Arca in nur 39 Spielminuten kredenzt, in ihrem flüchtigen Charakter
ebenso unfassbar wie bisweilen unfassbar unheimlich.
Zwar
lässt der Produzent mit filmmusiknäheren Passagen zu beinahe klassisch
arrangierten (Keyboard-)Streichern frei nach Alfred Hitchcock („Family
Violence“) oder, geeignet für Kamerafahrten über die weite amerikanische Weite
mit ihren Flüssen und Kratern und Pferdewägen („Wound“), auch zarte,
vergleichsweise organische und soweit nicht ungewöhnliche Elemente zu. Zu
schwer gehäckselten und collagenhaft aneinandergesetzten Loops, die metallisch
schleifen und dampfend brodeln, wird im Kern der Arbeit aber kaum bis gar keine
Melodie bevorzugt, zu der sich die windschiefen Beats nicht selten als
Schicksalsschläge erweisen. Die Stücke machen „Zusch, zosch – kaläng!
Iiits-sipper. Tschok!“ und bieten wenig, woran man sich festhalten könnte. Die
Sounds mutieren munter und entschwinden wie Sand, der durch die Finger läuft.
Den Hallraum auslotend ist alles in Auflösung begriffen.
Manchmal
hört sich ein Keyboard wie ein Zupfinstrument aus dem Regenwald an, das sich
für Tears For Fears zu einem Synthesizer umoperieren möchte. Die aufblitzenden
Melodien klingen nicht selten, als hätte sich jemand verspielt. Bei „Bullet
Chained“ darf man an einen Haufen Radaubrüder denken, der das Industrieviertel
mit dem Baseballschläger aufräumen geht. Danach spielt ein Synthesizer
Euro-Trash auf Crystal Meth. Ganz grundsätzlich ist zu sagen, dass die
Betriebstemperatur der Tracks im Bereich einer Tiefkühltruhe liegt – die am
Nordpol im ewigen Eis versenkt wurde.
Auch
eingedenk der Beschäftigung Arcas mit Geschlechteridentität stehen die Chancen
also gut, dass man diese Musik schon am nächsten Donaufestival in Krems live
erleben könnte. Nur der Marktwert sollte durch Björk jetzt bitte nicht gleich
ins Absurde steigen.
Arca: Xen (Mute Records)
(Wiener Zeitung, 5.11.2014)
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