Dienstag, November 04, 2014

Zusch, zosch – kaläng!

Alejandro Ghersi alias Arca gilt als Produzent der Stunde. Nun liegt sein Debütalbum vor.

Dem Mann ist ein Traumstart in die Karriere gelungen. Im Alter von erst 24 Jahren kennt die breite Öffentlichkeit Arca zwar noch nicht. In Szenekreisen seit seinem Auftauchen als Enigma durch sämtliche Watch-Lists geisternd, geht es in einem nur als arty zu bezeichnenden Umfeld aktuell aber Schlag auf Schlag: Nach seiner Produktions- und Schreibarbeit für die Neo-R&B-Adeptin FKA twigs und somit die Pop-Debütantin des Jahres wurde kurz vor der Veröffentlichung seines eigenen Erstlingswerks „Xen“ auf Mute Records immerhin auch bekannt, dass der aus Venezuela stammende Wahl-Londoner mit Björk am Nachfolger ihres Albums „Biophilia“ von 2011 arbeiten durfte. Wer die Meisterin kennt, weiß dieses „Engagement“ richtiger als Adelsschlag zu bezeichnen.

Bereits 2013 wurde der als Alejandro Ghersi geborene Produzent, über den somit auch schon fast alle bisher bekannten biografischen Infos verlautbart wären, von Kanye West für vier Songs seiner behaupteten Großtat „Yeezus“ gebucht. Damals lagen von Arca gerade einmal drei EPs vor. Neben einem Mixtape sind in der Zwischenzeit noch audiovisuelle Gemeinschaftsarbeiten mit Video-Künstler Jesse Kanda entstanden. Mit diesem frühen Jugendfreund stellt der Musiker nun ein multimediales Kreativ-Joint-Venture, das die New Yorker Kunstszene aufzumischen gedenkt und etwa bereits im MoMa PS 1 arbeiten durfte. Es hat also nicht nur ästhetische Gründe, dass man bei einem Besuch auf Arcas Homepage an Chris Cunningham denken darf, der mit Aphex Twin dem State-of-the-Art-Elektroniker seiner Zeit gruselige Videos maßschneiderte, um ihm ein visuelles Image zu verleihen. Für die Soloarbeiten Arcas greift Kanda auf gleichfalls albtraumtaugliche Sujets zurück, die etwa Alien-Föten inkludieren – wenn er nicht, wie im Video zur Single „Thievery“, gerade eine nackte Animationsfigur im schwärzesten Nachtschwarz twerken lässt. Das passt. Schließlich sind die 15 Tracks, die Arca in nur 39 Spielminuten kredenzt, in ihrem flüchtigen Charakter ebenso unfassbar wie bisweilen unfassbar unheimlich.

Zwar lässt der Produzent mit filmmusiknäheren Passagen zu beinahe klassisch arrangierten (Keyboard-)Streichern frei nach Alfred Hitchcock („Family Violence“) oder, geeignet für Kamerafahrten über die weite amerikanische Weite mit ihren Flüssen und Kratern und Pferdewägen („Wound“), auch zarte, vergleichsweise organische und soweit nicht ungewöhnliche Elemente zu. Zu schwer gehäckselten und collagenhaft aneinandergesetzten Loops, die metallisch schleifen und dampfend brodeln, wird im Kern der Arbeit aber kaum bis gar keine Melodie bevorzugt, zu der sich die windschiefen Beats nicht selten als Schicksalsschläge erweisen. Die Stücke machen „Zusch, zosch – kaläng! Iiits-sipper. Tschok!“ und bieten wenig, woran man sich festhalten könnte. Die Sounds mutieren munter und entschwinden wie Sand, der durch die Finger läuft. Den Hallraum auslotend ist alles in Auflösung begriffen.

Manchmal hört sich ein Keyboard wie ein Zupfinstrument aus dem Regenwald an, das sich für Tears For Fears zu einem Synthesizer umoperieren möchte. Die aufblitzenden Melodien klingen nicht selten, als hätte sich jemand verspielt. Bei „Bullet Chained“ darf man an einen Haufen Radaubrüder denken, der das Industrieviertel mit dem Baseballschläger aufräumen geht. Danach spielt ein Synthesizer Euro-Trash auf Crystal Meth. Ganz grundsätzlich ist zu sagen, dass die Betriebstemperatur der Tracks im Bereich einer Tiefkühltruhe liegt – die am Nordpol im ewigen Eis versenkt wurde.    

Auch eingedenk der Beschäftigung Arcas mit Geschlechteridentität stehen die Chancen also gut, dass man diese Musik schon am nächsten Donaufestival in Krems live erleben könnte. Nur der Marktwert sollte durch Björk jetzt bitte nicht gleich ins Absurde steigen.

Arca: Xen (Mute Records)

(Wiener Zeitung, 5.11.2014)

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