Dienstag, November 25, 2014

Schnell dran – mit Verspätung

Nach langem Hin und Her ist das Debütalbum von Azealia Banks erschienen

Sowohl im Internet als auch in der Presse wird Azealia Banks nicht selten als Troll bezeichnet. Das hat damit zu tun, dass sich die Frau nicht zuletzt mit harschen Instantpostings auf Twitter exakt kein Blatt vor den Mund nimmt. Dass sie es sich als neuester heißer Scheiß von 2011 nicht nur mit der Musikindustrie, sondern auch mit ihren unmittelbaren Arbeitskollegen verscherzte, führte nur folgerichtig dazu, dass die Öffentlichkeit sie zwar beim Scheitern beobachten durfte, dafür aber kein Album zu hören bekam. Wenn Gossip vor Musik kommt, handelt es sich meistens um Pop.

Auf die Barrikaden

Nicht vergessen werden sollte dabei, dass der 1991 in Harlem geborenen Sängerin die Kampfeslust auch als Schutzschild in die Wiege gelegt wurde. Als sie zwei Jahre alt war, starb ihr Vater an Krebs. Vor ihrer als gewalttätig beschriebenen Mutter trat Banks die Flucht im Alter von 14 Jahren an. Unter Obhut ihrer älteren Schwester wurde ein frühes Interesse am Musical bald für erste Karriereschritte genutzt. Es folgten off-Broadway-Auftritte, der Beginn der heimatlichen Songproduktion mit Veröffentlichung auf Myspace sowie die Beendigung des Bildungsweges per Schulabbruch. Mit 17 Jahren hatte Azealia Banks immerhin einen Vertrag mit XL Recordings in der Tasche, der sie nach London führte – wo sie allerdings gegen die Produktionsarbeit des Labelchefs Richard Russell auf die Barrikaden ging, um wenig später (und ohne Album) wieder nach New York fliegen zu „dürfen“. Dort nahm Banks auch Jobs in Stripclubs in Kauf, um über die Runden zu kommen.

Mit im Netz zur Verfügung gestellten weiteren Songs machte sie neben einer wachsenden Fangemeinde schließlich aber auch das Majorlabel Universal Music auf sich aufmerksam. Es kam zum Vertragsabschluss. Und beinahe wäre die Zusammenarbeit auch gut gegangen. Ein dritter Platz im „BBC Sound Of 2012“-Poll etwa kurbelte den Karrieremotor weiter an, den Banks erst mit großem Aufwand wieder abwürgen musste. Auf Twitter geäußerte homophobe Zwischentöne, die die Musikerin nicht als solche verstanden haben wollte, und öffentliche Unmutsbekundungen über Projektpartner, die ihr eigentlich den Durchbruch garantieren sollten – darunter auch Big Player wie Pharrell Williams – führten zur Trennung, noch bevor das Debütalbum erscheinen konnte. Mit dem programmatischen Titel „Broke With Expensive Taste“ kam es nun endlich im Eigenverlag auf den Markt, der nur mehr bedingt darauf wartete. Ein 30. Platz in den US-Billboard Charts ging sich aus.

Sprechdurchfall

Überraschender angesichts der 16 innerhalb einer Spielstunde gereichten Tracks ist womöglich, dass es die (US-)Kritik gar nicht so schlecht damit meint – hört man dem Gesamtergebnis seine Entstehungsgeschichte trotz einiger Talentproben doch deutlich an. Mit teils eindringlicher, auch auf hektische Rap-Stakkatos gebuchter Vokalakrobatik (wie etwa im angriffigen und – wie zahlreiche andere Songs bereits vorab bekannten – „212“) und auch in der Beatgestaltung weitgehend gewinnend, werden zumindest teils auf „arty“ gestimmte Ansätze letztlich hin zum böllernden Einheitssound aus der Blitzhütte gebogen. Davor schlau behandelte Nachwehen elektronischer Clubmusiken verdunsten zu heißer Luft. Ein schlechter Witz, als es mit der Ariel-Pink-Kollaboration „Nude Beach A Go-Go“ zu einem Surf-Rock-Zwischenspiel kommt, oder anderswo ein Salsa-Intermezzo eher ratlos wirkt. Den Morbus „Fuck! Bitch! Nigger!“ erklärt Banks wiederum mit einem störrischen Kunst-Alter-Ego namens „Yung Rapunxel“, das nicht beißt, sondern eh nur bellt. Vielleicht war auch dieses für den Sprechdurchfall von Twitter verantwortlich.

Letztlich bleibt die Erkenntnis: Früher war das zweite Album die Nagelprobe, heute kann diese Rolle schon das Debüt übernehmen. Eine Beschleunigung, die manchmal zu Verspätungen führt.       

Azealia Banks: Broke With Expensive Taste (Azealia Banks / Prospect Park)

(Wiener Zeitung, 26.11.2014)

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