Mittwoch, Dezember 31, 2014

Neugier mal Angst

Ob man will oder nicht, man kommt ihm nicht aus. Der Trend gibt den Weg vor – und wir müssen mit.

Trends kommen und gehen. So viel steht fest. Nur woher und wohin – und was überhaupt zu dieser Bewegung führt –, ja, das wäre jetzt interessant.

Gehen wir einmal davon aus, dass der Trend heute viele Gesichter hat, also mit zu großer Brille und Vollbart, als Rubrik in der Zeitschrift beim Friseur mit Pumps oder Nagellack oder Handtaschen oder der Kim Kardings vom Baumeister Lugner, als Entwicklung am Geschäftsfeld des Besserverdienerautos (der Markt in China zieht an!), als Schaumkrönchen auf dem Garnelenrisotto im Haubenlokal oder in der Trendbar mit einer Gurkenscheibe im Gin Tonic daherkommt, so sind seine modernen Ausformungen als Modeerscheinung im Vergleich zu den Ursprüngen doch ziemlich banal. Als Mittel der Beschreibung von Veränderungen, das selbst wiederum etwas in Bewegung bringt, waren Trends einst immerhin nichts weniger als überlebensnotwendig. Die Beobachtung des Wetters zum Beispiel, für längerfristige Vorkehrungen an Lostagen, für den unmittelbaren Lauf der Dinge an Fauna und Flora festgemacht – und etwa in Form von Bauernregeln tradiert –, verhinderte Ernteausfälle und beugte dem fatalen Umstand vor, sich bei einer Gebirgsüberquerung in einem tot machenden Sauwetter wiederzufinden. All das war damals noch wesentlich wichtiger als zum Beispiel die Frage, ob sich der Nachbarbauer einen Gamsbart auf den Hut gesteckt hat oder sein Walkjanker nun grün, rot oder grau ist.

Visionäre Fehlprognosen

Hilfsmittelchen und -medien sowie Personen mit entsprechender Gabe oder Ausbildung zur Vorausschau sind dabei so alt wie die Menschheit selbst. Wobei es vom Orakel oder dem Seher, der die Leber las, sowie auch von den Propheten und Predigern über das Murmeltier Phil aus Punxsutawney oder Paul, die Krake von der Fußballweltmeisterschaft 2010, bis hin zum Zukunftsforscher Matthias Horx und seinen Referaten für die Entscheidungsträger von der Management-Etage ein langer und steiniger Weg war – und mitunter noch immer ist.

Zumindest solange es eine Zukunft gibt (oder wir an eine solche glauben), gibt es auch Trends. Und abgesehen davon, dass diese mit sehr viel Glück etwa aufgrund der Tatsache eingeschätzt werden können, dass die Zukunft nicht nur aus dem Gestern und Heute besteht, weil irgendwann alles wiederkommt (Vokuhilas, Amerika vs. Russland, garnierte Schinkenrolle mit Ei, die Eiszeit): Selbst Entwicklungen, die von Visionären ihrer jeweiligen Zunft falsch eingeschätzt wurden, haben einen Sinn. Und sei es nur der, uns nachträglich zu erheitern. Man denke an den Mathematiker und Astronomen Simon Newcomb zu Beginn des 20. Jahrhunderts („Mit Maschinen durch die Luft zu fliegen ist absolut unmöglich“) oder Thomas Watson, den IBM-Vorsitzenden von 1943 („Ich denke, es gibt weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer“). Irgendjemand wird auch behauptet haben, dass das Internet keine Zukunft hat. Andere (vermeintliche) Fehleinschätzungen wiederum waren so visionär, dass sie einen Entwicklungssprung übersahen, um nach diesem erst recht wieder zu stimmen. „Wer braucht eigentlich diese Silberscheibe?“, so wird beispielsweise der ehemalige Philips-Vorstand Jan Timmer sowohl vor dem Siegeszug der CD als somit auch vor jenem des MP3-Formats zitiert.

Jung vs. Alt

Ja, auch der genauesten Beobachtung zum Trotz gelten die meisten Trends als schwer bis gar nicht prognostizier- oder berechenbar. Vergleichsweise sicher ist, woraus sie bestehen und wovon sie befeuert werden: Eine zugrundeliegende Formel könnte „Neugier mal Angst“ lauten. Einerseits einmal fallen Trends dort auf fruchtbaren Boden, wo das Leben und die Entdeckungslust zu Hause sind. Wer noch nichts kennt, wird alles (wenn auch nur vorgeblich) Neue als aufregend begrüßen. Hungrige junge Menschen voller Hoffnung und Zuversicht auf ein freudiges Morgen der Chancen gelten dem Trend folgerichtig als willfährige Opfer, während die Trendresistenz mit zunehmendem Alter auch deshalb zunimmt, weil man bereits alles kennt und erlebt hat – oder sich das zumindest einredet und niemand zu widersprechen traut. Entsprechende Erinnerungen laufen schwarz-weiß flimmernd vor dem geistigen Auge ab. Die Wiederholung als Farce mit den ewiggleichen Themen und immer denselben Fehlern, die nur von anderen sich überlegen fühlenden Protagonisten wiederholt werden dürfen. Das Abstumpfen der Eroberungsfreuden! Und dazu die Einschätzung, dass vom Leben nichts mehr zu erwarten ist – außer dem Nichts: „Wir werden es nicht mehr erleben, aber …“. Von Karl Valentin ist in diesem Zusammenhang auch ein schönes Zitat überliefert: „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist!“

Geografisch betrachtet wiederum gilt die Großstadt mitsamt ihren Scouts und Settern als Heimat des Trends, dem man am Land nicht selten mit Spott, Hohn und Ignoranz begegnet. Dort beliebte Sätze enden als Manifeste der Verweigerung mit Ruf- oder Fragezeichen, heißen „Brauch man net!“ oder „Wie schaust’n du aus?“ und sollen zum Ausdruck bringen, dass man nicht so gerne mag, was nicht ist, wie es immer war. Bewegung bedeutet schließlich auch im politischen Österreich oft maximal einen zu Fuß absolvierten Halbstock in den Sitzungssaal und nicht die dort eigentlich zu beweisende Fähigkeit, exklusiv auf die eigene Klientel maßgeschneiderte Positionen für einen höheren Zweck aufzugeben. Es reicht, Herrschaftszeiten, noch einmal, dass man sich mit neuen Trends zu beschäftigen hat. Man muss deshalb nicht auch noch „ja“ dazu sagen!

Zur Sicherheit

Gemeinhin also ist Österreich für den Trend, was die Rolling Stones oder AC/DC für den Rock ’n’ Roll sind. Alles bleibt beim Alten. Veränderungen sind schlecht, neue Einflüsse furchtbar, ein Skandal, ja, gefährlich – vor allem für die Identität! Halb Amiland (also minus das dortige Hintertupfing) und fast ganz Berlin mögen in Sachen Trend ja eine Rolle erfüllen, die Madonna für die Popmusik einnehmen will – die des Staubsaugers für zumindest angeblich Neues und die des scheinbaren Ebenbilds eines Nicht-Stillstandes. Aber warum in Dreiteufelsnamen auf den Zug aufspringen, wenn man auch mit größtmöglichem Sicherheitsabstand gemütlich beobachten kann, wie die anderen scheitern, um es nachher besser gewusst zu haben? Das ist Brutalität: Ein Kampf der Angst, Scharlatanen und bald überholten Moden anheimgefallen als Narr dazustehen, gegen den eigentlichen, den unbedingten Kernantrieb des Trends – die Befürchtung, nicht mehr mithalten zu können und bei Gesprächen abends an der Bar keine Ahnung zu haben, worum es überhaupt geht. Was heute aufgrund der allgemeinen Beschleunigung definitiv noch deutlich vor der Pension möglich ist!

Ob die bunten Blätter mit der Mèchen-Watchlist, der Werbefolder für die Folgesaison oder der Portfolioratgeber aus dem Finanzressort der epischen Tagespresse – die Funktion war und ist immer die Gleiche: Trends bringen Ordnung in den Überfluss, nehmen Arbeit ab und spenden dem Herdentier ein klein wenig Sicherheit. Sie setzen Impulse und zwingen uns zur Beschäftigung mit ihnen, was mit „Trending Topics“ in den Social-Media-Kanälen in Form zusätzlich messbarer, digitaler Stammtischgespräche prächtig vorgeführt wird, während uns die Algorithmen auch ganz von allein erklären, was wir wirklich wollen: „Wer das Nockalm Quintett mag, dem könnten auch die Zillertaler Kasspatzn gefallen.“

Dem Trend kommt keiner aus. Dabeisein ist alles, auch wenn man gar nicht dabei sein will. Zumindest ein bisschen seinen Senf dazugeben und kommentierend hineinstochern ins Thema, nein, zumindest das kann man gar nicht nicht wollen.

(Wiener Zeitung, 31.12.2014/1.1.2015)

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