Ob man will oder
nicht, man kommt ihm nicht aus. Der Trend gibt den Weg vor – und wir müssen
mit.
Trends
kommen und gehen. So viel steht fest. Nur woher und wohin – und was überhaupt zu
dieser Bewegung führt –, ja, das wäre jetzt interessant.
Gehen
wir einmal davon aus, dass der Trend heute viele Gesichter hat, also mit zu
großer Brille und Vollbart, als Rubrik in der Zeitschrift beim Friseur mit
Pumps oder Nagellack oder Handtaschen oder der Kim Kardings vom Baumeister
Lugner, als Entwicklung am Geschäftsfeld des Besserverdienerautos (der Markt in
China zieht an!), als Schaumkrönchen auf dem Garnelenrisotto im Haubenlokal
oder in der Trendbar mit einer Gurkenscheibe im Gin Tonic daherkommt, so sind seine
modernen Ausformungen als Modeerscheinung im Vergleich zu den Ursprüngen doch ziemlich
banal. Als Mittel der Beschreibung von Veränderungen, das selbst wiederum etwas
in Bewegung bringt, waren Trends einst immerhin nichts weniger als
überlebensnotwendig. Die Beobachtung des Wetters zum Beispiel, für
längerfristige Vorkehrungen an Lostagen, für den unmittelbaren Lauf der Dinge
an Fauna und Flora festgemacht – und etwa in Form von Bauernregeln tradiert –,
verhinderte Ernteausfälle und beugte dem fatalen Umstand vor, sich bei einer
Gebirgsüberquerung in einem tot machenden Sauwetter wiederzufinden. All das war
damals noch wesentlich wichtiger als zum Beispiel die Frage, ob sich der
Nachbarbauer einen Gamsbart auf den Hut gesteckt hat oder sein Walkjanker nun grün,
rot oder grau ist.
Visionäre Fehlprognosen
Hilfsmittelchen
und -medien sowie Personen mit entsprechender Gabe oder Ausbildung zur
Vorausschau sind dabei so alt wie die Menschheit selbst. Wobei es vom Orakel
oder dem Seher, der die Leber las, sowie auch von den Propheten und Predigern
über das Murmeltier Phil aus Punxsutawney oder Paul, die Krake von der
Fußballweltmeisterschaft 2010, bis hin zum Zukunftsforscher Matthias Horx und
seinen Referaten für die Entscheidungsträger von der Management-Etage ein
langer und steiniger Weg war – und mitunter noch immer ist.
Zumindest
solange es eine Zukunft gibt (oder wir an eine solche glauben), gibt es auch
Trends. Und abgesehen davon, dass diese mit sehr viel Glück etwa aufgrund der
Tatsache eingeschätzt werden können, dass die Zukunft nicht nur aus dem Gestern
und Heute besteht, weil irgendwann alles wiederkommt (Vokuhilas, Amerika vs.
Russland, garnierte Schinkenrolle mit Ei, die Eiszeit): Selbst Entwicklungen,
die von Visionären ihrer jeweiligen Zunft falsch eingeschätzt wurden, haben
einen Sinn. Und sei es nur der, uns nachträglich zu erheitern. Man denke an den
Mathematiker und Astronomen Simon Newcomb zu Beginn des 20. Jahrhunderts („Mit
Maschinen durch die Luft zu fliegen ist absolut unmöglich“) oder Thomas Watson,
den IBM-Vorsitzenden von 1943 („Ich denke, es gibt weltweit einen Markt für
vielleicht fünf Computer“). Irgendjemand wird auch behauptet haben, dass das
Internet keine Zukunft hat. Andere (vermeintliche) Fehleinschätzungen wiederum
waren so visionär, dass sie einen Entwicklungssprung übersahen, um nach diesem
erst recht wieder zu stimmen. „Wer braucht eigentlich diese Silberscheibe?“, so
wird beispielsweise der ehemalige Philips-Vorstand Jan Timmer sowohl vor dem
Siegeszug der CD als somit auch vor jenem des MP3-Formats zitiert.
Jung vs. Alt
Ja,
auch der genauesten Beobachtung zum Trotz gelten die meisten Trends als schwer
bis gar nicht prognostizier- oder berechenbar. Vergleichsweise sicher ist,
woraus sie bestehen und wovon sie befeuert werden: Eine zugrundeliegende Formel
könnte „Neugier mal Angst“ lauten. Einerseits einmal fallen Trends dort auf
fruchtbaren Boden, wo das Leben und die Entdeckungslust zu Hause sind. Wer noch
nichts kennt, wird alles (wenn auch nur vorgeblich) Neue als aufregend
begrüßen. Hungrige junge Menschen voller Hoffnung und Zuversicht auf ein freudiges
Morgen der Chancen gelten dem Trend folgerichtig als willfährige Opfer, während
die Trendresistenz mit zunehmendem Alter auch deshalb zunimmt, weil man bereits
alles kennt und erlebt hat – oder sich das zumindest einredet und niemand zu
widersprechen traut. Entsprechende Erinnerungen laufen schwarz-weiß flimmernd
vor dem geistigen Auge ab. Die Wiederholung als Farce mit den ewiggleichen
Themen und immer denselben Fehlern, die nur von anderen sich überlegen
fühlenden Protagonisten wiederholt werden dürfen. Das Abstumpfen der Eroberungsfreuden!
Und dazu die Einschätzung, dass vom Leben nichts mehr zu erwarten ist – außer
dem Nichts: „Wir werden es nicht mehr erleben, aber …“. Von Karl Valentin ist in
diesem Zusammenhang auch ein schönes Zitat überliefert: „Hoffentlich wird es
nicht so schlimm, wie es schon ist!“
Geografisch
betrachtet wiederum gilt die Großstadt mitsamt ihren Scouts und Settern als Heimat
des Trends, dem man am Land nicht selten mit Spott, Hohn und Ignoranz begegnet.
Dort beliebte Sätze enden als Manifeste der Verweigerung mit Ruf- oder Fragezeichen,
heißen „Brauch man net!“ oder „Wie schaust’n du aus?“ und sollen zum Ausdruck
bringen, dass man nicht so gerne mag, was nicht ist, wie es immer war. Bewegung
bedeutet schließlich auch im politischen Österreich oft maximal einen zu Fuß
absolvierten Halbstock in den Sitzungssaal und nicht die dort eigentlich zu
beweisende Fähigkeit, exklusiv auf die eigene Klientel maßgeschneiderte
Positionen für einen höheren Zweck aufzugeben. Es reicht, Herrschaftszeiten,
noch einmal, dass man sich mit neuen Trends zu beschäftigen hat. Man muss deshalb
nicht auch noch „ja“ dazu sagen!
Zur Sicherheit
Gemeinhin
also ist Österreich für den Trend, was die Rolling Stones oder AC/DC für den Rock
’n’ Roll sind. Alles bleibt beim Alten. Veränderungen sind schlecht, neue
Einflüsse furchtbar, ein Skandal, ja, gefährlich – vor allem für die Identität!
Halb Amiland (also minus das dortige Hintertupfing) und fast ganz Berlin mögen
in Sachen Trend ja eine Rolle erfüllen, die Madonna für die Popmusik einnehmen
will – die des Staubsaugers für zumindest angeblich Neues und die des scheinbaren
Ebenbilds eines Nicht-Stillstandes. Aber warum in Dreiteufelsnamen auf den Zug
aufspringen, wenn man auch mit größtmöglichem Sicherheitsabstand gemütlich beobachten
kann, wie die anderen scheitern, um es nachher besser gewusst zu haben? Das ist
Brutalität: Ein Kampf der Angst, Scharlatanen und bald überholten Moden anheimgefallen
als Narr dazustehen, gegen den eigentlichen, den unbedingten Kernantrieb des
Trends – die Befürchtung, nicht mehr mithalten zu können und bei Gesprächen abends
an der Bar keine Ahnung zu haben, worum es überhaupt geht. Was heute aufgrund
der allgemeinen Beschleunigung definitiv noch deutlich vor der Pension möglich
ist!
Ob
die bunten Blätter mit der Mèchen-Watchlist, der Werbefolder für die
Folgesaison oder der Portfolioratgeber aus dem Finanzressort der epischen
Tagespresse – die Funktion war und ist immer die Gleiche: Trends bringen
Ordnung in den Überfluss, nehmen Arbeit ab und spenden dem Herdentier ein klein
wenig Sicherheit. Sie setzen Impulse und zwingen uns zur Beschäftigung mit ihnen,
was mit „Trending Topics“ in den Social-Media-Kanälen in Form zusätzlich messbarer,
digitaler Stammtischgespräche prächtig vorgeführt wird, während uns die
Algorithmen auch ganz von allein erklären, was wir wirklich wollen: „Wer das
Nockalm Quintett mag, dem könnten auch die Zillertaler Kasspatzn gefallen.“
Dem Trend kommt keiner
aus. Dabeisein ist alles, auch wenn man gar nicht dabei sein will. Zumindest
ein bisschen seinen Senf dazugeben und kommentierend hineinstochern ins Thema, nein,
zumindest das kann man gar nicht nicht wollen.
(Wiener Zeitung, 31.12.2014/1.1.2015)
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