Dicke Lippe,
dünner Mann: Zitate Karl Lagerfelds liegen nun auch in Buchform vor
Wenn
ein Buch hauptsächlich bis ausschließlich aus Zitaten besteht, ist deren Urheber
mit großer Wahrscheinlichkeit als Prophet zu bezeichnen. Damit verhält es sich
auch im aktuellen Fall nicht anders, einigt man sich erst auf die Tatsache,
dass es sich bei Karl Lagerfeld um nichts weniger handeln muss als um einen
Propheten der Mode.
Auch
von Propheten – und das vereint sie letztlich mit dem Berufsstand der Diva, aber
psst! – ist oftmals zwar ihr Schaffen und Tun bekannt, nicht aber das genaue Datum
ihrer Geburt. Dass man dem am 10. September des Jahres 1933 in Hamburg geborenen
Lagerfeld diesbezüglich zwar längst auf die Schliche gekommen ist, bringt einstige
Tarn- und Täuschungsmanöver aber keineswegs in Vergessenheit. Die Ankunft des
Modeschöpfers auf den Niederungen der Erde wurde demnach bereits mit 1935 oder
1938 affichiert. Es ist egal – vor allem im Vergleich zu seiner Couture, die seit
den 50er Jahren und mit Karrierestationen zwischen Chloé, Fendi, Chanel und
H&M (dies ist sein Blut!) für uns hingegeben wird.
Religion des Karlismus
Religion des Karlismus
Das
Wort des Propheten jedenfalls unterliegt der Deutung der Jünger und der Kritik
von Ungläubigen, ja, Ketzern. Um etwas mehr Eindeutigkeit in die Religion des
Karlismus zu bringen, von der die Öffentlichkeit bisher nur einen allgemein
bekannten Glaubensgrundsatz zu hören und lesen bekam („Wer eine Jogginghose
trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“), strengt sich das nun
vorliegende Testament „Karl über die Welt und das Leben“ (Edel Books) aber nicht
allzu sehr an. Schließlich versteckt sich Lagerfeld nicht nur zur Korrektur
eines Sehfehlers hinter abgedunkelten Brillengläsern, sondern womöglich auch
zur Bewahrung einer Fassade. Und so unzweifelhaft der Mann auch Tugenden wie
etwa Präzision, Fleiß und Disziplin, also im Wesentlichen die Tugend als solche
verkörpern mag, so sehr ist die Modebranche als blühende Spielweise der
Schwammigkeit und Catwalk der Nullaussage bekannt. Nach wichtigen Dokumentarfilmbeiträgen
von Sacha Baron Cohen in seiner Kleiderrolle als Fashion-Reporter Brüno sorgt
Lagerfeld als Mann, der keine Autobiografie schreiben will, weil er sie lieber zu
leben gedenkt, mit Zitaten alleine kaum für Entwirrung. Das mag das Resultat
eines Lebens in, mit und für die Branche sein wie zumindest zwischendurch auch Strategie.
Karl Lagerfeld, Verkünder der Botschaft: „Ich bin kein Träger von Botschaften.“
Und: „Was ich sage, ist nicht lange haltbar. Meinungswechsel gehört zur Mode.“
Fashion? 24/7!
Betrachtet
man die letzte Aussage, fällt vor allem das karrierelange Beharren auf
sogenannte Magermodels auf („Niemand will rundliche Frauen auf dem Laufsteg
sehen“), das Karl Lagerfeld mindestens ebenso lange nicht relativierte. Immerhin
aber geht der Prophet als gutes, also schlechtes Vorbild für uns alle voran. „Mein
einziger Ehrgeiz im Leben ist es, Jeans in Größe 30 zu tragen.“ Dass die Luft
in der Branche wiederum nicht nur dünn, sondern oft auch ziemlich heiß ist, erklärt
(etwa in Hinsicht auf diesen Ehrgeiz) aber auch folgende Aussage: „Ich fordere
den 48-Stunden-Tag. Mit nur 24 Stunden komme ich nicht aus!“
Nun
ist ein Prophet noch selten Vorsitzender der Beamtengewerkschaft gewesen, weil
ein Dienst für die Jünger neben keinem Feierabend auch das Lebensmotto „24/7“
ohne (Vor-)Ruhestand bedeutet. Dass Karl Lagerfeld, einsam wie jede
Führungskraft an der Spitze ihrer Bewegung, das Alleinsein als einzigen
Gegenpol und letzten verbliebenen Luxus (abseits des eigenen Vermögens)
betrachtet, sei ihm aber vergönnt. Der Mann musste seinerzeit wiederholt auf
der „Wetten, dass..?“-Couch parlieren.
(Wiener Zeitung, 3./4.1.2015)
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