Befreiungssongs
und Käsesounds: Belle and Sebastian veröffentlichen ein neues Album
Positive
Schwingungen, eindeutige Ja-Bekenntnisse, Loblieder und schlichtweg gute Laune
fristen in der gehobenen Popkultur nicht selten ein schwieriges Dasein. Im
Gegensatz zur Melancholie und ihrer Veräußerung in nicht nur vergleichsweise
ernst genommenen Molltönen – gesteigert von einer ganz der Depression, dem Ärger
oder einer globalisierten Form der heimischen Mieselsucht verschriebenen
Lebenshaltung – wird jede zuversichtliche Note wahlweise der leichten Muse
zugeordnet bis grundsätzlich für dumm erklärt. Kurz gesagt: Wenn man einen optimistischeren
Gesichtsausdruck trägt als der sich aufgrund der Verhältnisse wieder einmal
kurz vor dem Speiben befindliche Mark E. Smith, läuft man Gefahr, für immerdar als
akute Frohnatur verschrien zu sein.
Persönliche Songs
Diesbezüglich
umso erfreulicher, wenn eine Integrationsfigur am Horizont auftaucht und selbst
die zynischsten Herzen zu erweichen vermag. Dass es sich bei Stuart Murdoch,
dem Sänger und Mastermind von Belle and Sebastian aus Glasgow, um einen solchen
Vermittler handeln könnte, war musikalisch zwar schon seit den Anfängen seiner
Band ab 1996 wahrscheinlich. Zu einer Basis im verhuschten Lo-Fi-Geschrubbe freundlicher
Indierock-Prägung mit kammermusikalisch orientierten Folkharmonien aus den
Sixties und der belebenden Wirkung eines mitunter schwelgerischen Pop-Songwritings
sorgten aber seine zumindest zwischendurch als gallig umschriebenen Texte noch
für verbleibende Zweifel; das mit dem programmatischen Titel „Girls In
Peacetime Want To Dance“ in einer Woche erscheinende neunte Album der Band sollte
jeden möglichen Rest davon nun aber endgültig vertreiben. Von Murdoch als
persönlichstes Machwerk seiner Karriere bezeichnet, werden gegebene Problemfelder
darauf zwar keineswegs ignoriert, auf ihnen aber Wege gezeichnet, mittels derer
man sich trotzdem – also gerade deshalb – befreien kann.
Als
autobiografische Aufarbeitung gerät gleich „Nobody’s Empire“ zu Beginn der
guten Spielstunde besonders eindringlich – erinnert Murdoch doch an die Phase
einer schweren Erkrankung in jungen Jahren, die ihn einerseits zum Glauben und
andererseits zur Musik führen sollte. Als Testament einer Zeit im Angesicht des
großen schwarzen Nichts mit flächigen Keyboardsounds und letztlich dem
Erlösungsgesang aus der Gospelmesse gegeben, beflügelt die wiedergewonnene
Kraft so auch die Kundschaft. Mit Belle and Sebastian als aber keinesfalls missionierender
Heilsarmee des Indieversums und mit stärkeren Anklängen am Edelpop von Prefab
Sprout ist dabei tatsächlich für Freude gesorgt.
Mit
Umhängekeyboard
Dass
die Band mit dem Aviso, musikalisch nun auch bei den Pet Shop Boys oder am
sogenannten Europop ewiger Schreckgespenster wie Abba (!) andocken zu wollen, zuletzt
vor allem Angst und Schrecken auslöste, schlägt wiederum bald im Anschluss
durch. Bei tanzbaren, mit einem Mehr an Groove angereicherten Stücken wie der
Auftaktsingle „The Party Line“ oder „Enter Sylvia Plath“ sorgt Murdoch mit den
denkbar käsigsten Sounds am Umhängekeyboard zwischen föhnfrisiertem Synthie-Pop
und durch die Disco holpernden Dancefloor-Beats ursprünglich für innere
Abwehrreaktionen. Mit Stücken wie dem süßlichen „Play For Today“, das eine
ähnliche Spielart bevorzugt wie etwa „Sprawl II“ von Arcade Fire, und im
Wechsel mit Songs, bei denen ohnehin alte Kernkompetenzen regieren – man höre
das zurückgenommene „Ever Had A Little Faith?“ oder den Midtemposchunkler
„Allie“ –, erlaubt sich das Songwriting aber durch die Bank keine Auslasser.
Von
den Qualitäten Murdochs als Texter kann man sich nicht nur mit dem gewitzten
„Perfect Couples“ überzeugen, ehe „Today (This Army‘s For Peace)“ als
Kontemplation und Gemälde von einem (Befreiungs-)Song letztlich zur Einhaltung
eines Neujahrsgebots motivieren könnte: Du sollst nicht immer so negativ sein.
Belle and Sebastian: Girls In Peacetime Want To Dance (Matador/Beggars Group)
(Wiener Zeitung, 9.1.2015)
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