Donnerstag, Januar 08, 2015

Die Heilsarmee des Indieversums

Befreiungssongs und Käsesounds: Belle and Sebastian veröffentlichen ein neues Album

Positive Schwingungen, eindeutige Ja-Bekenntnisse, Loblieder und schlichtweg gute Laune fristen in der gehobenen Popkultur nicht selten ein schwieriges Dasein. Im Gegensatz zur Melancholie und ihrer Veräußerung in nicht nur vergleichsweise ernst genommenen Molltönen – gesteigert von einer ganz der Depression, dem Ärger oder einer globalisierten Form der heimischen Mieselsucht verschriebenen Lebenshaltung – wird jede zuversichtliche Note wahlweise der leichten Muse zugeordnet bis grundsätzlich für dumm erklärt. Kurz gesagt: Wenn man einen optimistischeren Gesichtsausdruck trägt als der sich aufgrund der Verhältnisse wieder einmal kurz vor dem Speiben befindliche Mark E. Smith, läuft man Gefahr, für immerdar als akute Frohnatur verschrien zu sein.

Persönliche Songs

Diesbezüglich umso erfreulicher, wenn eine Integrationsfigur am Horizont auftaucht und selbst die zynischsten Herzen zu erweichen vermag. Dass es sich bei Stuart Murdoch, dem Sänger und Mastermind von Belle and Sebastian aus Glasgow, um einen solchen Vermittler handeln könnte, war musikalisch zwar schon seit den Anfängen seiner Band ab 1996 wahrscheinlich. Zu einer Basis im verhuschten Lo-Fi-Geschrubbe freundlicher Indierock-Prägung mit kammermusikalisch orientierten Folkharmonien aus den Sixties und der belebenden Wirkung eines mitunter schwelgerischen Pop-Songwritings sorgten aber seine zumindest zwischendurch als gallig umschriebenen Texte noch für verbleibende Zweifel; das mit dem programmatischen Titel „Girls In Peacetime Want To Dance“ in einer Woche erscheinende neunte Album der Band sollte jeden möglichen Rest davon nun aber endgültig vertreiben. Von Murdoch als persönlichstes Machwerk seiner Karriere bezeichnet, werden gegebene Problemfelder darauf zwar keineswegs ignoriert, auf ihnen aber Wege gezeichnet, mittels derer man sich trotzdem – also gerade deshalb – befreien kann.

Als autobiografische Aufarbeitung gerät gleich „Nobody’s Empire“ zu Beginn der guten Spielstunde besonders eindringlich – erinnert Murdoch doch an die Phase einer schweren Erkrankung in jungen Jahren, die ihn einerseits zum Glauben und andererseits zur Musik führen sollte. Als Testament einer Zeit im Angesicht des großen schwarzen Nichts mit flächigen Keyboardsounds und letztlich dem Erlösungsgesang aus der Gospelmesse gegeben, beflügelt die wiedergewonnene Kraft so auch die Kundschaft. Mit Belle and Sebastian als aber keinesfalls missionierender Heilsarmee des Indieversums und mit stärkeren Anklängen am Edelpop von Prefab Sprout ist dabei tatsächlich für Freude gesorgt.

Mit Umhängekeyboard

Dass die Band mit dem Aviso, musikalisch nun auch bei den Pet Shop Boys oder am sogenannten Europop ewiger Schreckgespenster wie Abba (!) andocken zu wollen, zuletzt vor allem Angst und Schrecken auslöste, schlägt wiederum bald im Anschluss durch. Bei tanzbaren, mit einem Mehr an Groove angereicherten Stücken wie der Auftaktsingle „The Party Line“ oder „Enter Sylvia Plath“ sorgt Murdoch mit den denkbar käsigsten Sounds am Umhängekeyboard zwischen föhnfrisiertem Synthie-Pop und durch die Disco holpernden Dancefloor-Beats ursprünglich für innere Abwehrreaktionen. Mit Stücken wie dem süßlichen „Play For Today“, das eine ähnliche Spielart bevorzugt wie etwa „Sprawl II“ von Arcade Fire, und im Wechsel mit Songs, bei denen ohnehin alte Kernkompetenzen regieren – man höre das zurückgenommene „Ever Had A Little Faith?“ oder den Midtemposchunkler „Allie“ –, erlaubt sich das Songwriting aber durch die Bank keine Auslasser.

Von den Qualitäten Murdochs als Texter kann man sich nicht nur mit dem gewitzten „Perfect Couples“ überzeugen, ehe „Today (This Army‘s For Peace)“ als Kontemplation und Gemälde von einem (Befreiungs-)Song letztlich zur Einhaltung eines Neujahrsgebots motivieren könnte: Du sollst nicht immer so negativ sein.

Belle and Sebastian: Girls In Peacetime Want To Dance (Matador/Beggars Group)

(Wiener Zeitung, 9.1.2015)

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